Deutsche Zeitschrift für Onkologie 2007; 39(1): 24-25
DOI: 10.1055/s-2007-968076
Forschung
Neues aus der Onkologie
Karl F. Haug Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG

Ionenmobilitätsspektrometrie - Nichtinvasive Lungenkrebsdiagnostik via Atemluftanalyse?

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Publication Date:
22 March 2007 (online)

Physiologische Prozesse anhand der ausgeatmeten Luft zu beobachten, ist eine alte Idee. Nach zögerlicher Entwicklung in den vergangenen 50 Jahren zeigt eine Analysemethode, die erfolgreich zum Nachweis von Sprengstoff-, chemischen Kampfstoff- und Drogenspuren eingesetzt wird, in Pilotstudien interessante Ergebnisse.

Mehrere hundert Produkte physiologischer Stoffwechselvorgänge in der ausgeatmeten Luft, volatile Metaboliten, wurden bereits identifiziert, manche pathologischen Prozessen zugeordnet. Jedoch lassen sich Probennahme und Messung schlecht standardisieren, weil Lungenperfusion, Atemfrequenz, Puls, Zusammensetzung der eingeatmeten bzw. der Luft aus dem Totraum die Probenzusammensetzung nachhaltig beeinflussen, der hohe Wassergehalt in ausgeatmeter Luft Analyseverfahren wie Massenspektrometrie oder Gaschromatographie stört. Forscher um Dr. med. Michael Westhoff von der Lungenklinik Hemer und den Physiker Dr. Jörg Ingo Baumbach vom „ISAS - Institute for Analytical Sciences” in Dortmund verfolgen mit der Ionenmobilitätsspektrometrie (IMS) einen neuen, durch Bund und das Land Nordrhein-Westfalen geförderten Ansatz, der mit dem Science-Preis 2006 der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin e.V. (DGP) ausgezeichnet wurde.

Wie funktioniert die IMS?

10 ml ausgeatmeter Luft werden durch ein Mundstück in eine Multikapillarsäule geleitet, in der eine gaschromatographische Trennung mit molekülspezifischer Retentionszeit erfolgt. Die Atemluftkomponenten gelangen dann in eine Ionisationskammer, wo sie z.B. durch eine 63Ni-β-Strahlungsquelle ionisiert werden. Anschließend wandern sie als geladene Produktionen gegen einen Strom inerten Gases im elektrischen Feld der Drift-Kammer hin zu einer Faraday-Platte. Aufgrund unterschiedlicher Größe, Struktur und Ladungsdichte ergibt sich für jedes Ion eine spezifische Driftzeit. Diese wird im IMS-Chromatogramm gegen die Retentionszeit aufgetragen, sodass ein hochspezifisches „Profil” entsteht. Wie Westhoff erläutert, „findet eine Mustererkennung statt. Die Muster müssen dann über Massenspektroskopie weiter analysiert werden. Wenn einmal geklärt ist, welcher Metabolit an welcher Stelle im IM-Spektrum erscheint, kann eine direkte Zuordnung über das Spektrogramm am Laptop erfolgen.”

Erste Ergebnisse für Lungenkrebs

Im Rahmen einer Pilotstudie untersuchten Westhoff et al. 36 Patienten mit gesichertem Bronchialkarzinom und 54 gesunde Probanden mit Hilfe der IMS. Indem sie pro IM-Spektrogramm 25 Variablen berücksichtigten, konnten sie die Gruppen mit einer Fehlerratenschätzung von 1,3 % differenzieren (Pneumologie. 2006; 60: 81 S). In einer aktuell laufenden Studie sollen diese Ergebnisse an einem größeren Patientenkollektiv statistisch gesichert werden.

Weitere IMS-Untersuchungen befassten sich mit der In-vitro-Typisierung von Bakterien, speziell Erregern von Atemwegsinfektionen (Chest. 2005; 128: 375 S). Bei Atemwegsinfektionen konnten anschließend typische IMS-Spektren von Bakterien in der Atemluft wiedergefunden werden (Chest. 2005; 128: 155 S). Weiterhin wiesen Sarkoidosepatienten auffällige Übereinstimmungen in den Spektrogrammen ihrer Ausatemluft auf. Der Stellenwert der IMS in der Sarkoidosediagnostik ist an größeren Patientenkollektiven zu untersuchen (Eur Respir J. 2006; 28: 111 S).

„Wesentliche Vorteile z.B. gegenüber der Massenspektrometrie/Gaschromatographie sind die Durchführbarkeit der Untersuchung bei Raumtemperatur und Umgebungsdruck sowie die geringe Gerätegröße”, erklären Westhoff und Baumbach. „Feuchtigkeit stört nicht und die Untersuchung lässt sich in maximal 15 Minuten durchführen. Da es zunächst primär um Mustererkennung und Unterscheidung von Erkrankungen geht, steht das Problem der Angabe von Konzentrationen zunächst nicht im Vordergrund.” Nachweisgrenzen im Bereich von μg bzw. pg pro Liter ohne Vorkonzentration für über 400 Moleküle sei eine weitere Stärke der IMS.

Ausblick

„Insgesamt”, so der Vorsitzende des letztjährigen DGP-Kongresses Prof. Dr. med. Heinrich Worth, Fürth, „ist die Analyse ausgeatmeter Luft zu diagnostischen Zwecken im Kommen. Wir nutzen routinemäßig die Messung des O2- bzw. CO2-Partialdrucks, auch die Geräte zur NO-Bestimmung sind heute schon handlich und einfach zu bedienen. Welches Verfahren als erstes ermöglichen wird, auch volatile organische Komponenten diagnostisch zu nutzen, lässt sich jetzt noch nicht sagen.” „Der IMS-Einsatz in der Praxis wird zumindest nicht innerhalb von ein oder 2 Jahren erfolgen”, sagt auch Westhoff. Anwender könnten dann Pneumologen, Onkologen und Intensivstationen sein, die nach Baumbachs Ansicht im Rahmen der allgemeinen Weiterbildung geschult werden sollten. Zunächst sind jedoch größere Datenmengen zu sammeln, Störfaktoren zu ermitteln und Muster ausgewählter Erkrankungen zu erstellen. Zu diesem Zweck ist ein Projekt unter Beteiligung von Kliniken sowie niedergelassenen Lungenfachärzten geplant. Die gewonnenen Daten sollen zentral in die Datenbank eines Referenzzentrums für IMS-Diagnostik in Hemer einfließen.

Ines Schulz-Hanke

Untermeitingen