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DOI: 10.1055/s-2007-972753
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York
Deutsches Ärzteblatt 2005; 102 (9): A-558/B-473/C-440 - Nadelstichverletzung: Der bagatellisierte "Massenunfall"
Publication History
Publication Date:
15 March 2007 (online)
- Fragestellung
- Definition
- Bedeutung
- Häufigkeit
- Risikoquellen
- Postexpositionelles Handeln
- Präventionsmöglichkeiten
- Literatur
Fragestellung
Welches sind die häufigsten Risikoquellen für Nadelstichverletzungen? Welche Gefahren sind zu beachten? Wie sollte das postexpositionelle Handeln aussehen? Welche Präventionsmaßnahmen gibt es?
#Definition
Nadelstichverletzungen (NSTV) sind jegliche Stich-, Schnitt-, und Kratzverletzungen der Haut durch Nadeln, Skalpelle, spitze und scharfe Gegenstände, die mit Patientenblut oder anderen potenziell infektiösem Material verunreinigt waren oder sein können, unabhängig davon, ob die Wunde geblutet hat oder nicht
#Bedeutung
NSTV sind vom primären Unfallgeschehen eher Bagatellverletzungen, dabei handelt es sich immunologisch jedoch um unbeabsichtigte Bluttransfusionen!
Bei NSTV können Bakterien, Protozoen, Viren und Prionen übertragen werden; praktisch bedeutsam sind gegenwärtig v.a. die Erreger der Hepatitis B (HBV), Hepatitis C (HCV) und das HI-Virus (HIV)
#Häufigkeit
Schätzungen reichen von einem Unfall pro Mitarbeiter alle zwei Jahre bis zu einem Unfall pro Tag bei im Krankenhaus tätigen Chirurgen. Jährlich ereignen sich mehr als 500000 NSTV in Deutschland, nur 13 % werden gemeldet. Meist unterbleiben die Meldungen, weil die Verletzten die Risiken bagatellisieren. Bei der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) wurden 2002 angezeigt:
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170 HBV-,
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254 HCV- und
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9 HIV-Infektionen nach NSTV
Risikoquellen
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"recapping" nach Blutentnahme/Injektion wird die Kanüle beidhändig in die Schutzkappe gesteckt)
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achtlos liegen gelassene Instrumente
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in Anzahl und Qualität unzureichende Entsorgungsbehältnisse
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überfüllte Entsorgungsbehältnisse
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manuelles Entfernen der Kanüle von der Spritze
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Fremdverschulden (z.B. durch Patientenbewegungen, achtlose Übergabe von Instrumenten o.ä.)
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Einspritzen von Materialien in Probebehälter (z.B. Laborröhrchen/Blutkultur)
Postexpositionelles Handeln
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I Wundreinigung:
Ausgiebige Desinfektion > 5 min) der Stichstelle, z.B. mit Ethanol 82 Vol % in Kombination mit PVP-Jod, Wunde mit sterilem Verband schützen
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II Serologische Diagnostik:
Sofortige Vorstellung in Rettungsstelle oder beim Durchgangsarzt, sofortige Blutentnahme beim Empfänger und soweit möglich beim Spender; zeitnahes Handeln wichtig! Impfstatus des Empfängers gegen HBV sowie Infektiosität des Spenders für HBV, HCV und HIV umgehend klären, da die Impfung des Empfängers gegen HBV bzw. die Postexpositionsprophylaxe gegen HIV sofort erfolgen bzw. einsetzen sollten!
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III HBV:
Falls Spender HBsAg positiv (also infektiös) und Empfänger Anti-HBs negativ (ungeschützt): Impfung kombiniert mit Gabe von Hepatitis-B-Immunglobulin (0,06 ml/kg KG) erforderlich (Simultanimmunisierung); Anti-HBs-Konzentration < 10 IU/l gilt als nicht ausreichend; bei > 10 aber < 100 IU/l reicht die alleinige Impfung; diese sollte auch dann erfolgen, wenn der Spender HBsAG negativ ist. Bei einem positiven Spender wird 6, 12 und 26 Wochen nach dem Unfall Anti-HBs bestimmt. Bei unbekanntem Spender muss wie bei HBsAG-Positivem gehandelt werden
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HCV:
Empfänger sollte jeweils 6, 12 und 26 Wochen nach dem Stich untersucht werden, unabhängig vom Status des Spenders (alternativ: einmalige Bestimmung der Polymerase-Ketten-Reaktion (PCR) 4 Wochen nach dem Unfall); Entwickeln sich Antikörper gegen Hepatitis C (Serokonversion) empfiehlt sich eine medikamentöse PEP, z.B. mit Interferon und Ribavirin
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HIV:
Ist Spender positiv, der Empfänger negativ, muss innerhalb von Stunden nach der Inokulation mit einer antiretroviralen PEP begonnen werden; Sind Spender und Empfänger negativ, sollte der Titer beim Empfänger nach 6, 12 und 26 Wochen überprüft werden; Antiretrovirale PEP am besten innerhalb der ersten 2 h, spätestens innerhalb von 24 h, nach 72 h wirkungslos!
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IV Meldung an die Berufsgenossenschaft:
Meldung durch Durchgangsarzt, um die Dokumentation für den Verletzten, aber auch die Kostenübernahme durch die zuständige Berufsgenossenschaft sicher zu stellen. Nur wenn die NSTV gemeldet wurde, lässt sich die Berufskrankheit sicher und eindeutig nachweisen!
Präventionsmöglichkeiten
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Handschuhe
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Durchführung der Hepatitis-B-Schutzimpfung (Immer noch ca. 500 Fälle berufsbedingter HBV-Erkrankungen pro Jahr!) Medizinisches Personal sollte gegen HBV geimpft sein!
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Verwendung von Arbeitsmitteln mit integrierter Sicherheitsvorrichtung (sichere Instrumente)
Dr. Natali Kirstein
Rheinische Kliniken Essen
Email: natali.kirstein@gmx.de
#Literatur
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01 Mülder K. Nadelstichverletzung: Der bagatellisierte "Massenunfall". Deutsches Ärzteblatt 2005; 102 (9): A-558/B-473/C-440.
- 02 Hofmann F . Kralj N . Beie M . Kanülenstichverletzungen im Gesundheitsdienst - Häufigkeiten, Ursachen und Präventionsstrategien. Gesundheitswesen. 2002; 64 259-266
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03 Gemeinschaftsinitiative SAFETY FIRST www.nadelstichverletzung.de
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Literatur
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01 Mülder K. Nadelstichverletzung: Der bagatellisierte "Massenunfall". Deutsches Ärzteblatt 2005; 102 (9): A-558/B-473/C-440.
- 02 Hofmann F . Kralj N . Beie M . Kanülenstichverletzungen im Gesundheitsdienst - Häufigkeiten, Ursachen und Präventionsstrategien. Gesundheitswesen. 2002; 64 259-266
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03 Gemeinschaftsinitiative SAFETY FIRST www.nadelstichverletzung.de
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