psychoneuro 2007; 33(4): 128-131
DOI: 10.1055/s-2007-981699
Schwerpunkt

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Psychisch kranke Schwangere - Peripartales Management

Mentally ill women during pregnancy - Peripartal ManagementAnke Rohde1
  • 1Gynäkologische Psychosomatik, Zentrum für Geburtshilfe und Frauenheilkunde, Universitätsklinikum Bonn
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Korrespondenz

Prof. Dr. med. Anke Rohde

Gynäkologische Psychosomatik, Zentrum für Geburtshilfe und Frauenheilkunde, Universitätsklinikum Bonn

Sigmund-Freud-Straße 25

53105 Bonn

Email: anke.rohde@ukb.uni-bonn.de

URL: http://www.femina.uni-bonn.de

URL: http://www.frauen-und-psychiatrie.de

Publication History

Publication Date:
06 June 2007 (online)

Table of Contents

Die Schwangerschaft bei einer psychisch vorerkrankten Frau oder auch wenn während der Schwangerschaft erstmals psychische Probleme auftreten birgt für den betreuenden Psychiater immer besondere Herausforderungen. Dies umso mehr, wenn wegen der ausgeprägten Psychopathologie die Fortführung oder auch der Beginn einer Psychopharmakotherapie erforderlich ist. Während in den ersten Wochen das Thema möglicher Teratogenität für den behandelnden Arzt im Fokus steht, ist es dann in der weiteren Schwangerschaft die Entwicklung des Kindes und die Balance zwischen einer möglichst niedrigen Medikation einerseits und Erhalt der psychischen Stabilität der Patientin andererseits. Gegen Ende der Schwangerschaft sind Aspekte wie Geburtsvorbereitung, Geburtsmodus, evt. auftretende psychische Symptome unter der Geburt und insbesondere die Frage des weiteren Vorgehens nach der Geburt von besonderer Bedeutung - nicht zuletzt auf dem Hintergrund, dass im Vergleich zu einer Schwangerschaft in der Postpartalzeit ein sehr viel höheres Risiko einer Exazerbation der psychischen Problematik besteht.

A particular challenge for the psychiatrist is pregnancy in a mentally ill woman or in a woman who, for the first time, suffers from mental problems during pregnancy. This is all the more true when the pronounced psychopathology necessitates continuation of current psychopharmacotherapy or its initiation. While the main concern of the care-providing physician during the first weeks of the pregnancy is possible teratogenity, as the pregnancy continues his attention turns to the development of the features of the child and striking a balance between the least possible medication and preservation of the patient's mental stability

Bipolare Störungen und die verschiedenen Psychosen haben ohne prophylaktische Medikation in Abhängigkeit von der Art der Erkrankung ein Rezidivrisiko nach der Entbindung, das mit etwa 40-70 % eingeschätzt werden muss [2] [4]. Dazu kommt das auch bei diesen Störungen vorhandene Risiko einer postpartalen Depression [1]. Während postpartale Depressionen und auch depressive Rezidive nach der Entbindung eher langsam und schleichend in den Tagen und Wochen nach der Geburt auftreten, kann dies bei bipolaren Störungen bzw. Psychosen, aber auch bei Angst- und Zwangsstörungen sehr viel abrupter und akuter geschehen.

Die Vorbereitung der Geburt, die Besprechung möglicher Maßnahmen mit dem Ziel der Prävention einer Exazerbation und auch die Frage einer prophylaktischen Veränderung der Medikation nach der Entbindung gehören deshalb ebenso zur peripartalen Betreuung einer psychisch erkrankten Schwangeren wie auch die Vorbesprechung des Themas Stillen bzw. Abstillen.

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Klinischer Erfahrungshintergrund - Gynäkologische Psychosomatik Bonn

In den zehn Jahren seit Gründung der Gynäkologischen Psychosomatik am Zentrum für Geburtshilfe und Frauenheilkunde des Universitätsklinikums Bonn und zunehmend seit Veröffentlichung des Internetportals www.frauen-und-psychiatrie.de [3], das sich schwerpunktmäßig mit den Fragen der Psychopharmakotherapie rund um Schwangerschaft und Geburt beschäftigt, nimmt die Zahl psychisch erkrankter Frauen, die sich in der Schwangerschaft vorstellen und peripartal von uns mitbetreut werden, ständig zu. In der Praxis hat sich für die Geburtsvorbereitung bei einer Frau mit psychischer Erkrankung ein Vorgehen bewährt, bei dem die Antizipation möglicher Probleme vor, während und nach der Geburt sowie die Besprechung des möglichen Umgangs mit solchen Problemen im Vordergrund stehen.

In einem Gespräch gemeinsam mit der Patientin und ihrem Ehemann bzw. sonstigen Angehörigen, das spätestens etwa vier bis sechs Wochen vor der Entbindung stattfindet, werden die wichtigsten Punkte besprochen und schriftlich niedergelegt. Ein Beispiel eines solchen „Geburtsplanes” ist in [Abbildung 1] widergegeben. Dieser Plan geht an die Schwangerenambulanz der Klinik (oder bei auswärtig geplanten Geburten auch an den betreuenden Geburtshelfer), und auch die Patientin bekommt ein Exemplar für ihre Unterlagen (für den Fall, dass die Entbindung nicht wie geplant in der anvisierten Klinik stattfindet). Dieses Vorgehen gibt insbesondere der betroffenen Patientin und ihrem Partner Sicherheit bezüglich des weiteren Vorgehens, und auch die einbezogenen Geburtshelfer erleben die Vorbesprechung des möglicherweise notwendigen Vorgehens als hilfreich. So können beispielsweise Unsicherheiten im Umgang mit der Patientin vermieden werden oder auch die Notwendigkeit der sofortigen Hinzuziehung eines Psychiaters aus dem Konsiliardienst, der vielleicht mit der Patientin vorher nie etwas zu tun hatte. Wichtig erscheint aus unserer Sicht dabei die einvernehmliche Absprache des Vorgehens, wobei den Bedürfnissen der Patientin Rechnung getragen wird (beispielsweise wenn es um die Frage des Stillens, Medikamentendosierung oder ähnliches geht).

Es erfolgt eine stichwortartige Zusammenfassung der Längsschnittdiagnose und des bisherigen Verlaufes, und zwar in der Nomenklatur angepasst für Geburtshelfer bzw. Hebammen, also Nicht-Psychiater.

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Abb. 1 Geburtsplan, erstellt in Gespräch mit Patientin und Ehemann ca. sechs Wochen vor Entbindung

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Verlauf in der Schwangerschaft aus psychiatrischer Sicht

Zu den Informationen in der Schwangerschaft zählt insbesondere eine Angabe darüber, ob die Patientin unter Medikamenten schwanger wurde bzw. im ersten Trimenon Medikamente eingenommen hat, damit das Augenmerk auf die Beurteilung eventueller Auswirkungen beim Kind gerichtet werden kann. Die Angabe, welche Medikation ggf. während der Schwangerschaft erfolgte, ist wichtig, um den eventuell einbezogenen Kinderärzten Informationen über zu erwartende Auswirkungen beim Kind zu geben (wie etwa „Absetzsymptome” bei SSRI, Trinkschwäche bei Benzodiazepinen oder EPMS bei typischen Neuroleptika). Natürlich gehört es auch zu unserem routinemäßigen Vorgehen, die Schwangerschaft zur Erfassung und weiteren Dokumentation an das Institut für Pharmakovigilanz und Embryonaltoxikologie in Berlin zu melden (www.embryotox.de oder direkt über das Internetportal www.frauen-und-psychiatrie.de), und zwar bereits während der Schwangerschaft, so dass eine prospektive Beobachtung möglich ist.

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Geburt - Vaginale Entbindung oder Kaiserschnitt?

Hier erfolgt die Besprechung, ob eine Mutter sich eine Spontangeburt zutraut, ob es eventuell Gründe für einen geplanten Kaiserschnitt gibt oder ob aus psychiatrischer Sicht auch eine medizinische Indikation dafür vorliegt. Gerade bei Patientinnen mit Angsterkrankungen kann dieses Thema wichtig werden. Schon die Option, eventuell einen Kaiserschnitt durchführen lassen zu können, wirkt auf viele Patientinnen entlastend, ohne dass sie diese hinterher wirklich in Anspruch nehmen. In diesem Zusammenhang wird auch ggf. eine Bedarfsmedikation für die Zeit der Entbindung empfohlen: dies ist ebenfalls am ehesten bei Angsterkrankungen erforderlich, da solche Patientinnen in der Regel die Sorge haben, dass sie unter der Geburt eine Panikattacke erleiden könnten. Bedarfsmedikation könnte dann beispielsweise Tavor® sein, die empfohlene Dosierung wird konkret angegeben.

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Entnahme von Nabelschnurblut - eine Option

Die gleichzeitige Entnahme von Blut bei der Mutter wie auch aus der Nabelschnur erfolgt in der hiesigen Klinik derzeit überwiegend aus wissenschaftlichem Interesse. Die praktische Erfahrung zeigt bisher, dass die Befunde sehr heterogen sind: Manchmal finden sich analoge Serumspiegel wie bei der Mutter, es gibt aber auch Fälle, bei denen im Nabelschnurblut gar nichts nachweisbar ist. Falls die Durchführung eines Serumspiegels möglich ist, kann dies später interessant sein für die Bewertung eventuell beim Kind auftretender Symptome (z.B. Nebenwirkungen der noch vorhandenen Medikation oder Entzugssymptome).

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Stillen oder Abstillen - was braucht die Patientin?

Die individuellen Bedürfnisse bezüglich des Stillens können bei den verschiedenen Patientinnen sehr unterschiedlich sein. Es gibt Frauen, die aus Sicherheitsgründen abstillen wollen, um jegliche Nebenwirkungen beim Kind zu vermeiden, Dies macht natürlich die postpartale Medikation sehr viel leichter. Es gibt aber auch andere Frauen, für die das Thema Stillen sehr wichtig ist, wobei die verschiedensten Gründe ausschlaggebend sein können. In solchen Fällen muss gut abgewägt werden, ob es Gründe dafür gibt, einer Frau aktiv vom Stillen abzuraten - auch deshalb, weil solche Ratschläge oftmals nicht befolgt werden und stattdessen dann lieber die Medikamente weggelassen werden. Ein weiterer Aspekt ist die Erfahrung, dass es Patientinnen manchmal zusätzlich belastet, wenn sie nicht stillen „dürfen”. Gerade depressive Mütter rutschen noch mehr in eine Spirale von Depressivität („Ich bin ja sowieso eine schlechte Mutter. Stillen ist doch das einzige Gute, was ich für mein Kind tun kann”). Wann immer Stillen unter Medikation für akzeptabel gehalten wird, wird dies auch dokumentiert, meist dann noch mit dem Hinweis auf weiterführende Informationen im Internetportal www.frauen-und-psychiatrie.de oder Rohde and Schaefer [3].

Stellt sich die Frage des Abstillens, so weisen wir immer darauf hin, dass dies nicht medikamentös erfolgen soll, also nicht unter dem Einsatz der Prolaktinhemmer Bromocriptin (Pravidel® oder Cabergolin (Dostinex®), da diese Substanzen potenziell psychose- und depressionsfördernd sind. Die Patientinnen besprechen in solchen Fällen mit der betreuenden Hebamme ein „natürliches Abstillen”, auch unter der Verwendung homöopathischer Mittel.

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Postpartalzeit - Stressvermeidung oberstes Gebot

Gerade wenn es Frauen sind, bei denen zu erwarten ist, dass auf dem Hintergrund der psychischen Störung eine etwas längere Adaptationszeit erforderlich ist oder auch wenn bei einer vorbestehenden Psychose eine längere Beobachtungszeit erwünscht ist, empfehlen wir eine Verlängerung des üblicherweise drei bis fünf Tage dauernden stationären Aufenthalts nach der Entbindung. Auch die Mitaufnahme des Ehemannes als Begleitperson kann für die psychische Stabilität und Entlastung der Patientin sinnvoll sein und wird in manchen Fällen befürwortet.

Mit der Patientin und ihrem Ehemann werden üblicherweise Strategien besprochen, wie in den Stunden und Tagen nach der Entbindung für möglichst viel Ruhe und Erholung gesorgt werden kann. Dies beinhaltet beispielsweise auch, dass versucht wird, die Zahl der Besucher in der Klinik und später auch zuhause möglichst gering zu halten - immer mit dem Ziel, zusätzlich belastende Faktoren zu minimieren. Konkrete Aussagen wie „Die Patientin braucht viel Ruhe und muss unbedingt schlafen” z.B. wenn Schlafstörungen zu erwartende erste Symptome sind, sollen das geburtshilfliche Personal für diese Aspekte sensibel machen.

Es werden auch Aussagen zur Medikation gemacht, beispielsweise zur Fortführung der derzeit bestehende Medikation bis zur Geburt oder ggf. zur Reduktion. Falls es sinnvoll erscheint (wie etwa bei einer bipolaren Psychose in der Vorgeschichte), kann in Abstimmung mit der Patientin die postpartale Erhöhung der Medikation (direkt ab dem Tag der Geburt) empfohlen werden. Es wird ggf. eine Bedarfsmedikation angegeben, und zwar immer mit konkreten Dosierungsempfehlungen, um im Setting einer Frauenklinik keine Unklarheiten aufkommen zu lassen.

Naturgemäß ist bei uns in der Klinik die Mitbetreuung auf der Station unkompliziert möglich, deshalb wird empfohlen, dass wir bei Aufnahme der Patientin informiert werden. Aber auch bei ambulanter Mitbehandlung einer Patientin können entsprechende Absprachen erfolgen. Auf jeden Fall sollte eine konkrete Wiedervorstellung nach der Entbindung vereinbart werden, und zwar in Abhängigkeit von der Grunderkrankung - z.B. bei vorbekannter bipolarer Störung oder Psychose nach maximal zwei Wochen, da in dieser Zeit bereits mit einem Rezidiv zu rechnen wäre. Bei vorbestehender Depression kann dieser postpartale Kontakt etwa vier bis sechs Wochen nach der Entbindung erfolgen, da dann die Zeit der deutlich fassbaren Symptome beginnen würde. Immer erfolgt auch der Hinweis auf die Empfehlung, den psychiatrischen Konsiliardienst zu informieren, falls unvorhergesehene Symptome auftreten und wir als betreuende Instanz nicht erreichbar sind.

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Fazit

Das hier geschilderte Vorgehen beruht derzeit rein auf der eigenen klinischen Empirie; für eine wissenschaftliche Evaluation reichen die Verlaufsbeobachtungen bisher nicht aus. Kontrollierte Untersuchungen würden sicher ohnehin ethische Probleme bereiten, da es wohl kaum zu verantworten wäre, einer Patientin nicht die maximal mögliche Vorsorge und Prophylaxe mit dem Ziel der Verhinderung eines postpartalen Rezidivs zukommen zu lassen. In der klinischen Realität bewährt sich dieses Vorgehen der ausführlichen gemeinsamen Besprechung mit schriftlicher Dokumentation aus unserer Sicht sehr, insbesondere bei Patientinnen mit hohem Rezidivrisiko (bipolare Störungen bzw. Psychosen) und bei Frauen mit hohem „Sicherheitsbedürfnis”. Leichtere psychische Probleme oder auch eventuell Nebenwirkungen der Medikation (z.B. nach abrupter postpartaler Erhöhung zur Prophylaxe) sind in der Regel von der betroffenen Mutter und auch den Angehörigen gut zu tolerieren, wenn das angestrebte Ziel, nämlich die Verhinderung einer psychotischen Exazerbation oder eines stationären Aufenthaltes erreichbar scheint. Positive Auswirkungen zeigen nach unserem Eindruck die Einbeziehung der Patientin und ihres Partners in die Entscheidungsfindung im Sinne der partizipativen Entscheidungsfindung und ihre damit einhergehende Wahrnehmung einer auf die persönliche Situation und die eigenen Bedürfnisse abgestimmten Betreuung.

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Literatur

  • 1 Cohen LS. et al. . Relapse of major depression during pregnancy in women who maintain or discontinue antidepressant treatment.  Jama. 2006;  295 499-507
  • 2 Rohde A, Marneros A. Zur Prognose der Wochenbettpsychosen: Verlauf und Ausgang nach durchschnittlich 26 Jahren.  Nervenarzt. 1993;  64 175-180
  • 3 Rohde A, Schaefer C. Psychopharmakotherapie in Schwangerschaft und Stillzeit. Möglichkeiten und Grenzen. 2. aktualisierte Auflage. Stuttgart: Thieme 2006
  • 4 Viguera AC. et al. . Risk of recurrence of bipolar disorder in pregnant and nonpregnant women after discontinuing lithium maintenance.  Am J Psychiatry. 2000;  157 179-184
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Korrespondenz

Prof. Dr. med. Anke Rohde

Gynäkologische Psychosomatik, Zentrum für Geburtshilfe und Frauenheilkunde, Universitätsklinikum Bonn

Sigmund-Freud-Straße 25

53105 Bonn

Email: anke.rohde@ukb.uni-bonn.de

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Literatur

  • 1 Cohen LS. et al. . Relapse of major depression during pregnancy in women who maintain or discontinue antidepressant treatment.  Jama. 2006;  295 499-507
  • 2 Rohde A, Marneros A. Zur Prognose der Wochenbettpsychosen: Verlauf und Ausgang nach durchschnittlich 26 Jahren.  Nervenarzt. 1993;  64 175-180
  • 3 Rohde A, Schaefer C. Psychopharmakotherapie in Schwangerschaft und Stillzeit. Möglichkeiten und Grenzen. 2. aktualisierte Auflage. Stuttgart: Thieme 2006
  • 4 Viguera AC. et al. . Risk of recurrence of bipolar disorder in pregnant and nonpregnant women after discontinuing lithium maintenance.  Am J Psychiatry. 2000;  157 179-184
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