Der Klinikarzt 2007; 36(5): 255
DOI: 10.1055/s-2007-982891
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Polyneuropathien

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Publication Date:
01 June 2007 (online)

Polyneuropathien beeinflussen Morbidität, Mortalität und Lebensqualität der Betroffenen erheblich und nachhaltig. Beispielsweise verursachen sie Schlafstörungen und setzen die Leistungsfähigkeit herab. Neuropathische Defizite wie Sensibilitätsstörungen im Rahmen der diabetischen Polyneuropathie - in den westlichen Industrieländern ist dies übrigens die häufigste Ätiologie - sind eindeutige Prädiktoren für die Entstehung von neuropathischen Fußulzera, die ihrerseits einer der wichtigsten Gründe für die bei Diabetikern massiv erhöhte Frequenz von Krankenhausaufenthalten, Pflegebedürftigkeit, Arbeitsunfähigkeit und deren Kosten sowie für Amputationen an den unteren Extremitäten sind.

Wie essenziell eine systematische, stufenweise diagnostische Abklärung mit rechtzeitiger Erkennung einer Polyneuropathie ist, um therapierbare ursächliche Krankheiten nicht zu übersehen, verdeutlicht der Beitrag von Prof. Karlheinz Reiners aus Würzburg. Hierbei kann sich das diagnostische Spektrum von der quantitativen neurophysiologischen Untersuchung über laborchemische Analysen bis hin zu invasiven Eingriffen erstrecken.

Für den Patienten stehen jedoch subjektiv Beschwerden wie zum Beispiel neuropathische Schmerzen im Vordergrund, deren Entstehungsmechanismen derzeit Gegenstand intensiver Forschung sind. Als gesichert gilt, dass multiple Mechanismen zur Generierung der neuropathischen Schmerzen beitragen. Dies ist die Grundlage für das Konzept einer optimierten Schmerztherapie, die auf den im Individualfall vorliegenden Mechanismen basiert, das die Arbeitsgruppe um Prof. Rolf Baron aus Kiel vertritt. Die zunehmende Kenntnis der Mechanismen, die zur Schmerzentstehung beitragen, ihre Übersetzung in Symptome sowie klinisch-neurologische Befunde könnten es schließlich ermöglichen, die individuell wirksamen Strategien zu definieren. Ginge eine präzise klinische phänotypische Charakterisierung neuropathischer Schmerzen mit der Auswahl von Substanzen einher, die ihre Wirkung aufgrund dieser Mechanismen entfalten, könnte eine optimale individualisierte Schmerztherapie gelingen.

Im klinischen Alltag ist derzeit eine pathomechanistisch orientierte Schmerztherapie als rein hypothetisch zu werten, betonen Priv.-Doz. Rainer Freynhagen, Düsseldorf, und seine Kollegen. Eine Kombination von Substanzklassen mit unterschiedlichen Angriffspunkten ist hingegen, trotz kaum vorhandener Evidenz aus kontrollierten Studien, an der Tagesordnung. Favorisiert wird die frühe Einleitung eines interdisziplinären und multimodalen Therapiekonzeptes mit langfristiger Kontrolle des Therapieerfolgs.

Autonome Neuropathien können im Prinzip jedes autonom innervierte Organ betreffen und gelten damit als Paradebeispiel für ein multidisziplinäres Problem. Ein bekannter amerikanischer Kollege prägte in diesem Zusammenhang ein treffendes Zitat: „If you know all about autonomic neuropathy, you know all about medicine.” Leider werden die mit erhöhter Mortalität assoziierten autonomen Neuropathien, die zu schwerwiegenden Beeinträchtigungen wie dem stummen Myokardinfarkt, orthostatischer Hypotonie, rezidivierendem Erbrechen, Stuhlinkontinenz oder Blasenlähmung führen können, von klinischer Seite weiterhin unterschätzt und vernachlässigt. Ein Zitat von Paul Kassander über die Gastroparese aus dem Jahr 1958 hat im Prinzip stellvertretend für die übrigen Organmanifestationen nach wie vor seine Gültigkeit: „I believe that this syndrome ... is more often overlooked than diagnosed.” Der Beitrag der Arbeitsgruppe um Prof. Max-Josef Hilz, Erlangen, rückt diese vielfältigen Manifestationen in den ihnen gebührenden klinischen Blickpunkt.

Die effektive Prävention und Therapie der Polyneuropathien ist auch heute noch eine Herausforderung für den behandelnden Arzt. Dies gilt trotz jüngster Fortschritte nicht nur für die Therapie neuropathischer Schmerzen und die pathogenetisch begründete Prävention bzw. Hemmung der Progression der Polyneuropathie, sondern auch für das adäquate Management der Symptome bei autonomen Neuropathien.

Prof. Dr. Dan Ziegler(Gasteditor)

Düsseldorf

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