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DOI: 10.1055/s-2007-985393
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York
Zukunftslast chronische Erkrankungen
Publication History
Publication Date:
28 August 2007 (online)
…geht es Ihnen auch so? Sie besuchen eine Fortbildungsveranstaltung zum Thema Depression, Herzinsuffizienz, Asthma, Prostatakarzinom, um nur einige aufzuzählen. Auf die Folie mit den Angaben zu möglichen Interessenkonflikten der Referentin/des Referenten werden Sie, selbst auf renommierten Kongressen, häufig vergeblich warten. Eines aber wird initial mit Sicherheit präsentiert: Daten zur Prävalenz, Morbidität, Mortalität und „Krankheitslast” (meist vornehmer ausgedrückt „burden of disease”). Durch eine geschickte Selektion dieser, häufig „hochgerechneten” Zahlen gelingt es den Vortragenden meist mühelos, ihrem Thema einen Spitzenplatz in einer der genannten Kategorien zu sichern.
Ich gerate dann häufig ins Grübeln und fange noch während des Vortrages an zu überschlagen: Müssten wir in unserer Allgemeinpraxis nicht viel mehr betroffene Patientinnen und Patienten haben, müssten wir nicht häufiger diesen oder jenen Test durchführen oder die erwähnten innovativen Therapieverfahren etablieren? Ganz abgesehen davon drängen sich mir bei dem Begriff „Krankheitslast”, über dessen Werteneutralität ich mir doch eigentlich bewusst sein müsste, mitunter Assoziationen auf: Krankheit als Last, Kranke als Bürde für die Gesellschaft, …..möglicherweise lästig?
Bei aller soeben geäußerten Skepsis gegenüber Zahlen und Begriffen, bei einem Thema - der Betreuung von Menschen mit chronischen Krankheiten - erlaube ich mir einige wenige aufzuführen:
Chronische Krankheiten sind weltweit die Ursache von 59% aller Todesfälle. Ihr Anteil von derzeit 46% an allen Erkrankungen wird innerhalb der nächsten 20 Jahre auf 60% ansteigen. 43% der deutschen Bevölkerung leiden an mindestens einer chronischen Erkrankung. Bei den über 65-Jährigen liegt dieser Anteil bei 70%. 80% der Kosten der Gesetzlichen Krankenversicherung werden durch 20% der Versicherten mit einer oder mehreren chronischen Erkrankungen verursacht.
Brisanz gewinnen diese Zahlen angesichts der demografischen Entwicklung in Deutschland mit dem Rückgang der Geburtenzahlen in allen Bundesländern und dem Anstieg der Lebenserwartung; so wird jedes zweite Mädchen, das heute in Deutschland geboren wird - eine anhaltende wirtschaftliche Prosperität unserer Gesellschaft vorausgesetzt - ein Alter von 100 Jahren und mehr erreichen.
Gründe genug, sich dieser Themen anzunehmen. Die im vorliegenden Heft veröffentlichte Stellungnahme der DEGAM zur „Betreuung von Menschen mit chronischen Erkrankungen” versteht sich als Gestaltungsperspektive für Hausärzte, für die Systemebene, für Forschung und Lehre sowie als Beitrag und Anregung für die Verbesserung der Patientenversorgung und ist Auftakt einer geplanten Serie von Beiträgen.
Bringen Sie sich ein, schreiben Sie uns. Kommen Sie im September zum DEGAM- Kongress nach Berlin, diskutieren und gestalten Sie mit bei diesem für uns Hausärzte so wichtigem Thema!
Bis dahin mit herzlichen Grüßen
Ihr Wilhelm Niebling
PS: Falls Sie noch auf einen schönen Sommer hoffen und nach Lesestoff suchen: „Auszug aus Xanadu„. Gedichte von Lars Gustafsson. Übersetzt aus dem Schwedischen von Hans Magnus Enzensberger und Verena Reichel (Hanser Verlag).
Es soll ein Tag sein
Es soll ein Tag Anfang August sein
die Schwalben fort, doch eine Hummel
noch irgendwo, die im Himbeerschatten
ihren Bogen ausprobiert.
Ein leichter, doch nicht hartnäckiger Wind
soll über die Wiesen des August gehen.
Du sollst da sein,
aber du sollst nicht viel reden,
mir nur ein wenig über die Haare streichen
und mir in die Augen sehen
Mit diesem kleinen Lächeln
zuinnerst im Augenwinkel.
Und dann will ich
nicht ohne Erleichterung
diese Welt verschwinden sehen
Lars Gustafsson (geb. 1936)
Korrespondenzadresse
Prof. Dr. Wilhelm Niebling
Facharzt für Allgemeinmedizin
Lehrbereich Allgemeinmedizin
Albert-Ludwigs-Universität
Freiburg
Schwarzwaldstr. 69
79822 Titisee-Neustadt
Email: wniebling@t-online.de