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DOI: 10.1055/s-2007-985413
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York
HIV-Infektion - Entry-Inhibitoren im klinischen Einsatz: Was können wir erwarten?
Publikationsverlauf
Publikationsdatum:
26. Juli 2007 (online)
- Drei Wirkstoffe "im Ring", bislang nur einer in Phase III
- Wirkmechanismus von Maraviroc
- Studienprogramm in den USA, Kanada, Australien und Europa
- Zweimal so viele Patienten ohne Viruslast
- Nebenwirkungsspektrum überschaubar
- Literatur
Die Einführung der hochaktiven antiretroviralen Therapie (HAART) zur Behandlung der HIV-Infektion hat die Prognose und das Langzeitüberleben HIV-infizierter Menschen dramatisch verbessert. Eine ungenügende virale Suppression, mangelnde Adhärenz und Therapieunterbrechungen können jedoch zu einer Resistenzentwicklung gegen verschiedene antiretrovirale Medikamente oder ganze Substanzklassen führen. Hinzu kommen Langzeittoxizitäten, die Fettstoffwechselstörungen und Fettumverteilungsstörungen induzieren und so den Langzeiterfolg der Behandlung zusätzlich gefährden. Die Suche nach neuen antiretroviralen Substanzen bleibt daher unverändert eine wichtige Herausforderung, um langfristig eine weitere Therapieverbesserung zu erreichen.
#Drei Wirkstoffe "im Ring", bislang nur einer in Phase III
Mit den sogenannten Entry-Inhibitoren liegen nun Substanzen einer neuen Klasse vor, die durch ihren einzigartigen extrazellulären Wirkmechanismus (s. Kasten) nicht nur eine wirksame Behandlung bei vorbehandelten Patienten mit akkumulierten Resistenzen versprechen, sondern sich möglicherweise auch in ihrem Verträglichkeitsprofil deutlich von den bisher eingesetzten antiretroviralen Wirkstoffen unterscheiden können. Bislang sind mit Aplaviroc, Vicriviroc und Maraviroc drei Substanzen aus der Gruppe der Entry-Inhibitoren in klinischen Studien untersucht worden, nur eine davon gelangte bislang jedoch auch in die Phase III.
Die Weiterentwicklung von Aplaviroc zum Beispiel musste aufgrund seiner Hepatotoxizität eingestellt werden. Vicriviroc wiederum zeigte sich in einer Studie bei therapienaiven Patienten der Standardtherapie unterlegen - möglicherweise bei falsch niedrig gewählten Dosierungen, sodass hier zunächst erneute Dosisfindungsstudien abzuwarten sind. Die Substanz, die bislang in der Entwicklung am weitesten gediehen und derzeit in Deutschland bereits über ein sogenanntes EAP-Programm ("expanded access program") erhältlich ist, ist Maraviroc.
#Wirkmechanismus von Maraviroc
Ansatzpunkt für die Entry-Inhibitoren ist der CCR5-Rezeptor, ein chemokiner Rezeptor, den das HI-Virus benutzt, um sich in die CD4-Zellen einzuschleusen. Als CCR5-Antagonist, dockt Maraviroc an den Chemokinrezeptor an, was dessen Konformationsänderung zur Folge hat - das HIVirus kann nicht mehr daran binden und in die Wirtszelle gelangen. Dies ist insbesondere von Bedeutung, da im Rahmen einer chronischen HIV-Infektion die Expression des CCR5-Rezeptors hochreguliert ist. Eine hochaktive antiretrovirale Therapie kann die Expression zwar wieder verringern - allerdings nicht bis zurück zum Ausgangsniveau, so Studiendaten. |
Studienprogramm in den USA, Kanada, Australien und Europa
Beim diesjährigen amerikanischen AIDS-Kongress, der "14th Conference on Retroviruses and Opportunistic Infections" (CROI), wurden erstmals die Ergebnisse des laufenden Phase-III-Studienprogramms zu dem CCR5-Inhibitor Maraviroc vorgestellt [1], [2]. Zwei Studien (MOTIVATE[1] 1 und 2) wurden aufgelegt, welche die Wirksamkeit und Sicherheit der Substanz in Kombination mit einer optimierten Hintergrundtherapie bei Patienten überprüfen sollten, die bereits zuvor antiretroviral behandelt worden waren. MOTIVATE 1 [1] wurde ausschließlich in den USA und Kanada durchgeführt, an MOTIVATE 2 [2] waren dagegen neben US-amerikanischen auch europäische und australische Studienzentren beteiligt.
Die Einschlusskriterien des Studienprogramms umfassten zum einen den Nachweis aus Voruntersuchungen, dass das Virus tatsächlich den CCR5-Korezeptor zum Eintritt in die Zelle benutzt. In der Tat war dies nur bei gut der Hälfte der ursprünglich gescreenten Patienten der Fall. Dies war jedoch zu erwarten, da der CCR5-Korezeptor vor allem in den frühen Phasen der HIV-Infektion vorrangig benutzt wird. Im weiteren Verlauf der Erkrankung gewinnt jedoch zum Beispiel der CXCR4-Rezeptor mehr an Bedeutung. Zudem wurden nur Therapieversager in die Studien aufgenommen. Das virologische Therapieversagen war dabei als messbare HIV-1-RNA von mehr als 5 000 Kopien/ml unter einem seit mindestens vier Wochen unveränderten Therapieregime definiert.
Zusätzlich sollte eine Resistenz vorliegen oder aber mindestens eine sechsmonatige Behandlung mit jeweils mindestens einem Medikament aus den drei bisher für die HIV-Therapie zur Verfügung stehenden Medikamentenklassen durchgeführt worden sein - also entweder einem nukleosidischen oder einem nichtnukleosidischen Reverve-Transkriptase-Hemmer (NRTI bzw. NNRTI) oder einem Proteaseinhibitor (PI).
Patienten, die diese Kriterien erfüllten, wurden dann im Verhältnis 1:2:2 in drei Studienarme randomisiert:
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optimierte Hintergrundtherapie + Placebo (n = 118 bzw. 91)
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optimierte Hintergrundtherapie + 150 mg Maraviroc einmal täglich (n = 232 bzw. 182)
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optimierte Hintergrundtherapie + 150 mg Maraviroc zweimal täglich (n = 235 bzw. 191).
Zweimal so viele Patienten ohne Viruslast
Die Zwischenanalyse für beide Studien zeigte eindrucksvolle virologische Ansprechraten nach einer 24-wöchigen Therapie. Unter Maraviroc sank bei etwa zweimal so vielen Patienten die Viruslast unter die Nachweisgrenze von 400 Kopien/ml als dies in der Kontrollgruppe der Fall war. Ähnlich war die Situation bei strenger gewählten Kriterien (Viruslast < 50 Kopien/ml): Auch dann waren die Ansprechraten unter Maraviroc praktisch doppelt so hoch wie bei den Patienten, die nur die Basistherapie erhielten (Abb. [1]). Dementsprechend wiesen die Maravirocpatienten wieder eine deutlich höhere Zahl an Helferzellen auf (> 100 Zellen unter Maraviroc und nur etwa 50 Zellen unter Placebo).

Abb. 1 Rund doppelt so viele Patienten sprachen auf die antiretrovirale Behandlung an, wenn im Therapieregime Maraviroc enthalten war
Damit ist dieser neue Therapieansatz mit einer realistischen Chance verbunden, die HIV-Infektion auch nach einer fehlgeschlagenen Behandlung erneut dauerhaft zu kontrollieren - trotz bestehender Resistenzen, die eine Umstellung der Therapie erforderlich machen. Ob Maraviroc auch früher im Therapieverlauf zum Einsatz kommen kann, wird maßgeblich von den Ergebnissen laufender Studien mit dieser Substanz abhängen.
#Nebenwirkungsspektrum überschaubar
Das Spektrum an unerwünschten Wirkungen dagegen unterschied sich zwischen den Verum- und dem Placeboarmen der Studien nicht signifikant. Sowohl bezüglich der Art als auch bezüglich der Häufigkeit von Nebenwirkungen waren unter der zusätzlichen Gabe von Maraviroc tendenziell allenfalls etwas häufiger obere Atemwegsinfektionen und etwas mehr Benommenheit zu verzeichnen. Auffällige Veränderungen der Laborwerte, die spezifisch Maraviroc zuzuschreiben wären, sind in den bislang vorliegenden Auswertungen nicht vermerkt. Damit hat sich das gute klinische Verträglichkeitsprofil der Substanz, wie es sich bereits in früheren Studien angedeutet hatte, in dieser Untersuchung erneut bestätigt.
Prof. Jürgen Rockstroh, Bonn
#Literatur
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01 Lalezari J, Goodrich J, DeJesus E et al. Efficacy and safety of maraviroc plus optimized background therapy in viremic, ART-experienced patients infected with CCR5-tropic HIV-1: 24-week results of a phase IIb/III study in the US and Canada. 14th CROI, Los Angeles 2007, abstract 104bLB.
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02 Nelson M, Fätkenheuer G, Konourina K et al. Efficacy and safety of maraviroc plus optimized background therapy in viremic, ART-experienced patients infected with CCR5-tropic HIV-1 in Europe, Australia and North America: 24-week results. 14th CROI, Los Angeles 2007, abstract 104aLB.
01 Maraviroc plus Optimized Therapy In Viremic Antiretroviral Treatment Experienced patients
Literatur
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01 Lalezari J, Goodrich J, DeJesus E et al. Efficacy and safety of maraviroc plus optimized background therapy in viremic, ART-experienced patients infected with CCR5-tropic HIV-1: 24-week results of a phase IIb/III study in the US and Canada. 14th CROI, Los Angeles 2007, abstract 104bLB.
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02 Nelson M, Fätkenheuer G, Konourina K et al. Efficacy and safety of maraviroc plus optimized background therapy in viremic, ART-experienced patients infected with CCR5-tropic HIV-1 in Europe, Australia and North America: 24-week results. 14th CROI, Los Angeles 2007, abstract 104aLB.
01 Maraviroc plus Optimized Therapy In Viremic Antiretroviral Treatment Experienced patients

Abb. 1 Rund doppelt so viele Patienten sprachen auf die antiretrovirale Behandlung an, wenn im Therapieregime Maraviroc enthalten war