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DOI: 10.1055/s-2007-991919
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York
Neue ESC-Leitlinien für die NSTE-ACS-Therapie - Bei Hochrisikopatienten fehlt es häufig noch an der adäquaten Therapie
Publikationsverlauf
Publikationsdatum:
08. Oktober 2007 (online)
- Bei erhöhtem Risiko: Intervention besser als konservative Therapie
- Risikostratifizierung - "Multi-Marker-Approach" ist gefordert
- Einfache Risikostratifizierung
- Studien(programm) mit Tirofiban (AGGRASTAT®)
Insbesondere die Fortschritte bei der Therapie von Herz-Kreislauferkrankungen haben im Verlauf der letzten zwei Jahrzehnte drastisch zur Verbesserung der allgemeinen Lebenserwartung beigetragen. "Bei Patienten über 65 Jahren mit einem Nicht-ST-Hebungsinfarkt (NSTE-ACS) konnten wir in Uppsala die 30-Tages-Mortalität in Schweden seit 1995 um rund 10 % reduzieren", berichtete Prof. Lars Wallentin, Uppsala (Schweden). An dieser Verbesserung haben Leitlinien sicherlich einen großen Verdienst. Gerade hat die Europäische Gesellschaft für Kardiologie (ESC) ihre Leitlinien zur Therapie des akuten Koronarsyndroms ohne ST-Streckenhebung (NSTE-ACS) überarbeitet.
#Bei erhöhtem Risiko: Intervention besser als konservative Therapie
"Ohne Zweifel ist heute die Revaskularisation für ACS-Patienten mit intermediärem oder hohem Risiko das Verfahren der Wahl", konstatierte Prof. Jean-Pierre Bassand, Besançon (Frankreich), und verwies in diesem Zusammenhang auf die Daten der RITA[1]-[3]-Studie oder die Ergebnisse der Metaanalyse von Mehta et al. In dieser Situation wird in den aktualisierten Leitlinien die frühe Gabe von GP-IIb/IIIa-Rezeptorantagonisten in Kombination mit einer oralen Plättchenhemmung (Acetylsalicylsäure und Clopidogrel) empfohlen.
Denn in der ISAR-REACT[2]-2-Studie war die Prognose der Patienten deutlich besser, wenn sie vor der Koronarintervention nicht nur die duale orale Plättchenhemmung, sondern zusätzlich einen GP-IIb/IIIa-Rezeptorantagonisten erhalten hatten. Von dem Einsatz dieser drei Substanzen profitieren aber auch Patienten mit erhöhten Troponinwerten, einer ST-Streckensenkung oder Diabetiker, die ebenfalls ein hohes Risiko haben, einen erneuten Infarkt zu erleiden oder zu versterben.
In der RITA-3-Studie sank das Risiko der Patienten durch die Koronarintervention im Vergleich zur konventionellen Behandlung innerhalb der Fünf-Jahres-Nachbeobachtung um 3,4 % (p = 0,044; Abb. [1]). Initial war das Mortalitätsrisiko der invasiv therapierten ACS-Patienten zwar etwas höher als das der rein medikamentös behandelten, dies relativierte sich im Laufe der Zeit jedoch schnell, berichtete Prof. Michel E. Bertrand, Lille (Frankreich). Darüber hinaus senke eine invasive Behandlung das Risiko einer Angina pectoris oder einer erneuten Einweisung in das Krankenhaus.

Abb.1 Kumulatives Risiko für Tod und Myokardinfarkt nach Fox KA et al. Lancet 2005; 36 (9489): 914-920
Immer deutlicher kristallisiert sich inzwischen heraus, dass die routinemäßige frühzeitige Applikation der GP-IIb/IIIa-Rezeptorantagonisten ("upstream") noch vor der invasiven Untersuchung im Katheterlabor dabei einen Vorteil verspricht: Denn Metaanalysen dokumentieren ein geringeres Risiko der Patienten, innerhalb der folgenden 30 Tage einen Myokardinfarkt zu erleiden oder zu versterben, wenn die GP-IIb/IIIa-Rezeptorantagonisten vor und auch während des invasiven Eingriffs gegeben werden. Dem tragen auch die Autoren der neuen NSTE-ACS-Leitlinien Rechnung und befürworten dieses Vorgehen.
Zudem betonen sie: Haben Patienten mit akutem Koronarsyndrom ohne ST-Streckenhebung (NSTE-ACS) zusätzlich zur leitliniengerechten Gabe von Clopidogrel und Acetylsalicylsäure vor der Revaskularisation einen GP-IIb/IIIa-Rezeptorantagonisten erhalten, sollten sie auch während bzw. nach der Intervention mit demselben Wirkstoff weiterbehandelt werden. Sind Risikopatienten dagegen nicht mit einem GP-IIb/IIIa-Rezeptorantagonisten vorbehandelt, sollten sie diesen unverzüglich nach der Angiografie erhalten.
#Risikostratifizierung - "Multi-Marker-Approach" ist gefordert
Um die Patienten zu identifizieren, die von einer frühen invasiven Behandlung profitieren, ist zunächst eine adäquate Risikostratifizierung notwendig, forderte Bassand. Noch vor gut 20 Jahren lag dabei der Fokus auf der Ischämie. Diese liefere einen ersten, guten Hinweis, trotz ihrer heterogenen Befunde, erklärte Prof. Christian Hamm, Bad Nauheim. Jeweils rund ein Drittel der ACS-Patienten zeige abnorme T-Wellen, eine ST-Streckensenkung oder gar keine Veränderung. "Schreiben Sie das EKG aber innerhalb von zehn Minuten", riet der Kardiologe. "Denn 'time is life'!" Geschieht dies erst später, liegt die Todesrate statt bei 4,7 bei 5,4 %.
Eine Schlüsselrolle bei der Diagnostik spielen laut Hamm darüber hinaus kardiale Marker, allen voran das Troponin T, ein Maß für die Myokardnekrose. Darüber hinaus bleibe Troponin aber auch im Langzeitverlauf von Bedeutung, so Hamm. Allerdings sind Mortalität und Reinfarktrisiko nicht ganz linear mit einem Troponinanstieg assoziiert: "Bei besonders hohen Troponinwerten sinkt das Risiko sogar wieder", berichtete Wallentin.
Zusätzliche Sicherheit geben die Werte für das C-reaktive Protein (CRP) und das NT-proBNP, das inaktive n-terminale Spaltprodukt von proBNP, der Vorstufe des aktiven B-type natriuretic peptide (BNP). Je mehr diese Risikomarker in einem kritischen Bereich liegen, desto höher ist auch das Risiko der Patienten mit Nicht-ST-Elevationsinfarkt.
Noch zu selten bedacht wird nach Ansicht Wallentins in diesem Zusammenhang die Nierenfunktion, obwohl die Kreatininclearance sehr eng und linear mit dem klinischen Erfolg bei den Patienten assoziiert ist. "Wenn Sie diese Information noch addieren, erhalten Sie ein exzellentes Risikoprofil!" Bereits eine Kombination von NT-proBNP und Kreatininclearance hat einen hohen Vorhersagewert: Liegen beide Marker in der höchsten Risikoquartile, beträgt die Ein-Jahres-Mortalität der Betroffenen 25,7 %, in der niedrigsten Quartile dagegen beläuft sie sich auf nur 0,3 %.
#Einfache Risikostratifizierung
Inzwischen stehen jedoch gut evaluierte Risikoscores (z.B. TIMI[3]-, FRISC[4]-Score) zur Verfügung, welche die Risikostratifzierung erheblich vereinfachen. Für den Einsatz in der Klinik empfahl Wallentin das GRACE-Risikomodell. Anders als viele seiner Vorläufer bezieht sich dieses auf das gesamte Spektrum der ACS-Patienten. Dieses einfache Schema ist zudem das erste, das auch die Nierenfunktion mit in die Risikostratifizierung aufgenommen hat, betonte Dr. D. Hasdai, Tel Aviv (Israel) - neben der Killip-Klasse (Herzinsuffizienz), dem Lebensalter, dem systolischen Blutdruck, positiven kardialen Markern, der Herzfrequenz, einer Veränderung der ST-Strecke oder einem Herzstillstand einer der acht wichtigsten Risikomarker, die sich im Rahmen des GRACE-Registers bestätigt haben.
Jedem Marker werden dabei unterschiedliche Wertebereiche (Punkte) zugeordnet. Mithilfe einfacher Kalkulatoren lässt sich so das Risiko des Patienten im klinischen Alltag in nur wenigen Sekunden bestimmen. (www.outcomes-umassed.org/grace). Die Addition der Punktwerte ergibt den Risikoscore, mit dem sich das Mortalitätsrisiko der Patienten einschätzen lässt. Anhand der Höhe des Scores kann man die Patienten drei Risikokategorien (niedrig, mittel, hoch) zuordnen. Die ermittelte Risikokategorie ist die Grundlage zur Wahl der diagnostischen Strategie und medikamentösen Therapie.
"Wir brauchen solche einfachen Mittel, um die Versorgung unserer Patienten zu verbessern", forderte Wallentin. Zwar gebe es weltweit eine positive Entwicklung, was die Adhärenz an die leitliniengerechte Therapie des akuten Koronarsyndroms betreffe, dennoch bestehe noch immer ein großes Verbesserungspotenzial. "Gerade die Hochrisikopatienten sind es, die wir nicht ausreichend behandeln", schloss Wallentin.
sts
Quelle: Symposium "20 Years Acute Coronary Syndrome - Unstable Angina", unterstützt von der MSD SHARP & DOHME GMBH, Haar
Dieser Beitrag entstand mit freundlicher Unterstützung der MSD SHARP & DOHME GMBH, Haar
#Studien(programm) mit Tirofiban (AGGRASTAT®)
In TARGET[5] war ein 10-µg-Bolus Tirofiban der Vergleichssubstanz Abciximab bezüglich des kombinierten Endpunktes aus Tod, Myokardinfarkt und früher Reintervention 30 Tage nach der Intervention unterlegen (7,5 versus 6,01 %; p = 0,037). Nach sechs Monaten jedoch war kein signifikanter Unterschied mehr zu beobachten. Nach Ansicht von Dr. Marco Valgimigli, Ferrara (Italien), lag dies an einer zu geringen initialen Dosierung von Tirofiban, die mit einer zu geringen initialen Hemmung der Plättchenaggregation durch Tirofiban einhergehe. Ein höherer initialer Bolus (25 µg/kg) könne jedoch zu einer stärkeren Hemmung der Plättchenaggregation führen.[*] Studien mit "Hochdosisbolus" Dieser Hypothese tragen die neuen randomisierten kontrollierten Studien mit Tirofiban Rechnung: Hier wurde der GP-IIb/IIIa-Rezeptorantagonist in einer hohen Bolusdosierung eingesetzt, wie zum Beispiel - placebokontrolliert - in der Studie ADVANCE[6]. Die Patienten hatten hierbei im Rahmen einer Hochrisiko-Koronarintervention diesen "Hochdosisbolus" von 25 µg/kg/min gefolgt von einer Infusion (0,15 µg/kg/min für 24-48 Stunden) im Katheterlabor erhalten. Anders als in früheren Studien mit dem 10-µg-Bolus konnte Tirofiban jetzt die Rate an ischämischen Komplikationen deutlich senken - und zwar von 35 auf 20% (p = 0,01). Im Rahmen einer stentgestützten Intervention wurde bei NSTE-ACS-Patienten Tirofiban als "Hochdosisbolus" verabreicht. In der Studie STRATEGY[7] erhielten die Patienten entweder Tirofiban (Hochdosisbolus + Infusion) und einen Sirolimus freisetzenden Stent oder Abciximab plus einen Metallstent. Es traten unter der Therapie mit Tirofiban weniger kardiale Todesfälle und Reinfarkte auf, und auch die Zielgefäße mussten weniger häufig erneut revaskularisiert werden. Die dreiarmige EVEREST[8]-Studie wiederum befasste sich mit dem optimalen Zeitpunkt der Gabe von Tirofiban. Alle Patienten wurden im Rahmen der Studie einer frühen invasiven Revaskularisierung zugeführt. Dabei wiesen die NSTE-ACS-Patienten die beste myokardiale Durchblutung und den geringsten Gewebeschaden auf, wenn sie Tirofiban in einer initialen Infusionsrate von 0,4 µg/kg/ min für 30 Minuten, gefolgt von einer Infusion von 0,1 µg/kg/min ("PRISM-PLUS[9]-Dosierung") bereits vor der Aufnahme im Katheterlabor erhalten hatten ("upstream"). Doch auch bei einer späteren Gabe des Glykoprotein-IIb/IIIa-Rezeptorantagonisten ("downstream") war die Wirksamkeit der hohen Bolusdosierung Tirofiban mit der "Downstream"-Gabe von Abciximab vergleichbar. Aktuelles Studienprogramm fokussiert auf STEMI Nach diesen interessanten Ergebnissen kann man gespannt auf die Daten des derzeit laufenden Studienprogramms warten. Ob Tirofiban bei Patienten mit ST-Elevationsinfarkt (STEMI) besser wirksam ist als die Gabe von Abciximab, wird derzeit in der italienischen STAR[10]-Studie geprüft. In den Studien FATA[11] und On-Time-2[12] wiederum wird der optimale Zeitpunkt für den Beginn der Therapie untersucht ("upstream" oder "downstream"). Zunächst, nämlich im Frühjahr 2008, werden jedoch die Ergebnisse von MULTI-STRATEGY[13] erwartet. Hier wird untersucht, ob die Gabe von Tirofiban oder Abciximab im Rahmen einer stentgestützten Katheterintervention bessere Ergebnisse liefert. Tirofiban wird in all diesen Studien ausnahmslos mit einem Bolus von 25µg/kg und einer nachfolgenden Infusion von 0,15 µg/kg/min verabreicht. |
1 Randomized Intervention Trial of unstable Angina
2 Intracoronary Stenting and Antithrombotic Regimen - Rapid Early Action for Coronary Treatment
3 Thrombolysis in Myocardial Ischemia
4 Fast Revascularisatioin during Instability in Coronary artery disease
5 do Tirofiban And ReoPro Give similar Efficacy outcome Trial
6 ADditive Value of tirofiban Administered with the high-dose bolus in the preventioN of ischemic Complications during high-risk coronary artery angioplasty
7 Single High-Dose BoluS TiRofibAn and Sirolimus Eluting STEnt versus Abiciximab and Bare Metal Stent in Acute MYocardial Infarction
8 Endovascular Edge-to-Edge Repair Study
9 Platelet Receptor Inhibition in Ischemic Syndrome Management in Patients Limited by Unstable Signs and Syndromes
10 Stent Anticoagulation Regimen Study
11 Facilitated Angioplasty with Tirofiban or Abciximab
12 Ongoing Tirofiban in Myocardial Infarction Evaluation
13 MULTIcentre evaluation of Single high-dose bolus Tirofiban versus Abciximab and Sirolimus-eluting stent versus bare metal stent in acute myocardial infarction
14 Tirofiban ist in einer Dosierung von 0,4 µg/kg/min für 30 Minuten zur initialen Infusion bzw. in einer Dosierung von 0,1 µg/kg/min als Erhaltungsinfusion zugelassen. Tirofiban ist zur Prävention eines drohenden Myokardinfarkts bei Patienten mit instabiler Angina pectoris oder einem Nicht-Q-Wellen-Myokardinfarkt angezeigt. Weitere Details sind der Fachinformation zu entnehmen.
1 Randomized Intervention Trial of unstable Angina
2 Intracoronary Stenting and Antithrombotic Regimen - Rapid Early Action for Coronary Treatment
3 Thrombolysis in Myocardial Ischemia
4 Fast Revascularisatioin during Instability in Coronary artery disease
5 do Tirofiban And ReoPro Give similar Efficacy outcome Trial
6 ADditive Value of tirofiban Administered with the high-dose bolus in the preventioN of ischemic Complications during high-risk coronary artery angioplasty
7 Single High-Dose BoluS TiRofibAn and Sirolimus Eluting STEnt versus Abiciximab and Bare Metal Stent in Acute MYocardial Infarction
8 Endovascular Edge-to-Edge Repair Study
9 Platelet Receptor Inhibition in Ischemic Syndrome Management in Patients Limited by Unstable Signs and Syndromes
10 Stent Anticoagulation Regimen Study
11 Facilitated Angioplasty with Tirofiban or Abciximab
12 Ongoing Tirofiban in Myocardial Infarction Evaluation
13 MULTIcentre evaluation of Single high-dose bolus Tirofiban versus Abciximab and Sirolimus-eluting stent versus bare metal stent in acute myocardial infarction
14 Tirofiban ist in einer Dosierung von 0,4 µg/kg/min für 30 Minuten zur initialen Infusion bzw. in einer Dosierung von 0,1 µg/kg/min als Erhaltungsinfusion zugelassen. Tirofiban ist zur Prävention eines drohenden Myokardinfarkts bei Patienten mit instabiler Angina pectoris oder einem Nicht-Q-Wellen-Myokardinfarkt angezeigt. Weitere Details sind der Fachinformation zu entnehmen.

Abb.1 Kumulatives Risiko für Tod und Myokardinfarkt nach Fox KA et al. Lancet 2005; 36 (9489): 914-920