Dtsch Med Wochenschr 2007; 132(51/52): 2759-2761
DOI: 10.1055/s-2007-993132
Weihnachtsheft

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Die Provinz des Homo patiens

Elias Canetti als „medizinischer Autor”The province of Homo patiens Elias Canetti as a „medical author”K. Engelhardt
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Publication Date:
12 December 2007 (online)

Eins seiner Bücher heißt „Die Provinz des Menschen” [5]. Es könnte auch heißen „Die Provinz des Homo patiens”, denn ein Lebensthema Elias Canettis umfasst Kranksein, Endlichkeit und Tod. Der vielsprachige Dichter (1905 - 1994), ein sephardischer, bzw. spaniolischer Jude, wurde im bulgarischen Rustschuk geboren. 1911 kam er mit seinen Eltern nach England und wuchs später in Wien, Zürich und Frankfurt am Main heran. In Wien begann er ein Chemiestudium, das er 1929 mit einer Promotion abschloss. Sechs Jahre später erscheint sein einziger Roman „Die Blendung”. Wegen des deutschen Einmarschs in Österreich muss er mit seiner ersten Frau Veza fliehen, zunächst nach Paris, dann nach England [20].

Populär wurde Canetti durch seine dreibändige Lebensgeschichte [8] [9] [10]. Das erste Buch, „Die gerettete Zunge”, widmet er seinem ärztlichen Bruder, dem Tuberkuloseforscher Georges Canetti (1911 - 1971). Diese Selbstbiographie, die sein Leben vom Jahr 1905 bis 1935 erzählt, überraschte „durch die Klarheit ihrer Sprache, durch die Vollendung ihrer Form” [1]. Elias Canetti glaubte, dass der Ruhm korrumpieren kann und beneidete jeden, der wie Kafka „seinen Ruhm nicht mehr erlebt hat” [12]. Aber Ruhm blieb ihm nicht erspart. Nach zahlreichen Ehrungen erhielt er 1981 den Nobelpreis für Literatur.

Lebenslang rebellierte Canetti gegen den Tod. Eine Ursache dafür ist, dass er als Kind in England den schockierenden Tod des jungen Vaters erlebte. Wochenlang wachte der Siebenjährige über die verzweifelte Mutter, dass sie sich nicht das Leben nahm [30].

Sexuelle Konflikte und dramatische Zuspitzungen wurden in seiner zu Lebzeiten erschienenen Autobiographie ausgeblendet [28]. Diese Probleme erfährt der Leser erst aus nach dem Tode Canettis von anderen Autoren geschriebenen Biographien [20] [24]: So führte er zeitweise ein polygames Leben, das mehrere Geliebte, wie die Schriftstellerinnen Friedl Benedikt, Iris Murdoch und die Malerin Marie-Luise von Motesiczky, einschloss.

Obwohl Canetti lebenslang gegen den Tod, der ihm auch zwei Ehefrauen entrissen hatte, protestierte, durfte er friedlich sterben. „… Als Johanna (seine einzige Tochter) ihn am Sonntagmorgen beim Frühstück vermisste, fand sie ihn tot in seinem Bett, ohne jedes Aufbäumen gegen den Tod [15].

Abb. 1 Elias Canetti (1905-1994). Foto: DLA-Marbach

Literatur

Prof. Dr. med. Karlheinz Engelhardt

Jaegerallee 7

24159 Kiel