Z Sex Forsch 2008; 21(1): 56-75
DOI: 10.1055/s-2008-1004712
Originalarbeit

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Sexueller Kindesmissbrauch und die Wirkmacht der Kultur[1]

Diederik F. Janssen
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Publication Date:
19 March 2008 (online)

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Übersicht:

In den 1970er-Jahren, so der Autor, wird unter dem Einfluss des Feminismus ein Diskurs zum sexuellen Missbrauch von Kindern installiert, der sexuelle Handlungen von Erwachsenen und Kindern mit einem neuen Nachdruck skandalisiert. Er beeinflusst nachhaltig Definitionen, Forschungslinien, therapeutische und forensische Konzepte, politische Interventionen und die Konstruktion autobiografischer Narrative und Bedeutungszuschreibungen und kreist um die Unausweichlichkeit schweren und anhaltenden Leidens durch solche Handlungen. Indem dieser Diskurs hegemonial wurde, konstituiert er eine Universalität der pathogenen Folgen für die Opfer und der Pathologie bzw. Verworfenheit der Täter und postuliert, dass die zerstörerische Natur des Missbrauchs durch Kultur niemals aufgehoben werden kann. Das dieser Annahme implizite Konzept der schwachen Wirkmacht von Kultur (in dieser Frage) führt zum Anspruch transkultureller Gültigkeit des Diskurses und zu einer totalisierenden Vereinnahmung von ethnohistorisch beschriebenen Gebräuchen anderer Kulturen. Der Autor plädiert dafür, die Möglichkeiten einer kritischen Ethnographie zum Verständnis des sexuellen Missbrauchs als zeitgenössisches soziales Szenario zu nutzen, um zu einem sinnvollen, moralisch gehaltvollen Begriff des sexuellen Missbrauchs zu gelangen.

1 Aus dem Englischen übersetzt von Robin Cackett.