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DOI: 10.1055/s-2008-1027649
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York
Neue Aufgabenverteilung der Gesundheitsberufe
Bericht vom Symposium in der Robert-Bosch-Stiftung Berlin am 6. Juni 2008Publication History
Publication Date:
11 July 2008 (online)
Der Sachverständigenrat empfahl in seinem Gutachten von 2007 (www.svr-gesundheit.de) eine neue Verteilung der Aufgaben im Gesundheitswesen und eine bessere Zusammenarbeit der Gesundheitsberufe. Das sei eine der Voraussetzungen, um den aktuellen Herausforderungen wie der Alterung der Gesellschaft mit einhergehender Multimorbidität und veränderten Patientenbedürfnissen zu begegnen.
Zu diskutieren, wie diese Neuverteilung aussehen könnte, sollte Ziel des Symposiums sein, zu dem die Robert Bosch-Stiftung, der Bundesverband Selbstständiger Physiotherapeuten – IFK sowie die AG Zukunft des Gesundheitswesens Kooperation mit der Bundesarbeitsgemeinschaft der Heilmittelverbände (BHV) eingeladen hatten. Die Teilnehmer waren Leistungserbringer wie zum Beispiel Physiotherapeuten, Ergotherapeuten, Logopäden, Diätassistenten und Ärzte, aber auch Politiker bzw. Vertreter unterschiedlicher Ministerien der Länder und der Krankenkassen.
Prof. Dr. Eberhard Wille stellte die Sichtweise des Sachverständigenrats vor und benannte Ziele, Veränderungsmöglichkeiten und Voraussetzungen.
Ziele der Neuorientierung sind u. a.:
Abbau von Versorgungsdefiziten, Minderung der Abhängigkeit der Morbidität vom sozio-ökonomischen Status, erhöhte Qualität und Wirtschaftlichkeit der Versorgung, bessere Kooperation der Beschäftigten, flexible Anpassung an regionale Gegebenheiten, Erhöhung der Arbeitszufriedenheit.
Veränderungen können durch berufliche Rollenveränderungen erreicht werden:
Übertragung von Aufgaben einer Berufgruppe auf eine andere (Delegation und Substitution) Spezialisierung auf bestimmte Aufgaben Integration neuer Aufgabengebiete in bestehende Berufsgruppen oder Schaffung neuer Berufe
Die Veränderung könne nur schrittweise geschehen, indem zunächst die Delegation von Aufgaben durch den Arzt an nicht-ärztliche Gesundheitsberufe in Modellprojekten evaluiert werde und bei positivem Ergebnis diese Aufgaben in die nicht-ärztliche Berufsgruppe integriert würden.
Voraussetzungen dafür sind u. a. die Bereitschaft der Ärzte, Aufgaben zu delegieren und abzugeben, die Bereitschaft der nicht-ärztlichen Gesundheitsberufe, Verantwortung zu übernehmen und die rechtliche Absicherung der neuen Aufgabenverteilung. Auch eine Neuordnung der Ausbildungen im Gesundheitswesen ist damit verbunden – dieses Thema wurde immer wieder Gegenstand der Diskussion.
Als Beispiele für Kooperationsmöglichkeiten nannte Wille ambulante multiprofessionelle Teams zur Versorgung von Patienten mit chronischen Erkrankungen, transsektionales Case Management, hochspezialisierte Behandlungsteams in Krankenhäusern sowie regionale, umfassende Versorgungseinheiten unter Einbeziehung aller Leistungserbringer (Medizinische Versorgungszentren, MVZ).
Dr. Cornelia Goesmann drückte die Reaktion der Bundesärztekammer dazu deutlich aus: Delegation ja, Substitution nein, Kooperation solle vorangetrieben werden. Man könne sich MVZs vorstellen, wünsche sich
eine bessere Versorgung der sogenannten prekären Bevölkerungsgruppen, eine bessere ambulante psychiatrische Versorgung und mehr aufsuchende Versorgung.
Die Verantwortung für Diagnostik, Therapie und deren Verordnung müsse jedoch weiterhin bei den Ärzten liegen.
Das Thema „Direktzugang des Patienten zur Physiotherapie” war die zentrale Forderung vonseiten der Leistungserbringer. Ute Repschläger, Vorsitzende des IFK, forderte ihn ebenso wie weitere Redner aus dem Publikum. Auch Arnd Longrée als Vertreter der Bundesarbeitsgemeinschaft der Heilmittelverbände nannte in seinem Vortrag die Forderungen der Physiotherapeuten und Logopäden nach dem Direktzugang. Während die Logopäden die Akademisierung als Voraussetzung zur Gewährleistung von Patientensicherheit und Wirtschaftlichkeit sehen, fordern die Physiotherapeuten unabhängig von akademischer Ausbildung den Direktzugang für alle Physiotherapeuten. Pauschal erklärte Longrée für die BHV, dass die Therapieberufe bereit seien, mehr Verantwortung zu übernehmen.
Leider blieb es bei einem allgemeinen Austausch von Standpunkten. Konkrete Aufgaben, die man übernehmen könne, wie z. B. vonseiten der Ergotherapie Case Management, Hilfsmittel- und Wohnraumberatung, Beratung von Betroffenen und Angehörigen, Organisationen und Entscheidungsträgern in einer Gemeinde, wurden nicht genannt. Nur auf einer konkreten Ebene lassen sich jedoch Kooperationen und Modellprojekte entwickeln, wird Delegation möglich.
Die Bundesärztekammer bemühe sich nach Auskunft von Goesmann darum, aktuelle ärztliche Aufgaben genauer zu beschreiben und zu klären, was sinnvoll delegiert werden könne. Dazu gab es eine Umfrage und werden Studien gefördert.
Auch die Gesundheitsberufe müssen nun ihre Vorarbeit leisten und ganz konkret benennen, welche Aufgaben sie zukünftig ausführen wollen und können und welche Auswirkungen das auf Aus- und Weiterbildung haben soll.
Dr. Rolf-Ulrich Schlenker als Vertreter der Gmünder Ersatzkasse erläuterte, in welche Richtung sich die Rahmenbedingungen dazu vor allem im ambulanten Bereich verändern werden: Selektivverträge werden die Pauschalverträge mit Berufsverbänden ablösen und den Markt völlig neu strukturieren. Bundesweite Großanbieter, die Komplettangebote für die ambulante Versorgung liefern, sind die Wunschpartner der Krankenkassen. Die kleine individuelle Einzelpraxis ist ein Modell der „alten Welt”, das dann der Vergangenheit angehören wird.
Im Sachverständigengutachten heißt es: Die Diskussion um neue Kooperationsformen und Kompetenzen von Gesundheitsberufen ist nicht primär aus der Perspektive der Berufsgruppen, sondern auf der Basis der zukünftigen Anforderungen an das Gesundheitssystem – d. h. aus der Patientenperspektive – zu führen (2007, Kurzversion S. 22). Die Betroffenen mit einzubeziehen und ihre Bedürfnisse zu erfragen, sollte deshalb am Anfang aller Veränderungsbemühungen stehen.
Heidrun Becker
Email: Heidrun.Becker@thieme.de