Der Klinikarzt 2008; 37(1): 3
DOI: 10.1055/s-2008-1052287
Editorial

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Höhepunkt und Niedergang ärztlicher Kommunikation - Der Arztbrief als Exempel

Matthias Leschke
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Publication Date:
18 February 2008 (online)

Der Schwerpunkt der heutigen Ausgabe des klinikarzt beschäftigt sich mit der ärztlichen Kommunikation. Vorherrschender Aspekt der Artikel ist die historische Betrachtung. Der Beitrag über die Konsiliarkorrespondenz beispielsweise zeigt brillant, wie kunstvoll, ja oft literarisch sich die briefliche Kommunikation zwischen Patient und Arzt gestaltete. Im Zeitalter der E-Mails, der aufs Wesentliche reduzierten Kommunikation, empfinden wir diese als höchst unmodern. Unsere neue „Sachlichkeit” ist meist jedoch nur unbedachte Oberflächlichkeit. Was ich damit meine, will ich am Exempel des Arztbriefes verdeutlichen.

Der Arztbrief erfreut sich keiner sonderlichen Beliebtheit. Er bereitet Mühe und kostet Zeit, und die ist im klinischen Alltag heute knapp. Noch vor wenigen Jahren wurde der Arztbrief obligatorisch einem Diktiergerät anvertraut, doch Schreibpersonal steht heute nur noch in begrenztem Umfang zur Verfügung. Bis heute ein diktiertes Schreiben fertig, kontrolliert, unterzeichnet und zur Post gelangt ist, kann es oft Wochen dauern. Für den weiterbehandelnden Arzt ist das ärgerlich, für den Patienten unerträglich und unter Umständen sogar gefährlich. Denn jeder Patient ist ein individueller Fall.

Noch vor ein oder zwei Jahrzehnten war der Arztbrief eine sehr persönliche Mitteilung des behandelnden Arztes an einen Kollegen - ein Bündel an Fakten, die sich zu einem Gesamtbild, und durchaus einem persönlichen des Arztes, zusammenfanden. Heute huldigen wir einem fatalen reduktionistischen Informationsbegriff: Um aber die individuelle physische und psychische Situation des Patienten ablesen zu können, braucht es mehr als eine bloße Datensammlung, nämlich eine Evaluierung der diagnostischen Komponenten und der Komposition eines Gesamteindrucks, der dem Kollegen eine profunde Meinung über den Therapieverlauf und -erfolg inklusive einer Perspektive vermittelt.

Ich habe meine Assistenten gebeten, ihre Vorstellung vom Arztbrief zusammenzufassen. Das einhellige Resümee: Diagnosemitteilung und Therapieempfehlung. Explizit votierten sie für einen minimalen Textumfang mit maximalem Informationsgehalt und verzichteten auf die Darlegung der körperlichen Untersuchung mit Verstand, Instinkt und Stethoskop, der man heutzutage ohnehin kaum noch eine Bedeutung beimisst und blindlings die Resultate des Labors und der bildgebenden Verfahren favorisiert. Als unnötig empfanden sie auch die Interpretation der Laborparameter und eine Diskussion der Befunde. Entscheidend sei die Schnelligkeit, mit der der Arztbrief eingegeben werde. Die jungen Kollegen haben es auch verinnerlicht, dass der Arztbrief möglichst lückenlos die für die Abrechnung relevanten Daten enthalten müsse.

Dass der weiterbehandelnde Kollege sich aus dem Datenkonglomerat selbst ein Bild verschaffen muss, berührt offensichtlich weniger als die Furcht, der Kostenträger könnte den Arztbrief für seine Kontrolle nutzen. Auf der Grundlage eines Arztbriefes lässt sich jedoch nicht die Entscheidung über eine korrekte Kodierung fällen. Dennoch ist der Arztbrief heute die Basis für eine korrekte Abrechnung und teilt erst dann den Status des Patienten für seine Weiterbehandlung mit. Demnach ist der Arztbrief vorrangig zum zentralen Dokumentations- und Steuerungsdokument für die stationäre Krankenhausbehandlung mutiert!

Aufzuhalten ist diese Entwicklung nicht. Doch schon dieses Beispiel zeigt, wie unsere Medizin immer mehr zum Medizinbetrieb verkommt. Wem dient dieser fundamentale Wandel eigentlich - der Bürokratie oder dem Wohl des Patienten? Es heißt, dass dies alles die Versorgungsqualität hebe. Fragen wir doch einfach unsere Patienten, ob sie sich heute besser, liebevoller und persönlicher behandelt fühlen!

Prof. Dr. Matthias Leschke

Esslingen