Notfall & Hausarztmedizin 2008; 34(2): 102-103
DOI: 10.1055/s-2008-1063032
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Kommentierung der Arbeit von Jandeleit-Dahm, Endocrinol Metab Clin N Am 2006 - AT1-Rezeptorblockade bei Diabetikern

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Korrespondenz

Priv.-Doz. Dr. med. Peter Bramlage

Institut für Klinische Pharmakologie

Medizinische Fakultät Carl Gustav Carus

Technische Universität Dresden

Fiedlerstraße 27

01307 Dresden

Email: peter.bramlage@mailbox.tu-dresden.de

Publication History

Publication Date:
10 March 2008 (online)

 
Table of Contents

Diabetes und Hypertonie sind typische Folgeerscheinungen eines Lebensstils, der mehr und mehr durch eine sitzende Tätigkeit, fehlende Bewegung und einen Überfluss an leicht verdaulicher Nahrung gekennzeichnet ist. Dementsprechend steigt die Prävalenz beider Erkrankungen seit Jahren an. Diabetes und Hypertonie erhöhen das kardiale, vaskuläre und renale Risiko deutlich - vor allem wenn sie gemeinsam auftreten. Dabei unterscheidet sich die Reihenfolge ihres Auftretens in Abhängigkeit von der Art des Diabetes. Typ-1-Diabetiker entwickeln erst spät im Verlauf der Erkrankung eine Hypertonie und die erhöhten Glukosespiegel stehen zunächst im Vordergrund. Typ-2-Diabetiker sind häufig zunächst hyperton und entwickeln im weiteren Verlauf, also erst nach Jahren, einen manifesten Diabetes.

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Unterschiede zwischen Substanzklassen bei Behandlung von Diabetikern

Bei der Behandlung der Hypertonie scheint es nicht gleichgültig zu sein, welches antihypertensive Therapieprinzip - auch im Hinblick auf metabolische Effekte - zur Kontrolle des Blutdrucks bei Patienten mit Diabetes herangezogen wird. So tritt bei prädiabetischen Patienten unter einer Behandlung mit AT1-Rezeptorblockern ein Diabetes seltener auf als unter Diuretika und Betablockern [1], [2]. Auch sind die Unterschiede zwischen den Substanzklassen im Hinblick auf die Vermeidung von kardiovaskulären Ereignissen bei Diabetikern besonders groß, wie die LIFE-Studie in einem Vergleich von Losartan und Atenolol gezeigt hat [3], [4]. Der primäre Endpunkt (kardiovaskuläre Mortalität, Schlaganfall oder Myokardinfarkt) wurde bei allen Patienten der Studie (n = 9193 zu Beginn) um adjustiert 13,0% (p = 0,021), in der Subgruppe der Diabetiker um adjustiert 24,5% gesenkt (n = 1195; p = 0,031).

Diese und andere wegweisende Befunde zur Bedeutung einer AT1-Rezeptorblockade bei Patienten mit Diabetes waren Anlass für Karin Jandeleit-Dahm und Mark E. Cooper, die Fakten zum Thema zusammenzutragen und die verschiedenen Aspekte einer RAS-Blockade bei diabetischen Patienten näher zu beleuchten [5]. Nach Ansicht der Autoren spielen die makrovaskulären Erkrankungen, wie beispielsweise die linksventrikuläre Hypertrophie und die Herzinsuffizienz, sowie die mikrovaskulären Erkrankungen, wie die diabetische Retinopathie und die Nephropathie, in diesem Zusammenhang eine große Rolle.

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Reduktion makrovaskulärer Erkrankungen unter RAS-Blockade

Diabetische Patienten haben häufiger eine generalisierte Arteriosklerose, eine linksventrikuläre Hypertrophie, eine Herzinsuffizienz bzw. diabetische Kardiomyopathie (mit vorwiegend diastolischer Funktionsstörung) sowie Myokardinfarkte und Schlaganfälle als nicht diabetische Vergleichspersonen. Kommt die arterielle Hypertonie hinzu, die bei der Mehrzahl der Diabetiker zu finden ist, sind diese Veränderungen in ihrer Ausprägung noch verstärkt (Strong-Heart-Studie; [6]).

Daten von Haffner und Kollegen zeigen, dass die Wahrscheinlichkeit eines Myokardinfarkts bei Diabetikern der von Nichtdiabetikern mit bereits abgelaufenem Infarkt entspricht [7]. Eine frühzeitige und aggressive Pharmakotherapie ist daher essenziell. Diese Forderung beruht auf den Studienergebnissen von RENAAL (deutliche Reduktion des kardiovaskulären und renalen Risikos unter dem AT1-Rezeptorblocker) und ASCOT. Hier gelang in der Gruppe unter Beteiligung der RAS-Blockade im Vergleich zu Betablockern oder Diuretika eine Reduktion kardiovaskulärer Ereignisse um 16%, der Schlaganfälle um 23%, der kardiovaskulären Mortalität um 24% und der Gesamtmortalität um 11%.

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Auch Patienten mit mikrovaskulären Erkrankungen profitieren

Besondere Bedeutung messen die Autoren der RAS-Blockade bei Patienten mit Zeichen mikrovaskulärer Störungen (diabetische Retinopathie und Nephropathie) bei. Patienten mit diabetischer Retinopathie profitieren besonders von einer normnahen Einstellung des Blutzuckers, aber auch des Blutdrucks (UKPDS-Studie; 8).

Aufgrund experimenteller Befunde, die eine Stimulation des pathogenetisch bedeutsamen vaskulären endothelialen Wachstumsfaktors ("vascular endothelial growth factors", VEGF) durch erhöhte retinale Angiotensin-II-Spiegel nahelegen, ist aber auch die spezifische RAS-Blockade in den Mittelpunkt des therapeutischen Interesses gerückt. Stimuliert durch die günstigen Effekte einer Lisinopril-Therapie bei Typ-1-Diabetikern in der EURODIAB-Studie, konzipierten Sjölje und Kollegen das sogenannte DIRECT-Studienprogramm ("Diabetic Retinopathy Candesartan Trials"), das die spezifische Blockade des AT1-Rezeptors sowohl bei Typ-1- als auch bei Typ-2-Diabetikern untersucht [9]. Der in dieser Studie verwendete AT1-Rezeptorblocker Candesartan hat sich bereits in Studien zur Therapie von bei Diabetes typischen Komplikationen wie Herzinsuffizienz und Schlaganfall als effektiv erwiesen. Die Ergebnisse werden für 2008 erwartet.

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Tab. 1 Differenzialindikationen von Opioiden

Patienten mit einer diabetischen Nephropathie werden zunächst durch eine erhöhte Proteinausscheidung im Urin auffällig, bevor schwerwiegende Komplikationen auftreten, die zur frühzeitigen Dialyse und zum Tod führen können. Schon die Ausscheidung von subklinischen Mengen Albumin (Männer 3,9-17 mg/g Kreatinin; Frauen 7,5-25 mg/g Kreatinin) weist nicht nur auf die Gefahr einer Nephropathie, sondern auch auf eine erhöhte kardiovaskuläre Gefährdung hin [10]. In einer Reihe von Studien (IRMA-2, IDNT, RENAAL und CALM) wurde die Wirksamkeit von AT1-Rezeptorblockern alleine oder in Kombination mit ACE-Hemmern dokumentiert. Aldosteron-Antagonisten (Spironolacton, Eplerenon) erscheinen aufgrund ihres Wirkprofils vielversprechend, sind aber noch nicht hinreichend untersucht.

Nicht dokumentiert ist darüber hinaus die rechtzeitige Prävention dieser mikrovaskulären Veränderungen bei Patienten, die eine noch subklinische Albuminausscheidung aufweisen. Die BENEDICT-Studie mit Trandolapril lieferte hier erste Evidenz für die Wirksamkeit einer RAS-Blockade. Basierend auf aktuellen Erkenntnissen, wonach das ACE in vivo leicht umgangen werden kann und deshalb eine direkte Blockade des Angiotensin-II-Rezeptors pathophysiologisch sinnvoll erscheint [11], untersuchen laufende Studien - unter anderem die schon genannte DIRECT-Studie mit Candesartan - die Inzidenz der Mikroalbuminurie unter einer Therapie mit AT1-Rezeptorblockern. Mit einer deutlichen Reduktion des kardiovaskulären, aber auch renalen Risikomarkers Urinalbumin wird gerechnet.

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AT1-Rezeptorblockade bei Diabetikern entscheidend

Zusammenfassend kommt der spezifischen RAS-Blockade mit AT1-Rezeptorblockern eine besondere Bedeutung bei der Prävention und Therapie diabetesbedingter mikro- und makrovaskulärer Folgeerscheinungen zu. Die Autoren halten die bislang vorliegende Evidenz in diesem Bereich für schlüssig und verweisen zur Absicherung dieses Vorgehens und zur Sicherung der Indikation Retinopathie auf die laufende DIRECT-Studie und bei makrovaskulären Komplikationen auf ONTARGET.

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Kommentar

Was bedeuten die Studienergebnisse für die Therapie?

Eine risikoadaptierte Pharmakotherapie steht heute im Vordergrund therapeutischer Erwägungen bei arterieller Hypertonie (140/90 mmHg). Die aktuellen Leitlinien der ESC ("European Society of Cardiology") definieren niedrigere Zielwerte für Patienten mit metabolischen Störungen, Diabetes und Endorganschäden. Patienten mit Diabetes mellitus sollen auf Blutdruckwerte unter 130/80 mmHg, solche mit diabetischer Nephropathie auf unter 125/75 mmHg eingestellt werden. Dies trägt dem deutlich erhöhten kardiovaskulären Risiko dieser Patientengruppe Rechnung. Eine Polypharmakotherapie unter Beteiligung von zwei bis drei antihypertensiven Substanzklassen ist bei diesen Patienten die Regel. Welche Komponenten sollten bei der antihypertensiven Therapie des Diabetes mellitus nicht fehlen? Diese Frage wird immer wieder kontrovers diskutiert.

Einsatz von AT1-Rezeptorblockern trotz höherer Kosten sinnvoll

Nach meiner Ansicht sprechen die Daten eine eindeutige Sprache: Eine RAS-Blockade ist essenzieller Bestandteil der Pharmakotherapie. Die pathogenetische Bedeutung von Angiotensin II für die Progression der Endorganschäden und der Nachweis von lokalen Renin-Angiotensin-Systemen in Auge, Niere, Herz und Hirn machen dessen Blockade notwendig.

Die Diskussion um die Abgrenzung von AT1-Rezeptorblockern zu ACE-Hemmern ist dabei vor allem den höheren direkten Kosten geschuldet - echte Vorteile der ACE-Hemmung gegenüber der AT1-Rezeptorblockade sind schwer nachzuweisen. Auf der anderen Seite zeichnen sich AT1-Rezeptorblocker durch eine verbesserte Verträglichkeit und Compliance der Patienten bei ähnlicher blutdrucksenkender Potenz aus; die direkte Rezeptorblockade schaltet die Wirkung von Angiotensin II auf die Zielzelle vollständig aus. Dies sind Eigenschaften, die einen Einsatz bei Diabetikern sinnvoll machen.

Frühzeitiger Einsatz bei ersten Zeichen einer Endorganschädigung indiziert

Sollen wir jetzt jede 18 Jahre alte Typ-1-Diabetikerin schon ohne Hochdruck und Endorganschäden aufgrund organprotektiver Erwägungen mit zum Beispiel 32 mg Candesartan behandeln? Sicher nicht. Wie sieht es mit einem hypertensiven Typ-2-Diabetiker aus, der in einem Alter von 50 Jahren eine Herzinsuffizienz entwickelt? Sicher ja. Doch dazwischen befindet sich ein weiter Bereich, in dem nicht nur medizinische, sondern auch ökonomische Erwägungen bei der Therapieauswahl eine Bedeutung haben. Für mich sind sowohl die linksventrikuläre Hypertrophie, der Schlaganfall, die diabetische Nephropathie und die Herzinsuffizienz "compelling indications" für den Einsatz von AT1-Rezeptorblockern. Dabei ist auf jeden Fall ein frühzeitiger Einsatz bei ersten Zeichen des Endorganschadens wie zum Beispiel eine Albuminausscheidung in den Urin oder kardialer diastolischer Funktionsstörung indiziert. Zu diesen "compelling indications" könnte sich im Herbst 2008 die diabetische Retinopathie gesellen, die im Rahmen des DIRECT-Studienprogramms untersucht wird.

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Literatur

  • 01 Elliott WJ . Meyer PM . Incident diabetes in clinical trials of antihypertensive drugs: a network meta-analysis.  Lancet. 2007;  369 201-207
  • 02 Pfeffer MA . Swedberg K . Granger CB . et al . Lancet. 2003;  362 759-766
  • 03 Dahlof B . Devereux H . Kjeldsen SE . et al . Lancet. 2002;  359 995-1003
  • 04 Lindholm LH . Ibsen H . Dahlof B . et al . Lancet. 2002;  359 1004-1010
  • 05 Jandeleit-Dahm K . Cooper ME . Endocrinol Metab Clin North Am. 2006;  35 469-490 vii
  • 06 Bella JN . Devereux RB . Roman MJ . et al . Am J Cardiol. 2001;  87 1260-1265
  • 07 Haffner SM . Lehto S . Ronnemaa T . et al . N Engl J Med. 1998;  339 229-234
  • 08 Stratton IM . Kohner EM . Aldington SJ . et al . Diabetologia. 2004;  44 156-163
  • 09 Chaturvedi N . Sjoelie AK . Svensson A . J Renin Angiotensin Aldosterone Syst. 2002;  3 255-261
  • 10 Bramlage P . Thoenes M . Paar WD . et al . Med Klin. 2007;  102 833-843
  • 11 Schindler C . Bramlage P . Kirch W . Ferrario CM . Vasc Health Risk Manag. 2007;  3 125-137
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Medizinische Fakultät Carl Gustav Carus

Technische Universität Dresden

Fiedlerstraße 27

01307 Dresden

Email: peter.bramlage@mailbox.tu-dresden.de

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Literatur

  • 01 Elliott WJ . Meyer PM . Incident diabetes in clinical trials of antihypertensive drugs: a network meta-analysis.  Lancet. 2007;  369 201-207
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  • 03 Dahlof B . Devereux H . Kjeldsen SE . et al . Lancet. 2002;  359 995-1003
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  • 09 Chaturvedi N . Sjoelie AK . Svensson A . J Renin Angiotensin Aldosterone Syst. 2002;  3 255-261
  • 10 Bramlage P . Thoenes M . Paar WD . et al . Med Klin. 2007;  102 833-843
  • 11 Schindler C . Bramlage P . Kirch W . Ferrario CM . Vasc Health Risk Manag. 2007;  3 125-137
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