Fibromyalgiepatienten gehören wohl zu den Patienten, die mit das größte "Doktor-Hopping" betreiben. Das meine ich nicht despektierlich, sondern mit großem Verständnis für die in Deutschland rund 1,6 Millionen Betroffenen - zu etwa 80% Frauen. Statt von Fibromyalgie sprechen wir heute vom "Fibromyalgiesyndrom", da das generalisierte Schmerzsyndrom im Muskel-, Bänder- und periartikulären Bereich mit seinen facettenreichen, überwiegend vegetativen Begleitsymptomen keine Entität ist.
Spezialisten müssen sich gegenseitig zuarbeiten!
Spezialisten müssen sich gegenseitig zuarbeiten!
Bei - auch laborchemisch - fehlenden Nachweismöglichkeiten bleibt das Fibromyalgiesyndrom eine Ausschlussdiagnose. Gerade deshalb müssen Hausärzte, Internisten, Rheumatologen, Orthopäden, Neurologen und die übrigen Spezialisten sowie die psychosozialen und physiotherapeutischen Berufsgruppen einander zu- und nicht nebeneinander her arbeiten, eben interdisziplinär und interprofessionell. Berg hat das Problem der Beteiligung zahlreicher Disziplinen sehr schön aufgezeigt (Abb. [1]).
Abb. 1 Der interdisziplinäre Aspekt des Fibromyalgiesyndroms (mod. nach Berg)
Einteilung der Betroffenen in drei Gruppen
Einteilung der Betroffenen in drei Gruppen
Nach Stratz und Müller kann man heute die Patienten mit Fibromyalgiesyndrom in drei Gruppen aufteilen:
Nicht immer ist die Trennung zwischen diesen einzelnen Gruppen jedoch ganz eindeutig, es existieren immer wieder Übergänge oder Mischformen. Klar ist zudem, dass dem Fibromyalgiesyndrom fachübergreifende Faktoren des heute anerkannten biopsychosozialen Ursachenmodells zugrunde liegen.
Die Therapie beruht auf drei Säulen
Die Therapie beruht auf drei Säulen
An einem Fibromyalgiesyndrom mit Depression können ursächlich Verschiebungen innerhalb der anti- bzw. proinflammatorischen Interleukine beteiligt sein. Hierfür spricht, dass diese Patientengruppe relativ gut auf eine fünftägige intravenöse Therapie mit 5mg Tropisetron, einem sogenannten Serotonin- oder auch 5-HAT-3-Rezeptorantagonisten, anspricht. Allerdings ist diese Therapie noch nicht ausreichend gegenüber anderen Schmerzpatienten oder auch Gesunden validiert. Auch über die Länge des Therapieerfolges gibt es unterschiedliche Berichte. Immerhin jedoch ist es ein Ansatz für eine erfolgreiche Behandlung!
Der Nutzen herkömmlicher Analgetika (z.B. nichtsteroidale Antirheumatika) ist in dieser Situation nur teilweise belegt. Sollte Kortison in Ihrer täglichen Praxis Wirkung zeigen, so handelt es sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht um ein primäres, sondern um ein sekundäres Fibromyalgiesyndrom im Sinne eines entzündlich-rheumatischen Prozesses. Auch Opiate haben beim Fibromyalgiesyndrom keine Domäne. Besser sind niedrig dosierte Antidepressiva vom Amitryptilintyp, in letzter Zeit auch Serotonin- oder Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer, wie beispielsweise Duloxetin, das bereits bei der schmerzhaften diabetischen Neuropathie zugelassen ist.
Schwieriger ist die Behandlung der Fibromyalgiepatienten, die eine Depression aufweisen. Vorsicht geboten ist zum Beispiel bei bipolaren Störungen: Denn eine Schmerzfreiheit in manischen Phasen schließt die Fibromyalgie so gut wie aus. Bei der dritten Gruppe der Betroffenen, den Patienten mit Somatisierungsstörungen, steht die verhaltensmedizinisch orientierte Psychotherapie im Vordergrund therapeutischer Bemühungen.
Neben der medikamentösen Behandlung und der Psychotherapie sind nach wie vor physiotherapeutische Maßnahmen indiziert. Diese gelingen am ehesten in moderater Form, wobei individuelle Gesichtspunkte entscheidend sind. Beispielsweise können sowohl Kälte- als auch Wärmeanwendungen wirksam sein. Auch die Krankengymnastik darf nicht überziehen.
Einordnung als psychisches Phänomen ist heute obsolet
Einordnung als psychisches Phänomen ist heute obsolet
Kolleginnen und Kollegen, die das Fibromyalgiesyndrom als eigentlich nicht existent oder als "nur psychisch" einordnen, kann ich aufgrund meiner Erfahrung nicht zustimmen. Zu sehr auch war ich von der Präsentation der Verstellungsmechanismen von Schmerzempfindung und Schmerzreaktion durch Prof. Wolfgang Zieglgänsberger, München, anlässlich eines MEDICA-Symposiums beeindruckt. Diese Abläufe werden sowohl zentral als auch spinal beobachtet. Auch deswegen halte ich eine strenge Klassifizierung des Fibromyalgiesyndroms durch Druckpunkte, sogenannte "Tenderpoints", bei denen nach den Kriterien der amerikanischen Rheumaliga (ARA) definitionsgemäß elf von 18 Druckpunkten schmerzpositiv sein sollen, nicht mehr für obligat.
Literatur beim Verfasser
Prof. Dr. Winfried Hardinghaus,
Internist, Palliativmedizin
Vizepräsident MEDICA Deutsche Gesellschaft für interdisziplinäre Medizin e.V.
Lesen Sie im nächsten Heft:
"Die fünf Blinden und der Elefant - Gedanken zur Interdisziplinarität"