Einleitung
Einleitung
Die leitliniengerechte Therapie des Ulcus cruris basiert neben der
phasengerechten Lokaltherapie auf der kausalen Behandlung. Um eine solche
Therapie einleiten zu können, ist die Kenntnis der der Wunde zugrunde
liegenden Ursachen von entscheidender Bedeutung.
Die Ursachen von chronischen Ulzera sind vielfältig. Die Gruppe
der gefäßbedingten Ulzera des Beines bilden mit etwa
90 % die Mehrheit. Hierzu zählen mit
57 – 80 % die chronisch venöse
Insuffizienz, mit 10 – 25 % die arterielle
Verschlusskrankheit und mit 5 – 12 % die
diabetische Angiopathie [1].
Die 10 % der nicht gefäßbedingten
chronischen Wunden umfassen eine große Zahl unterschiedlicher Ursachen.
Dazu zählen immunologisch vermittelte Erkrankungen, wie das Pyoderma
gangraenosum, Vaskulitiden und andere Systemerkrankungen. Weitere Ursachen sind
infektiöse Erkrankungen, Tumoren, sowie Erkrankungen der Blutbildung und
-gerinnung und nicht zuletzt metabolische Ursachen.
In der Medizin gilt der Leitsatz „Häufiges ist
häufig und Seltenes ist selten”. Bei der Beurteilung einer Wunde
ist es jedoch von entscheidender Bedeutung, die selteneren Ursachen des Ulcus
cruris zu kennen und zu erkennen.
Folgender Artikel soll einen Überblick über diese
selteneren Ursachen des Ulcus cruris und deren Charakteristika geben.
Systematik nicht gefäßbedingter Ulzera
Systematik nicht gefäßbedingter Ulzera
Die nicht gefäßbedingten Ursachen des Ulcus cruris sind
vielfältig. [Tab. 1] soll einen
Überblick über diese geben. Im Weiteren wird auf die einzelnen, deren
Diagnostik und Therapie näher eingegangen.
Tab. 1 Klassifikation des
nicht gefäßbedingten Ulcus cruris [2].
Nicht
gefäßbedingte Ursachen des Ulcus cruris
| Beispiele
| Diagnostik
|
Vaskulitiden
| – Vaskulitiden bei
Kollagenosen – Livedovaskulitis –
Kryoglobulinämie – Necrobiosis lipoidica –
Morbus Wegener – Periarteritis nodosa
| – Serologische
Vaskulitisdiagnostik, – Probebiopsie
|
Pyoderma gangraenosum
| | – Klinisches
Erscheinungsbild – Probebiopsie – Ausschluss
anderer Ursachen – Grunderkrankungen
|
Infektionen
| – Bakterielle
Infektionen – Mykosen – Protozoeninfektionen
– Virale Infektionen
| – mikrobiologische
Diagnostik (Abstriche, Serologien) – Probebiopsie
|
Neuropathische Ursachen
| – Diabetische
Neuropathie
| –
Polyneuropathie-Diagnostik (Sensibilitätsprüfung)
|
Metabolische Ursachen
| – Arzneimittel
(z. B. Ergotamin, Phenprocoumon, Antibiotika [Penicillin,
Sulfonamide], Hydoxyurea) – Amyloidose –
Gicht
| –
Probebiopsie – Medikamentenanamnese
|
Tumoren
| – Basaliom, Ulcus
terebrans – Spinaliom –
Melanom – Lymphom –
Metastasen – Kaposi-Sarkom
| – Probebiopsie
|
Physikalische/chemische
Ursachen
| –
Verbrennung – Radiatio –
Dekubitus – Erfrierung – Verätzung
| – Anamnese
– ggfs. Probebiopsie zum Ausschluss eines malignen Geschehens
|
Erkrankungen der
Blutbildung und -gerinnung
| –
Gerinnungsstörungen prokoagulatorisch (z. B.
Protein-C/S-Mangel, APC-Resistenz, AT-III-Mangel, Hyperhomozysteinämie,
PAI-1-Erhöhung,
Antiphospholipidsyndrom) antikoagulatorisch Blutbildungsstörungen Sichelzellanämie Sphärozytose Thalassämie sideroachrestische
Anämie – Myeloproliferative
Erkrankungen Polycythaemia vera Thrombozythämie
| – Gerinnungsanalytik
bei positiver Familienanamnese oder Eigenanamnese (thrombembolische
Geschehen)
|
Vaskulitiden
Vaskulitiden
Ein vielfältiges Ursachengebiet sind die verschiedenen Formen
der Vaskulitis, welche mit Wundbildung einhergehen können. Sie werden nach
der Größe der betroffenen Gefäße und der
Entzündungsreaktion eingeteilt. Häufig ist die leukozytoklastische
Vaskulitis, welche als eigenständiges Krankheitsbild auftreten kann, aber
auch in Begleitung einer internistischen Grunderkrankung wie
myeloproliferativen oder rheumatischen Erkrankungen vorkommt [3].
Klinisch zeigen sich zunächst livide Makulä, welche im
zweiten Schritt exulzerieren ([Abb. 1]).
Eine Untersuchung unter anderem der Nieren und des Herzens sollte
stets erfolgen, um eine Organbeteiligung auszuschließen.
Diagnostisch von Bedeutung ist das klinische Bild, die Histologie,
serologische Immunparameter sowie der Verlauf. Therapeutisch steht eine
Immunsuppression mit Kortikosteroiden an erster Stelle [4].
Abb. 1 a, b Leukozytoklastische
Vaskulitis am Unterschenkel.
Pyoderma gangraenosum
Pyoderma gangraenosum
Das Pyoderma gangraenosum ist eine Erkrankung, bei der es
typischerweise zu spontanen oder nach Traumen auftretenden Ulzerationen kommt.
Diese zeigen sich nekrotisch belegt, verfügen über einen
unterminierten Randsaum und eine livide Zeichnung der Wundumgebung ([Abb. 2]). Ebenfalls typisch ist das Auftreten von
massiven Schmerzen und die rapide Vergrößerung der Wunde, vor allem
nach mechanischer bzw. chirurgischer Manipulation. In 50 % der
Fälle ist das Pyoderma gangraenosum mit weiteren Erkrankungen wie
Lymphomen, anderen Malignomen, chronisch entzündlichen Darmerkrankungen
oder Diabetes mellitus assoziiert [5].
Abb. 2 Pyoderma gangraenosum
dorsaler Unterschenkel.
Die Ursache der Erkrankung ist unklar, eine generalisierte
Leukozytenaktivierung wird vermutet.
Die Diagnose zu stellen ist beim Pyoderma gangraenosum häufig
eine Herausforderung und erfordert in einzelnen Fällen mehrfache
diagnostische Maßnahmen und Verlaufsbeurteilungen. Wegweisend sind das
klinische Erscheinungsbild, die Histologie und der Verlauf der Erkrankung
[5]
[6]. Bei weitem nicht bei allen
Patienten zeigt sich histologisch das typische Bild, daher kann es sich bei
dieser Erkrankung gelegentlich um eine Ausschlussdiagnose handeln.
Therapeutisch kommen Immunsuppressiva zum Einsatz. Kortikosteroide mit
1 – 2 mg/kg KG sind das Mittel der ersten Wahl. Im
zweiten Schritt, bei fehlendem Ansprechen oder längerer Abheilungszeit
werden andere Immunsuppressiva verwendet. Cyclosporin A mit 5 mg/kg KG
stellt das Standardtherapeutikum dar. Aber auch für andere
Immunsuppressiva wie Azathioprin, Cyclophosphamid oder aber
TNF-α-Antagonisten wurde eine gute Wirksamkeit beschrieben. Die Studie
von Brooklyn et al. konnte ein Ansprechen bei 49 % auf Infliximab
nach 2 Wochen zeigen, im Verlauf zeigte sich bei 23 primären
Non-Respondern nach 6 Wochen eine Ansprechrate von 69 %.
21 % zeigten eine komplette Remission [7].
Infektionen
Infektionen
Die infektiösen Ursachen der Wundentstehung erstrecken sich
über bakterielle Infektionen wie Ekthyma und Erysipel ([Abb. 3]), Pilzerkrankungen, virale Erkrankungen und
selten auch Protozoeninfektionen wie die kutane Leishmaniasis, welche unter
anderem in Südeuropa und Südamerika vorkommt.
Durch Bakterien wie Staphylococcus aureus kann es zu einem Erysipel
kommen, in dessen Folge es beispielsweise bei bullösen Formen zu
Wundheilungsstörungen kommen kann. Diagnostisch steht hier das klinische
Bild mit den entsprechenden Laborparametern im Vordergrund zur Anpassung der
Therapie bei Nichtansprechen der Erregernachweis.
Abb. 3 Erysipel mit zentraler
Ulzeration, Unterschenkel.
Neuropathische Ursachen
Neuropathische Ursachen
Bei Erkrankungen des peripheren Nervengewebes kann es zu
Reizleitungsstörungen der autonomen, sensiblen und motorischen
Nervenimpulse kommen, infolgedessen zu Fehlbelastungen, Traumata und
Ulzerationen. Typische Erkrankung, bei der es zur Polyneuropathie kommt, ist
der Diabetes mellitus ([Abb. 4]). Ein analoges
Krankheitsbild kann auch durch die äthyltoxische Leberzirrhose
hervorgerufen werden.
Klinisch zeigen sich Hyperkeratosen an belasteten Stellen wie an der
Fußsohle oder an den Knöcheln. Maximalvariante dieser Erkrankung ist
der Charcot-Fuß, bei dem nicht nur eine Hautwunde am Fuß vorliegt,
sondern auch das Fußskelett deformiert und zum Teil zerstört
ist.
Abb. 4 Malum perforans, Wagner
Stadium II A, plantar.
Metabolische Ursachen
Metabolische Ursachen
Durch eine Kummulation von körpereigenen oder -fremden Stoffen
kommt es zur Induktion lokaler Nekrosen und einer erhöhten
Gewebsverletzlichkeit. Ursachen hierfür können Medikamente
(z. B. Hydroxyurea, Marcumar) oder aber körpereigene Stoffe
(Harnsäure, Amyloid, Kalziumsalze) sein.
Bei der Gabe von Hydroxyurea kann es nach einer gewissen Latenz zum
Auftreten von sehr schmerzhaften Ulzera, typischerweise im Bereich der
Innenknöchel kommen ([Abb. 5 a]).
Diese zeigen sich gegenüber der Lokaltherapie häufig
äußerst therapieresistent [8]
[9].
Die bisher beschriebenen Fälle zeigen, dass die einzig kausale
Therapie das Absetzen oder Pausieren des Medikaments ist. Ist dieses nicht
möglich, ist die Wahrscheinlichkeit der Abheilung gering. In diesem Fall
steht die Infektionsprophylaxe und Schmerztherapie im Vordergrund.
Ein weiteres Beispiel ist die Kalziphylaxie ([Abb. 5 b]), bei der es zur Einlagerung von
Kalziumsalzen in die Haut und andere Organe kommt. Die Haut ist panzerartig
verhärtet, Ulzerationen entstehen häufig im Bereich der
Unterschenkel, welche sehr schmerzhaft sind. Therapeutisch steht die
Lokalbehandlung und Schmerztherapie neben der Reduktion der Kalziumeinlagerung
im Vordergrund. Dieses Krankheitsbild kommt typischerweise bei
niereninsuffizienten Patienten und Dialysepflicht vor. Eine Veränderung
der Dialyseparameter, mit konsekutiv vermindertem Anfall von Kalziumsalzen kann
zu einer Besserung der Wundheilung führen. Insgesamt handelt es sich aber
um sehr schwer zu therapierende Wunden.
Abb. 5 a Ulcus cruris bei
Hydroxyurea-Therapie. b Ulkus bei Kalziphylaxie,
medialer Unterschenkel.
Tumoren
Tumoren
Maligne Erkrankungen kommen als primäre Ursache oder als
Begleiterkrankungen von Wunden in Frage.
Zu nennen sind hier Hauttumoren, darunter Basaliome, Spinaliome,
Melanome und Lymphome, zum anderen Metastasen anderer Organe ([Abb. 6]). Bei Exulzeration können diese
zunächst als Wunden imponieren und erst durch eine Biopsie als maligne
entlarvt werden.
Bei längjährig bestehenden Ulzera kann es aber auch im
zweiten Schritt zur malignen Entartung kommen. Beispiel hierfür ist das
Narbenkarzinom.
Aufgrund dessen ist es bei langjährigem Bestehen einer Wunde
(z. B. über ein Jahr) und bei ungewöhnlichem klinischen
Erscheinungsbild notwendig, Serienbiopsien durchzuführen.
Abb. 6 Exulzeriertes Basaliom
prätibial.
Physikalische Ursachen
Physikalische Ursachen
Infolge physikalischer und chemischer Schädigungen an der Haut
kann es akut und nach langem Verlauf zu Wunden kommen. Dazu gehören Hitze,
Kälte, Bestrahlung, Verätzungen und Narben.
Beim Strahlenulkus ([Abb. 7]) kommt es
häufig nach jahrzehntelanger Latenz zu Wundheilungsstörungen. Dieses
ist durch das qualitativ minderwertige, bradytrophe Narbengewebe bedingt,
welches zu Wunden und zu Wundheilungsstörungen neigt. Das Narbengewebe
verfügt über eine verminderte Elastizität,
Lymphabflussstörungen und Durchblutungseinschränkungen.
Auch hier muss immer an ein malignes Geschehen gedacht werden.
Abb. 7 Chronisches Ulkus bei
Radioderm, dorsaler Oberschenkel.
Erkrankungen der Blutbildung und -gerinnung
Erkrankungen der Blutbildung und -gerinnung
Durch Störungen der Mikrozirkulation infolge mangelnder
Diffusion der Erythrozyten oder eingeschränkter Sauerstoffabgabe oder
Blutbildung kann es zu Wunden kommen. Die Ursachen hierfür sind
vielfältig. Hierzu zählen Gerinnungsstörungen, genetische oder
erworbene (Protein-C/S-Mangel, APC-Resistenz, Antiphospholipidsyndrom), wie
auch Blutbildungsstörungen, darunter die Sichelzellanämie, die
Sphärozytose, die sideroachrestische Anämie.
Ebenso vielfältig wie das Ursachenspektrum, ist auch das
klinische Erscheinungsbild. Wunden können wie bei pAVK mit peripheren
Nekrosen imponieren und auch wie Vaskulitiden mit blitzfigurenartigen
Makulä mit sekundärer Exulzeration am gesamten Integument.
Diagnostisch steht die Blut- und Gerinnungsanalytik im Vordergrund.
Bei positiver Familienanamnese sollte eine genetische Untersuchung
erfolgen.
Die Therapie richtet sich nach der Ursache, gegebenenfalls sollte
eine Antikoagulation eingeleitet werden.