Krankengeschichte
Krankengeschichte
Eine 32-jährige Patientin stellte sich in unserer Ambulanz mit
asymptomatischen, leicht atrophischen, hyperpigmentierten, stammbetonten,
bandförmigen Hautveränderungen vor.
Die Hautveränderungen traten um das 12. Lebensjahr auf. Sie
waren weder juckend noch schmerzhaft, noch waren eine vorangegangene
Entzündung, ein Erythem oder Bläschen erinnerlich. Seit dieser Zeit
trat auch keine Progression oder Regression der Maculae auf. Die Hautstrukturen
und der Haarwuchs zeigten sich normal. Es fand sich kein Hinweis auf eine
Muskelatrophie, weiter zeigte sich das zentrale Nervensystem und das
Skelettsystem unauffällig. Die Patientin nahm keine Medikamente ein und es
bestanden auch keine Atopie oder Allergien. Die Familienanamnese zeigte sich
hinsichtlich von Hauterkrankungen negativ. Nur in der Blutuntersuchung der
Patientin war eine Erhöhung der antinukleären Antikörper von
1 : 640 aufgefallen.
Hautbefund
Hautbefund
Am rechten Abdomen fanden sich scharf zur Mittellinie hin begrenzt,
flächige, hellbraune, nicht indurierte, teilweise etwas unter dem
Hautniveau liegende, z. T. streifige, den Blaschko-Linien folgende
Maculae ([Abb. 1] – [3]). Auch am
Dekolleté, der linken Brust und am oberen Rücken bestanden
münzgroße teils ovale, konfluierende z. T.
unregelmäßig geformte, unscharf begrenzte Maculae. Am linken Arm
zeigte sich ein einige cm breites, unregelmäßig begrenztes,
linienförmiges hyperpigmentiertes Band, welches sich von der linken Brust
bis zum distalen Unterarm erstreckte ([Abb. 4]).
Epiluminiszenzmikroskopisch fand sich in den Läsionen kein
Pigmentnetz.
Abb. 1 Scharfe Abgrenzung zur
Mittellinie.
Abb. 2 Ausbreitung entlang der
Blaschko-Linien.
Abb. 3 Bandförmige Macula
an der rechten Flanke.
Abb. 4 Linienförmige
Ausbreitung am linken Arm.
Laborchemische Untersuchungen
Laborchemische Untersuchungen
Im Routinelabor zeigte sich nur die Harnsäure ein wenig
erhöht, die übrigen Werte der klinischen Chemie sowie das Blutbild
waren unauffällig. Die Borrelien-Serologie sowie die ENA und
ds-DNS-Antikörper waren negativ. Lediglich die antinukleären
Antikörper waren positiv (jetzt 1 : 800).
Apparative Untersuchungen
Apparative Untersuchungen
Im Röntgen-Thorax fand sich ein altersentsprechender
regelrechter kardio-pulmonaler Befund.
In der Lungenfunktionstestung war keine Ventilationsstörung
feststellbar.
In der Abdomen-Sonografie zeigte sich kein pathologischer Befund der
intraabdominellen Organe, auch die Ösophagus-Funktionsszintigrafie war
unauffällig.
Im EKG fand sich ein Sinusrhythmus, eine Herzfrequenz von 83/min,
keine Erregungsrückbildungsstörungen, sowie in der Echokardiografie
ein Normalbefund.
Wir führten eine Biopsie der Haut am rechten Oberbauch durch.
Der Immunfluoreszenz-histologische Befundbericht war negativ, auch fand sich in
der Elastica-Färbung kein pathologischer Befund, die elastischen Fasern
zeigten sich unauffällig. In der oberen und mittleren Dermis bestand ein
diskretes perivaskuläres lymphohistiozytäres Infiltrat. Weiter fand
sich in den Basalschichten der Epidermis eine geringe Melaninvermehrung.
Diskussion
Diskussion
Atrophodermia linearis Moulin hat wegen der geringen Atrophie und
der Hyperpigmentierung eine starke Ähnlichkeit mit der Atrophodermia
ideopathica progressiva Pasini et Pierini. Jedoch folgt die ALM den Blaschko-Linien und wurde erstmals 1992 von Moulin
nach der Untersuchung von 5 Patienten beschrieben [8].
Die Blaschko-Linien korrelieren weder mit neuralen noch mit vaskulären
Versorgungsgebieten, sondern entsprechen vermutlich embryonalen Wachstumslinien
der Haut [7]
[9]
[10].
Diese wurden erstmals vom Berliner Dermatologen Alfred Blaschko
(1858 – 1922) im Jahre 1901 beschrieben ([Abb. 5]) [1].
Abb. 5 Anordnung der
Blaschko-Linien.
Die Blaschko-Linien müssen von Dermatomen und Hautspaltlinien
unterschieden werden. Nach dem klinischen Bild und der Pathogenese kann man die
den Blaschko-Linien folgenden Dermatosen in 3 Untergruppen gliedern ([Tab. 1]
– [3])
[3].
Tab. 1 Genodermatosen, die den
Blaschko-Linien folgen.
Incontinentia pigmentii
|
Fokale dermale Hypoplasie
|
Menkes- Syndrom
|
Hidrotische ektodermale
Dysplasie (x-chromosomal)
|
Conradi-Hünermann-Syndrom
|
CHILD-Syndrom
|
Oro-facial-digital-Syndrom, Typ I
|
Eschenblatt-Hypomelanose
(„ash-leaf-Macula”)
|
Familiäre kutane
Amyloidose, Partington-Typ
|
Café-au-lait-Fleck
beim McCune-Albright-Syndrom
|
Tab. 2 Angeborene und/oder
nävoide Erkrankungen, die den Blaschko-Linien folgen.
Hypomelanose Ito
|
Nävus depigmentosus
|
Lineare nävoide
Hypermelanose
|
Nävus sebaceous
Jadassohn
|
Epidermaler Nävus
|
Lineare epidermolytische
Hyperkeratose
|
Entzündlicher
linearer verruköser epidermaler Nävus
|
Porokeratose Mibelli
|
Nävus comedonicus
|
Nävus corniculatus
|
Morbus Darier
|
Transiente
akantholytische Dermatose
|
Ekkrine Nävi
|
Syringozystadenoma
papilliferum
|
Basalzellnävussyndrom
|
Unilaterales
nävoides Basalzellkarzinom
|
Bart-Syndrom
|
Tab. 3 Erworbene Dermatosen,
die den Blaschko-Linien folgen.
Lichen striatus
|
Lineare Psoriasis
|
Linearer Lichen planus
|
Lineare Muzinose und
Mycosis fungoides
|
Segmentale Vitiligo
|
Lineares fixes
Arzneimittelexanthem
|
Lupus erythematosus (LE)
(linearer kutaner LE und linearer LE profundus)
|
Extragenitaler Lichen
sklerosus
|
Generalisiertes
lichenoides Arzneimittelexanthem
|
Atrophodermia linearis
Moulin
|
Lineare Sklerodermie
|
Die Ätiologie der ALM ist ein
genetischer Mosaizismus, der durch eine somatische Mutation einzelner
somatischer Zelllinien (die im Unterschied zu den Keimbahnmutationen nicht
vererbt wird) in der Embryogenese zustande kommt [5]
[9]
[11]. Die ALM tritt sowohl bei männlichen als auch bei weiblichen
Personen auf, wobei jedoch Frauen häufiger betroffen sind
[6]. Ca. 25 Fälle der ALM
wurden bisher in der Literatur beschrieben [4].
Im Jahre 1994 stellten Baumann et al. einen weiteren Fall eines
Patienten mit ALM vor [1]. Dieser
Fall unterschied sich von denen von Moulin et al. durch den Nachweis von
antinukleären Antikörpern, wie dies auch bei unserer Patientin der
Fall war.
Weder zeigte sich bei unserer Patientin eine entzündliche
Randzone noch die Ausbildung eines Erythems. Des Weiteren fand sich trotz
20-jährigem Bestehen der Hautläsionen keine Muskelatrophie und auch
keine Knochenveränderungen. Auffällig war wie bei Baumann et al. eine
Erhöhung der antinukleären Antikörper [1].
Diese Erhöhung wurde bei den Fällen von Moulin et al. nicht
nachgewiesen. Jedoch beschrieben Wokalek et al. im Jahre 1985 eine
Atrophodermia idiopathica progressiva Pasini et Pierini in zosteriformer
Anordnung mit Nachweis von antinukleären Antikörpern. Hierbei
handelte es sich höchstwahrscheinlich auch um eine ALM [2].
In unserem Fall konnte aufgrund der ausführlichen
differenzialdiagnostischen Untersuchungen eine andere streifenförmige
Erkrankung ausgeschlossen werden.
Hinsichtlich der Therapie ist zu sagen, dass in der Studie bei
Baumann et al. durch topische Anwendung von Steroiden und Heparin sowie in der
Studie bei Wollenberg et al. und Rompel et al., welche hochdosiert Penicillin
intravenös verordneten, kein positiver Effekt erzielt werden konnte
[2].
Abschließend ist zu sagen, dass zur Zeit keine wirksame
Behandlung der ALM existiert. Diese Situation ist sehr
belastend für Patienten, da die ALM oft eine
erhebliche Beeinträchtigung der Lebenssituation darstellt und zu
erheblichem emotionalen Stress führen kann.