Der Klinikarzt 2008; 37(5): 218
DOI: 10.1055/s-2008-1081036
MEDICA e.V.

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Serie "Interdisziplinarität in der Medizin" - Die fünf Blinden und der Elefant - Gedanken zur Interdisziplinarität

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Publication Date:
13 June 2008 (online)

 
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"If all you have is a hammer, everything looks like a nail", sagt ein englisches Sprichwort und nimmt damit aufs Korn, dass Experten gewöhnlich nicht über den Tellerrand hinaus blicken. Sie verhalten sich wie die fünf Blinden, die unterschiedliche Teile eines Elefanten abtasten und ganz verschiedene Ansichten über den Gegenstand ihrer Untersuchung entwickeln. Würden sie ihr Wissen teilen und alle Aspekte zusammenführen, könnten sie den Elefanten als Ganzes erkennen. Das tun sie aber nicht, denn sie haben die Bedeutung der Interdisziplinarität im wahrsten Sinne des Wortes noch nicht "begriffen".

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Interdisziplinäres Denken und Arbeiten liegt im Trend

Offenbar haben wir Neuzeitmenschen aus dem alten Gleichnis der Erkenntnistheorie etwas gelernt. Schlägt man "Interdisziplinarität" bei Wikipedia, der Enzyklopädie des Internetzeitalters, nach, findet man Folgendes: "Interdisziplinarität bedingt das Zusammenführen verschiedener Teilaspekte, ein reines Nebeneinander dieser Aspekte reicht hierfür nicht aus." Der Interdisziplinarität wird also eine höhere Qualität eingeräumt als der Summe der Einzeldisziplinen.

Auch in der Medizin hat die fachspezifische Auffächerung dazu beigetragen, dem einzelnen Arzt den Blick auf das Ganze zu erschweren. Es setzt sich zunehmend die Einsicht durch, dass Patienten mit komplexen Erkrankungen bei einer Facharztgruppe nicht mehr optimal aufgehoben sind. Gleichzeitig rücken Forscher und Kliniker enger zusammen, weil sie in der gemeinsamen Perspektive wissenschaftliche Ziele sinnvoller und effizienter verfolgen können. Ein Trend zur verstärkten interdisziplinären Zusammenarbeit ist unübersehbar.

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Die Onkologie geht mit gutem Beispiel voran

In der Onkologie beispielsweise überbieten sich die Kliniken neuerdings mit dem Angebot interdisziplinär besetzter Tumorboards, die gemeinsam den Therapieplan für jeden einzelnen Patienten erarbeiten. Dahinter steckt die Überzeugung, dass die gebündelte Expertise einer Gruppe von Ärzten aus verschiedenen Disziplinen sowie von Experten aus Forschung, Pflege und Beratungsdiensten ein besseres Ergebnis für den Krebspatienten erzielen kann. Man folgt dabei dem erfolgreichen Modell der amerikanischen "Comprehensive Cancer Centers".

Hinter vorgehaltener Hand mokieren sich die Onkologen heute darüber, dass früher mitunter der Taxifahrer über die Behandlung des Patienten entschied - je nachdem, vor welcher Kliniktür er seinen Kunden absetzte: In der Chirurgie wartete die Operation, in der medizinischen Klinik Spritzen und Tabletten und in der Radiologie eine Strahlentherapie. Die Kollegen anderer Fächer wurden bestenfalls konsiliarisch hinzugezogen.

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Es besteht durchaus Nachbesserungsbedarf

Während die Wirtschaft den Nutzen interdisziplinär besetzter Teams seit Langem erkannt hat, tut sich die Medizin mit der Umsetzung aber noch schwer. Schuld daran sind institutionelle Barrieren zwischen den Fachgruppen sowie zwischen ambulanter und stationärer Medizin. Weitere Hürden ergeben sich durch Vergütungsstrukturen, die eine fachübergreifende Zusammenarbeit abstrafen und nach wie vor eher den fachspezifisch eingeengten Blick auf den Patienten belohnen. Es ist das ausdrückliche Ziel der MEDICA Deutsche Gesellschaft für Interdisziplinäre Medizin e.V., den interdisziplinären Gedanken zu fördern.

Dr. Julia Rautenstrauch

Vizepräsidentin Deutsche Gesellschaft für Interdisziplinäre Medizin e.V.

Lesen Sie im nächsten Heft:

"Progressiv systemische Sklerose - Patienten profitieren von interdisziplinärem Team"

 
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