Der Klinikarzt 2008; 37(5): 263
DOI: 10.1055/s-2008-1081047
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Thromboseprophylaxe bei hereditärer Thrombophilie - Erstes rekombinantes Antithrombin ohne menschliches Spenderblut

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Publication Date:
13 June 2008 (online)

 
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Die jährliche Inzidenz für das Auftreten einer Thrombose oder Lungenembolie liegt bei etwa 1,6 auf 1 000 Einwohner - als Ursache stellt sich bei der Hälfte der Betroffenen ein angeborener Antithrombinmangel, verbunden mit einem lebenslang erhöhten Thromboserisiko heraus. Zur Thromboseprophylaxe bei chirurgischen Eingriffen steht für diese Patienten in Deutschland seit dem 1. Mai 2008 ein neues Medikament zur Verfügung. Antithrombin alfa (ATryn®) ist damit das weltweit erste mithilfe von transgenen Tieren hergestellte Arzneimittel auf dem deutschen Markt.

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Thromboserisiko hängt vom zugrunde liegenden Gendefekt ab

An eine Thrombophilie, also eine genetisch bedingte Koagulationsstörung, müsse im Falle venöser Thrombosen bei unter 45-jährigen, familiärer Thrombosehäufung, atypischer Lokalisation, idiopathischer Thrombosen, aber auch bei Patientinnen mit Schwangerschaftskomplikationen gedacht werden, erklärte Prof. Campbell Tait, Glasgow (UK).

In Fallkontrollstudien war das Thromboserisiko bei dem sehr seltenen Antithrombinmangel Typ I 50-fach erhöht, bei Protein-C- oder Protein-S-Mangel noch zehnfach, und beim Nachweis von Faktor-V-Leiden- oder Prothrombin-G20210A-Mutationen war das Risiko immerhin noch vierfach höher als bei Gesunden, so Tait. Auf der Basis prospektiver Follow-up-Daten der EPCOT[1]-Studie besteht ein Risiko für eine erste Thrombose in Abhängigkeit vom zugrunde liegenden genetischen Defekt von 0,1-1,7% pro Jahr und ein Rezidivrisiko in Abhängigkeit von der genutzten Antikoagulation von 1-10% pro Jahr [2].

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Klare Indikation für Antikoagulation bei chirurgischen Eingriffen

Zwar rechtfertige das Thromboserisiko auch bei bekannter Thombophilie nur selten eine Primärprophylaxe, eine effektive Antikoagulation zum Beispiel im Zusammenhang mit Operationen oder während der Schwangerschaft sei dagegen unerlässlich, konstatierte Tait: Ohne Thromboseprophylaxe hatten Patienten mit Protein-C-Mangel in retrospektiven Studien mit 31% das höchste postoperative Risiko für symptomatische venöse Thromboembolien (VTE) - dicht gefolgt von Patienten mit Protein-S-Mangel, Antithrombinmangel und Faktor-V-Leiden-Mutation.

Auch mit niedermolekularem Heparin (NMH), der bisherigen Option der Wahl zur postoperativen Thromboseprophylaxe, konnte das perioperative Thromboserisiko bei hereditärer Thrombophilie nicht normalisiert, sondern nur bis auf ein "Restrisiko" von immerhin noch 10% reduziert werden, erläuterte Tait. Eine weitere Risikoreduktion gelinge durch den Ausgleich des Antithrombinmangels. Alternativ zu den bisher nur aus menschlichem Spenderblut hergestellten Konzentraten kann jetzt auch ein in transgenen Ziegen produziertes Antithrombin alfa, eine rekombinante Form des humanen Antithrombins, eingesetzt werden.

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Innovative und aufwendige Herstellung

Für die Herstellung des neuen rekombinanten Antithrombins wird zunächst ein Gen zur Produktion von Antithrombin in das Genom von Ziegen eingeschleust. Vorgeschaltet ist der aktiven Gensequenz ein Promotor, sodass das Protein mit Schlüsselfunktion für die Gerinnungsregulierung in der Milchdrüse der Tiere generiert werden kann. Das fertige Medikament wird schließlich in einem aufwendigen Aufreinigungsverfahren gewonnen, berichtete Dr. Shean Evans von der Herstellerfirma GTC Biotherapeutics, USA, die mit LEO Pharma eine Entwicklungs- und Vermarktungskooperation für die Substanz vereinbart hat.

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"Eine Antikoagulation mit niedermolekularem Heparin kann das perioperative Thromboserisiko bei hereditärer Thrombophilie nicht normalisieren, sondern nur bis auf ein 'Restrisiko' von immerhin noch 10% senken. Eine weitere Risikoreduktion gelingt nur durch den Ausgleich des Antithrombinmangels." - Prof. Campbell Tait vom Haemophilia & Thrombosis Centre in Glasgow (UK)

Besonders vorteilhaft ist Evans Ansicht nach die außerordentliche biologische Reinheit der Substanz, die Infektionen - wie zum Beispiel HIV und Hepatitis - ausschließe. Bei gleicher Aminosäurensequenz ist das rekombinante Produkt zwar an denselben Stellen glykosyliert, besitzt aber andere Seitenketten als humanes Antithrombin, erklärte Tait. Die biologische Aktivität sei sehr ähnlich, die Heparinaffinität aber vierfach erhöht und die Halbwertszeit mit zehn Stunden kürzer.

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Effektivität ist in Studien belegt

Dass Antithrombin alfa bei hereditärem Antithrombinmangel perioperativ symptomatische venöse Thromboembolien effektiv und sicher verhindern kann, zeigten beispielsweise Tiede et al. in einer multizentrischen, einarmigen, offenen Phase-III-Studie [1]. Die Patienten mit hereditärem Antithrombinmangel hatten das rekombinante Antithrombin alfa zusätzlich zu ihrer Thromboseprophylaxe mit unfraktionertem oder niedermolekularem Heparin oder Vitamin-K-Antagonisten bei Operationen (Hüftersatz, bilaterale Brustverkleinerung, Kaiserschnitt) intravenös erhalten, aber auch bei der Geburtseinleitung bzw. Spontanentbindung. Bei den bisher über 200 behandelten Patienten zeichnete sich das Antithrombin alfa neben der Wirksamkeit auch durch eine gute immunologische Verträglichkeit aus.

Ute Ayazpoor, Mainz

Quelle: Symposium "Beating Blood Clots in Vienna", veranstaltet von der LEO Pharma GmbH, Neu-Isenburg

Dieser Artikel entstand mit freundlicher Unterstützung der LEO Pharma GmbH, Neu-Isenburg

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Literatur

  • 01 Vossen CY . Conard J . Fontcuberta J . et al . J Thromb Haemost. 2005;  3 (3) 459-464
  • 02 Tiede A . Tait RC . Shaffer DW . et al . Thromb Haemost. 2008;  99 (3) 616-22

01 European Prospective Cohort on Thrombophilia

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Literatur

  • 01 Vossen CY . Conard J . Fontcuberta J . et al . J Thromb Haemost. 2005;  3 (3) 459-464
  • 02 Tiede A . Tait RC . Shaffer DW . et al . Thromb Haemost. 2008;  99 (3) 616-22

01 European Prospective Cohort on Thrombophilia

 
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"Eine Antikoagulation mit niedermolekularem Heparin kann das perioperative Thromboserisiko bei hereditärer Thrombophilie nicht normalisieren, sondern nur bis auf ein 'Restrisiko' von immerhin noch 10% senken. Eine weitere Risikoreduktion gelingt nur durch den Ausgleich des Antithrombinmangels." - Prof. Campbell Tait vom Haemophilia & Thrombosis Centre in Glasgow (UK)