Notfall & Hausarztmedizin 2008; 34(6): 335
DOI: 10.1055/s-2008-1081426
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Orientierung an der Abwehrlage der Patienten - Ambulant erworbene Pneumonien risikoadaptiert behandeln

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Publication Date:
16 July 2008 (online)

 
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In der Behandlung von ambulant erworbenen Pneumonien (CAP) zeichnet sich ein dramatischer Paradigmenwechsel ab. Davon geht Prof. Tobias Welte, Hannover, aus. Seiner Einschätzung nach muss sich die Antibiotika-Therapie zusehends an den individuellen Risiken der Patienten orientieren. Dabei spielen die Abwehrlage des Betroffenen und die Pathogenität der Erreger eine mindestens ebenso große Rolle wie die Antibiotika-Therapie selbst. Je höher das Risiko, desto entscheidender kommt es laut Welte darauf an, frühzeitig ein hochpotentes Antibiotikum einzusetzen. So empfiehlt er, insbesondere bei multimorbiden älteren Patienten das Chinolon Moxifloxacin (Avalox®) aufgrund seines schnellen Wirkeintritts und der Abdeckung eines breiten Erregerspektrums zu bevorzugen.

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Auf den Immunstatus der Patienten kommt es an

Die Bemühungen einer gut abgestimmten, risikoadaptierten Antibiotika-Therapie von CAP-Patienten stehen vor dem Problem, wie sich die natürliche Immunität des Patienten und damit sein individuelles Risikoprofil abschätzen lässt. Darauf machte der Experte auf dem Pneumologenkongress in Lübeck aufmerksam. Dass die Abwehrlage überhaupt von entscheidender Bedeutung ist, verdeutlichte er mit dem Hinweis auf historische Studien aus den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts. "Hier wurde gezeigt, dass ohne Antibiotika rund jeder dritte Patient an der Infektion verstirbt, während mit Antibiotikum die Letalität bei etwa 10% liegt", erinnerte der Mediziner und fügte hinzu: "Die Tatsache, dass 70% aller Patienten auch ohne Antibiotika überleben, unterstreicht die Bedeutung der körpereigenen Abwehr bei der Überwindung von Infektionen."

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CRB-65-Score zur Einschätzung des individuellen Risikos

Zur Abklärung des individuellen Risikos empfahl der Pneumologe, den CRB-65-Score zu verwenden. Dabei steht C für "neu aufgetretene Verwirrtheit", R für "Atemfrequenz > 30/Minute", B für "systolischer Blutdruck < 90 mmHg oder diastolischer Blutdruck < 60 mmHg" und 65 für "Alter > 65 Jahre". Dieser Score, bei dem jeder Parameter mit einem Punkt bewertet wird, ist laut Welte ebenso aussagekräftig wie kompliziertere Instrumente zur Risikostratifizierung, aber in der Praxis wesentlich einfacher anzuwenden. Insbesondere bei älteren Patienten stellt sich eine neu aufgetretene Verwirrtheit als sehr zuverlässiges Warnsignal für eine ernsthafte Infektion dar. Zusätzlich zum CRB-65 riet der Experte, Procalcitonin zu bestimmen, um das Risiko einer bakteriellen Beteiligung an einer Infektion besser einschätzen zu können.

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Wer hochgradig gefährdet ist, braucht eine hochwirksame Antibiose

CAP-Patienten mit niedrigem Letalitätsrisiko und einem CRB-65 bei 0 oder 1 sind meist mit Streptococcus pneumoniae infiziert, führte Welte weiter aus. Bei ihnen ist daher die Gabe eines Antibiotikums mit eingeschränktem Wirkspektrum wie Amoxicillin gerechtfertigt. Damit machte er deutlich, wie die Risikostratifizierung zum Tragen kommen sollte. Die derzeit gängige Praxis sieht jedoch anders aus, bemängelte der Pneumologe: "In aller Regel werden hocheffektive Antibiotika mit breitem Wirkspektrum eher jungen Patienten verordnet, während ältere Menschen nicht selten Wirkstoffe erhalten, die nur ein schmales Spektrum an Erregern abdecken." Älteren Menschen scheint man hierzulande per se eine schlechtere Chance einzuräumen, eine Pneumonie zu überleben, vermutete er und gab zu bedenken, dass Menschen, die ein hohes Lebensalter erreicht haben, meist eine gute Immunabwehr aufweisen. Eine Pneumonie könnten sie dann auch gut überstehen, wenn sie nur rechtzeitig mit einem breit wirksamen Antibiotikum unterstützt würden, argumentierte Welte gegen den therapeutischen Nihilismus.

In diesem Zusammenhang berichtete er von einer kürzlich veröffentlichten Studie, in der er selbst nachweisen konnte, dass sich die Sterblichkeit von CAP-Patienten in Alten- und Pflegeheimen um die Hälfte reduzieren lässt, wenn sie ohne Zeitverzögerung eine hochwirksame Antibiotikatherapie erhalten. Leitliniengemäß sollten deshalb vor allem bei multimorbiden Patienten mit zusätzlichen Risikofaktoren wie Herzinsuffizienz, Leber- oder Nierenerkrankungen sowie nach Apoplex schnell und breit wirksame Antibiotika eingesetzt werden. Dazu zählte Welte Präparate mit Gram-negativer Wirksamkeit und guter Penetration in das Lungengewebe, wie Amoxicillin/Inhibitorkombinationen, Drittgenerations-Cephalosporine und respiratorische Fluorchinolone wie Moxifloxacin.

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Auch bei COPD gehört Moxifloxacin zu den Mitteln der ersten Wahl

Auch bei der chronisch obstruktiven Bronchitis (COPD) kommt dem Chinolon eine hohe therapeutische Bedeutung zu. Das betonte Dr. Harald Mitfessel, Remscheid. Der MOSAIC-Studie zufolge ("Multizentrische, multinationale, prospektive, randomisierte, doppelblinde Studie zum Vergleich der Wirksamkeit von Moxifloxacin oral mit oralen Standardantibiotika als first-line Therapie bei ambulanten Patienten mit einer akuten infektiösen Exazerbation einer chronischen Bronchitis") kann das exazerbationsfreie Intervall deutlich verlängert werden. Fünf Tage lang erhielten 730 Patienten mit akuter Exazerbation einer chronischen Bronchitis entweder 400 mg Moxifloxacin 1 x täglich oder sieben Tage lang eine Standardtherapie aus 500 mg Amoxicillin 3 x täglich, 500 mg Clarithromycin 2 x täglich oder 250 mg Cefuroxim-Axetil 2 x täglich. Wie Mitfessel berichtete, kam es unter der Moxifloxacin-Therapie zu signifikant besseren klinischen Heilungsraten und besserer Keimeradikation. Gegenüber der Standardtherapie verlängerte sich das exazerbationsfreie Intervall von durchschnittlich 118 auf 133 Tage. Hochgerechnet auf ein Jahr, so der Pneumologe, profitieren die mit Moxifloxacin behandelten COPD-Patienten von einem Gewinn an 37 Tagen ohne Exazerbation.

Martin Wiehl, Königstein-Falkenstein

Quelle: Satellitensymposium "Prognoseorientierte und wirtschaftliche Anitibiotikatherapie" anlässlich des 49. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin e.V. (DGP), April 2008 in Lübeck. Veranstalter: Bayer Vital GmbH, Leverkusen.