Notfall & Hausarztmedizin 2008; 34(6): 336-337
DOI: 10.1055/s-2008-1081427
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Zusammenfassende Kommentierung der Übersicht von Volpe M, Int J Clin Pract 2008 - Mikroalbuminurie-Screening bei Patienten mit Hypertonie: Empfehlungen für die klinische Praxis

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Publication Date:
16 July 2008 (online)

 
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Pathologische Veränderungen der mikro- und makrovaskulären Strombahn führen zu einer erhöhten Durchlässigkeit der Gefäßwand für hochmolekulare Stoffe wie zum Beispiel Albumin. Diese generalisierte Störung der Schrankenfunktion manifestiert sich an einer für eine Untersuchung gut zugänglichen Stelle des Körpers als Albuminausscheidung in den Urin (Albuminurie) und an der Netzhaut des Auges (Retinopathie). Das zeitgleiche Auftreten beider Komplikationen beträgt bei Vorliegen einer Albuminurie im Verlauf der Erkrankung bis zu 100%.

Die Mikroalbuminurie (Ausscheidung von geringen Mengen Albumin), die über Jahre ausschließlich als sensitiver Marker für eine beginnende Nierenbeteiligung bei Diabetikern eingestuft wurde, gilt heute als Marker für den Zustand des Gefäßsystems und kennzeichnet Patienten mit einem erhöhten kardiovaskulären Risiko. Es konnte gezeigt werden, dass ein Anstieg der Albuminausscheidung mit einem erhöhten Risiko für Endorganschäden, für kardiovaskuläre Ereignisse oder Tod verbunden ist. Während aber zunächst angenommen wurde, dass es sich dabei vor allem um eine Komplikation des Typ-2-Diabetes handelt, wurde der Zusammenhang mittlerweile auch für hypertensive Patienten ohne Diabetes gezeigt. In seiner Übersicht, die im International Journal of Clinical Practice veröffentlicht wurde, plädiert Prof. Massimo Volpe für ein regelmäßiges Screening von Patienten mit Hypertonie auf das Vorliegen einer Mikroalbuminurie, um frühzeitig eine erhöhte kardiovaskuläre Gefährdung zu erkennen [1].

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Mikroalbuminurie - hohe Prävalenz und Indikator für erhöhtes kardiovaskuläres Risiko

Die Prävalenz der Mikroalbuminurie beträgt in der ärztlichen Praxis etwa 30-40% [2]. Praxen mit einem Schwerpunkt auf der Versorgung von kardiologischen oder diabetologischen Patienten haben jedoch häufig deutlich höhere Prävalenzen, wie zum Beispiel die Ergebnisse der i-SEARCH Studie zeigen. Hier werden je nach Patiententyp Prävalenzen von bis zu 70% berichtet. Das Auftreten einer Mikroalbuminurie wird begünstigt durch weitere kardiovaskuläre Risikofaktoren wie Adipositas, Rauchen, Insulin-Resistenz, linksventrikuläre Hypertrophie, linksventrikuläre Dysfunktion, erhöhtes C-reaktives Protein und erhöhte Plasma-Cholesterinspiegel. Neben diesen zum Teil vermeidbaren Risikofaktoren für die Mikroalbuminurie ist das Risiko für deren Auftreten auch durch nicht beeinflussbare Faktoren, wie männliches Geschlecht und fortgeschrittenes Alter, erhöht.

Die besondere Bedeutung der Mikroalbuminurie als unabhängiger Prädiktor für kardio- und zerebrovaskuläre Ereignisse konnte in verschiedenen Studien belegt werden. So zeigte sich wiederholt, dass eine Mikroalbuminurie mit einem Anstieg von kardiovaskulären Ereignissen und erhöhter Mortalität bei Patienten mit Hypertonie und/oder Diabetes assoziiert ist. So war in der LIFE-Studie (Subanalyse von 8 029 hypertensiven Patienten mit linksventrikulärer Hypertrophie) die Mikroalbuminurie ein signifikanter Prädiktor für die kardiovaskuläre Mortalität. Bei den Patienten mit erhöhter Albuminausscheidung trat häufiger ein Ereignis auf als bei Patienten mit sehr geringer oder keiner Albuminausscheidung. Diese Ergebnisse bestätigen die Ergebnisse der HOPE-Studie, bei der jede Erhöhung der Albuminurie um 0,4 mg/mmol das Risiko für größere kardiovaskuläre Ereignisse um 5,9% ansteigen ließ. Die European Prospective Investigation into Cancer in Norfolk Studie mit fast 24 000 Patienten zeigte darüber hinaus, dass die Mikroalbuminurie auch mit einem erhöhten Risiko für zerebrovaskuläre Ereignisse verbunden ist. Dabei führte jeder Anstieg des UACR um das 10-fache zu einer Erhöhung des Schlaganfallrisikos um 51% (bei Patienten ohne Diabetes; p < 0,001) beziehungsweise 37% (Patienten mit Diabetes; p = 0,025).

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Im Hinblick auf das kardiovaskuläre Risiko bedarf es im Prinzip einer Neudefinition der Mikroalbuminurie. Diese ist aktuell als Albuminausscheidung von 20-200 µg/min festgelegt. Jedoch steigt das kardiovaskuläre Risiko schon ab einer Albuminausscheidung von 5 µg/min deutlich an [3]. Daher setzen aktuelle Studien zur Prävention von mikrovaskulären Komplikationen des Diabetes, wie die DIRECT-Studie mit Candesartan, schon in diesem niedrigen Konzentrationsbereich an [4].

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Einfaches Screening zur Risikoabschätzung bei Hypertonikern

Die Testung von hypertensiven Patienten mit und ohne Diabetes auf das Vorliegen einer Mikroalbuminurie ist daher eine wichtige Vorsorgemaßnahme, die mit einer hohen Trefferquote verbunden ist. Entsprechend empfehlen die Leitlinien der European Society of Hypertension (ESH) und European Society of Cardiology (ESC) aus dem Jahr 2007 das regelmäßige Screening auf Mikroalbuminurie als sensitiven und verlässlichen Test auch für alle Patienten mit Hypertonie.

Aufgrund der starken Abhängigkeit der Albuminkonzentration von der Urin-konzentration wird die Standardisierung mit dem Messwert für Kreatinin im Urin empfohlen. Kommerziell sind Teststreifen erhältlich, die sowohl Albumin als auch Kreatinin messen (wie z. B. Microalbustix® der Firma Bayer). Die Diagnose Mikroalbuminurie kann so auf Grundlage von mindestens zwei positiven Tests bei drei Messungen innerhalb von 3-6 Monaten gestellt werden. Die Tests sind preisgünstig und einfach in der Handhabung und bieten sich daher für die Verwendung in der Praxis an. Die Ergebnisse werden allerdings auch durch eine bestehende Infektion, körperliches Training oder dauerhafte aufrechte Position beeinflusst, weshalb diese Ursachen vor Durchführung des Screenings ausgeschlossen werden sollten.

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Behandlungsansätze für Hypertoniker

Die Behandlung der Mikroalbuminurie besteht heute aus zwei Komponenten. Zum einen sollte der glomeruläre Druck gesenkt werden. Dies gelingt im Prinzip mit allen Antihypertensiva, ist aber mit AT1-Blockern besonders ausgeprägt (sie erweitern den abführenden Schenkel des Glomerulums). Neben den hämodynamischen Effekten haben AT1-Blocker aber auch den Vorteil, dass sie in die pathophysiologischen Veränderungen im Glomerulum eingreifen und beispielsweise die Ladungsselektivität der Membran wieder herstellen und so zu einer weiteren Reduktion der Albuminausscheidung beitragen. AT1-Blocker haben in klinischen Studien ihre verstärkte Wirksamkeit in dieser Indikation unter Beweis gestellt [5]. Auch eine Kombination von AT1-Blockern mit ACE-Hemmern kann hier sinnvoll sein, wenn die Reduktion der Albuminausscheidung nicht ausreichend ist, wie die CALM-Studie mit Candesartan gezeigt hat [6]. Im direkten Vergleich scheinen die AT1-Blocker günstiger als die ACE-Hemmer: Eine Studie an 49 Patienten mit diabetischer Nephropathie zeigte zwar keine Unterschiede in der Reduktion der Mikroalbuminurie, jedoch in der Reduktion von Kollagen IV in der Candesartan-Gruppe. Kollagen IV ist eng mit der Fibrosierung des Glomerulums verknüpft. Europäische und amerikanische Richtlinien empfehlen deshalb heute AT1-Blocker oder ACE-Hemmer als First-Line-Therapie. Sie werden entweder als Monotherapie (vorzugsweise hochdosiert) oder - bei mangelnder Blutdruckkontrolle - in Kombination mit weiteren Antihypertensiva eingesetzt.

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Die Behandlung senkt das kardiovaskuläre Risiko

In einer Reihe von Studien wurde nachgewiesen, dass sich die Reduktion der Albuminurie günstig auf die Progression kardiovaskulärer Erkrankungen auswirkt. So wurde in der LIFE-Studie gezeigt, dass Patienten, bei denen die Albuminurie im Laufe der Behandlung abfiel, deutlich weniger kardiovaskuläre Ereignisse erlitten als Patienten mit gleich bleibender Albuminausscheidung. Dabei machte der Unterschied zwischen der Gruppe mit der niedrigsten Albuminausscheidung (UACR ≤ 0,5 mg/mmol) und der Gruppe mit der höchsten Ausscheidung (> 3 mg/mmol) eine Risikoerhöhung um den Faktor 4 aus. In der IDNT-Studie konnte die Häufigkeit des renalen Endpunktes (Verdopplung des Serumkreatinins, Dialyse oder Tod) über einen Zeitraum von 2,6 Behandlungsjahren durch den Einsatz des AT1-Blockers Irbesartan um etwa 20% gesenkt werden. Dabei sind die Kosteneinsparungen durch ein solches Vorgehen so ausgeprägt, dass die höheren Tablettenkosten sogar überkompensiert werden.

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Tab. 1 Häufigkeit der Mikroalbuminurie in der Praxis (39 025 Patienten, nach [2] )

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Empfehlung für die Praxis

Die Mikroalbuminurie ist ein Marker für eine generalisierte Gefäßschädigung. Der Nachweis ist kostengünstig und einfach durchführbar und ein positives Ergebnis sollte hellhörig machen. Die kardiovaskuläre Gefährdung der Patienten ist substanziell und eine frühzeitige Therapie hilft nicht nur Komplikationen zu verhindern, sondern auch Kosten zu sparen. Dabei spricht sich Volpe nicht nur für ein Screening von Diabetikern aus, sondern empfiehlt ebenfalls die Untersuchung von Hypertonikern ohne Diabetes.

Als Testverfahren haben sich Streifentests etabliert, die die Albuminkonzentration und mit dem Kreatinin auch die Verdünnung des Harns messen (z. B. Microalbustix®). Sind zwei von drei Testungen im Abstand von einigen Wochen positiv, gilt die Diagnose als gesichert.

Der Blutdruck von Patienten mit Mikroalbuminurie sollte optimal eingestellt werden. Häufig führt die Senkung des Blutdrucks alleine schon zu einer deutlichen Senkung der Mikroalbuminurie. Setzt man AT1-Blocker in diesem Kontext ein, profitiert der Patient neben der Blutdrucksenkung auch von spezifischen Effekten auf die Struktur des Glomerulums. Eine Normalisierung der Albuminausscheidung ist bei diesem Vorgehen häufiger als bei der Blutdrucksenkung allein.

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Korrespondenz

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Priv.-Doz. Dr. med. Peter Bramlage

Institut für Klinische Pharmakologie

Medizinische Fakultät Carl Gustav Carus

Technische Universität Dresden

Fiedlerstrasse 27

01307 Dresden

Email: peter.bramlage@mailbox.tu-dresden.de

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Literatur

  • 01 Volpe M . Microalbuminuria screening in patients with hypertension: recommendations for clinical practice.  Int J Clin Pract. 2008;  62 97-108
  • 02 Bramlage P . Pittrow D . Lehnert H . et al . Frequency of albuminuria in primary care: a cross-sectional study.  Eur J Cardiovasc Prev Rehabil. 2007;  14 107-113
  • 03 Klausen KP . Scharling H . Jensen G . Jensen JS . New definition of microalbuminuria in hypertensive subjects: association with incident coronary heart disease and death.  Hypertension. 2005;  46 33-37
  • 04 Chaturvedi N . Sjoelie AK . Svensson A . The Diabetic Retinopathy Candesartan Trials (DIRECT) Programme, rationale and study design.  J Renin Angiotensin Aldosterone Syst. 2002;  3 255-261
  • 05 Parving HH . Lehnert H . Brochner-Mortensen J . et al . The effect of irbesartan on the development of diabetic nephropathy in patients with type 2 diabetes.  N Engl J Med. 2001;  345 870-878
  • 06 Morgensen CE . Neldam S . Tikkanen I . et al . Randomised controlled trial of dual blockade of renin-angiotensin system in patients with hypertension, microalbuminuria, and non-insulin dependent diabetes: the candesartan and lisinopril microalbuminuria (CALM) study.  BMJ. 2000;  321 1440-1444
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Literatur

  • 01 Volpe M . Microalbuminuria screening in patients with hypertension: recommendations for clinical practice.  Int J Clin Pract. 2008;  62 97-108
  • 02 Bramlage P . Pittrow D . Lehnert H . et al . Frequency of albuminuria in primary care: a cross-sectional study.  Eur J Cardiovasc Prev Rehabil. 2007;  14 107-113
  • 03 Klausen KP . Scharling H . Jensen G . Jensen JS . New definition of microalbuminuria in hypertensive subjects: association with incident coronary heart disease and death.  Hypertension. 2005;  46 33-37
  • 04 Chaturvedi N . Sjoelie AK . Svensson A . The Diabetic Retinopathy Candesartan Trials (DIRECT) Programme, rationale and study design.  J Renin Angiotensin Aldosterone Syst. 2002;  3 255-261
  • 05 Parving HH . Lehnert H . Brochner-Mortensen J . et al . The effect of irbesartan on the development of diabetic nephropathy in patients with type 2 diabetes.  N Engl J Med. 2001;  345 870-878
  • 06 Morgensen CE . Neldam S . Tikkanen I . et al . Randomised controlled trial of dual blockade of renin-angiotensin system in patients with hypertension, microalbuminuria, and non-insulin dependent diabetes: the candesartan and lisinopril microalbuminuria (CALM) study.  BMJ. 2000;  321 1440-1444
 
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Tab. 1 Häufigkeit der Mikroalbuminurie in der Praxis (39 025 Patienten, nach [2] )

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Priv.-Doz. Dr. med. Peter Bramlage