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DOI: 10.1055/a-1203-2932
Editorial
Sehr geehrte Mitglieder der DWG, sehr geehrte Mitglieder österreichisch-ungarischen Wirbelsäulenchirurgie, liebe Leserinnen und Leser,
kaum eine andere Frakturentität hat in den letzten Jahren so an Bedeutung gewonnen, sowohl hinsichtlich Epidemiologie, Diagnostik als auch Therapie wie die Sakrumfrakturen und hier vor allem die Sakruminsuffizienzfrakturen. Insofern war es wieder an der Zeit, sich dieser Problematik als Leitthema unserer Zeitschrift anzunehmen, fast genau fünf Jahre nachdem wir uns dieses Themas in der ersten Ausgabe von der Wirbelsäule widmeten.
Sakrum – Wieso und woher hat dieser „Schlussstein“ der Becken- als auch Wirbelsäulenanatomie diesen Namen erlangt?
Während im englischen und französischen Sprachraum dieser Skelettbestandteil als „Sakrum“ bezeichnet wird, lautet die deutsche Nomination „Kreuzbein“.
Ursprünglich kommt das Wort „Sakrum“ aus dem Lateinischen und besitzt unterschiedlichste Bedeutung:
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Heiligtum, heiliger Gegenstand
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Opfergabe
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Opferfest
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Hochzeitsfeier sowie
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im Plural auch Geheimnis, Mysterien
Gerade letztere Interpretation als „Mysterium“ könnte sehr gut die aktuellen Probleme und Fragen einer optimalen Diagnostik und Therapie dieser relativ neu, aber schnell wachsenden Frakturentität beschreiben. Aber auch der Interpretation Sakrum als „Opfer“ könnte durchaus Verständnis entgegengebracht werden im Hinblick auf die schwierige und herausfordernde Aufgabe, die dieser Skelettanteil für die Stabilität des Stammskelettes unseres Körpers aufbringt.
Aber auch die anatomische Zuordnung des Kreuzbeins/Sakrums ist immer wieder Bestandteil von Diskussionen:
Gehört das Sakrum zur Wirbelsäule und taucht mit als „Schlussstein“ in das Becken ein – als Bestandteil der Wirbelsäule – oder setzt die Wirbelsäule ab dem fünften Lendenwirbelkörper auf das Sakrum als integraler Bestandteil des Beckens auf? Insofern ist es naheliegend, dass sich die Unfallchirurgie genuin mit der Problematik der Sakrumfrakturen auseinandersetzt als auch in neuerer Zeit intensiver die Wirbelsäulenchirurgie.
Anatomisch betrachtet, besitzt das Kreuzbein immer noch eine Grundcharakteristika der Wirbel, kann jedoch hinsichtlich der Entstehung und der weiteren Behandlung von Sakrumfrakturen nicht isoliert ohne die übrigen Bestandteile des Beckens betrachtet werden. Wie schon in der ersten Ausgabe 2017 (Josten et al., Die Wirbelsäule 2017; 01: 31–40) beschrieben, präsentiert sich das geriatrische Sakrum wie ein Chamäleon aufgrund seiner vielfältigen Formen und Ausprägungen, die eine korrekte Primärdiagnostik oft nicht ermöglichen. Gleichzeitig hat die Zahl dieser Frakturen fast Ausmaße einer „Tsunamiwelle“ erfahren. Es ist in den letzten Jahren eindeutig festgestellt worden, dass dramatische anatomische und biomechanische Veränderungen bei der Genese und dem Verlauf von Sakruminsuffizienzfrakturen eine entscheidende Rolle spielen. Dies bezieht sich nicht nur auf die sich ändernde Knochenstruktur, sondern auch auf das Nachlassen der Elastizität des Beckenrings durch die Ossifikation der verschiedenen Bandstrukturen.
Unbehandelt endet eine Insuffizienzfraktur in einem fortwährenden selbstdestruierenden Prozess, der ab einem gewissen Stadium nur durch eine operativ stabilisierende Maßnahme unterbrochen werden kann.
Diese Erkenntnisse haben einen wesentlichen Einfluss auf den aktuellen Stand bezüglich der Diagnostik und Therapie ausgeübt.
Mit dieser Ausgabe und dem Leitthema der „Sakrumfrakturen“ wollen wir Ihnen ein „State of the Art“ hinsichtlich dieser Frakturentität geben und haben dafür kompetente Autoren gewinnen können.
Palm et al. weisen insbesondere auf die Notwendigkeit einer korrekten Diagnostikkaskade bei diesen Fragilitätsfrakturen hin, insbesondere die Bedeutung des MRTs. Dieses ist bei der geriatrischen Fraktur unerlässlich neben dem Nativ-Röntgen und einem CT.
Osterhoff und Spiegl arbeiten in ihrem Beitrag sehr schön heraus, wie die Vielzahl an zu beobachtenden Frakturverläufen im Bereich des Sakrums zur Entwicklung mehrerer Klassifikationssysteme geführt hat, ohne dass sich eine für alle Frakturformen valide Qualifikation herauskristallisiert hat.
In der Abhandlung der traumatischen Sakrumfrakturen bei Hochenergietrauma beschreiben Hoech und Fakler den hohen Stellenwert einer absolut stabilen Versorgung bei anatomischer Reposition.
Pieroth et al. diskutieren in ihrem Artikel über die Fragilitätsfrakturen Indikationen zu einem operativen versus konservativen Vorgehen, wobei bei der Wahl des operativen Vorgehens möglichst minimalinvasive Prozeduren den Vorzug erhalten sollen.
Zolal et al. gehen in ihrem Artikel auf die lumbo-pelvine Fixationstechnik ein und beschreiben insbesondere technische Vorgehensweisen und Komplikationen, wobei sich das Literaturverzeichnis überwiegend auf Quellen aus der wirbelsäulen- und neurochirurgischen Literatur bezieht.
Abgerundet wird dieses Heft durch den sehr interessanten Fall einer Charcot-Arthropathie der Lendenwirbelsäule, vorgestellt von Slavici et al.
Ich wünsche mir sehr, dass dieses Heft und dessen Inhalt auf Ihr großes Interesse stößt und Sie aus den Beiträgen für Ihren Arbeitsalltag wichtige Erkenntnisse gewinnen können.
Selbstverständlich freuen wir uns auch über Ihre jeweiligen Kommentare und verbleiben mit den besten Grüßen
Ihr
Christoph Josten
Publication History
Article published online:
23 August 2021
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