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DOI: 10.1055/a-1711-8672
Daniel Schreiber: Allein
Daniel Schreiber, geboren 1977 und aufgewachsen in der DDR, studierte in Berlin und New York, wo er nach seinem Studium einige Zeit lebte, bevor er wieder nach Berlin zurückkehrte. In seinem neuen Buch „Allein“ eröffnet er selbstkritisch und ehrlich seinen ganz eigenen Blick auf das Phänomen des Alleinseins und die wichtigen Fragen, die sich für ihn daraus ergeben. Eigene Erfahrungen werden dabei gestützt von sozialwissenschaftlichen und philosophischen Untersuchungen sowie von Fragen und Ideen, die den Menschen schon immer begleiten und die in der Corona-Pandemie wieder ein Stück mehr Platz in der Gesellschaft gefunden haben. Die letzten zwei Jahre haben wir mit neuen Herausforderungen zu leben versucht – nicht zuletzt mit der Isolation und der allgemeinen Einstellung des „Keep Distance“. In diesem Zwischenraum entsteht auch Raum für Gutes und es eröffnen sich viele Möglichkeiten.
Das Buch beginnt mit dem Wegzug einer sehr guten Freundin Schreibers und ihrer Familie, der er sich seit vielen Jahren sehr eng verbunden fühlt, und mit der Sorge, was dieser Wegzug für sie bedeuten könnte. In der Erneuerung des Gartens dieser Freundin finden sich eine Fortsetzung der Freundschaft in neuer Form, neue Aufgaben, neues Zusammenkommen und Zusammenwachsen. Für Schreiber entsteht ein kreativer Raum, anstelle einer engen freundschaftlichen Beziehung, die nun weniger erreichbar scheint. Auf der anderen Seite fühlt er durch sein Alleinsein die Konfrontation mit der gesellschaftlichen Sicht des Gescheitert-seins, des demnach Nicht-in-der-Lage-seins, des Zu-viel-oder-zu-wenig-seins. Er spürt den Vergleich mit dem Nächsten und dem, was doch eigentlich „normal“ ist. Alles baut auf dem Ansatz von zwischenmenschlichen Bindungen und Verbindungen auf: die Entwicklung einer gesellschaftlichen Betrachtung, innerhalb der Familie, in der näheren und entfernteren Uamgebung, die Verbindung zu Personen, in denen wir uns selbst und den anderen erfahren können, in der wir uns entwickeln und aneinander wachsen können.
Der Erfahrung des Alleinseins hat nicht selten den Beigeschmack des Gescheitert-Seins, der Scham, versagt zu haben, sich nicht in einer Verbindung zu einem Partner entwickeln zu können. In dieser Situation entschließt sich Schreiber, eine Auszeit zu nehmen und, dem Rat eines Freundes und Therapeuten folgend, die Wintermonaten in sonnigeren Gebieten zu verbringen. Diese Idee kommt ihm in pandemischen Zeiten zuerst absurd vor; andererseits ist es gerade die Pandemie, die ihm die Möglichkeiten eröffnet, für zwei Monate die Erfahrung des völligen Für-sich-seins zu machen: sich selbst in die Augen zu sehen, die Verbindung zu sich zu stärken, an Ressourcen anzuknüpfen und Vertrauen in sich zu fassen. Dabei hilft ihm das Yoga und das Wandern, der Wechsel von körperlicher Belastung und Entspannung in Verbindung mit dem Atem, den Kontakt zur Natur zu suchen, sich in ihr zu verlieren und anders wiederzufinden. Voller Respekt und Ehrfurcht vor den Dingen, die ihn umgeben und ausfüllen, beschreibt er seine Erfahrungen und Erlebnisse.
Beinahe unbemerkt entsteht ein kleiner Pfad in eine neue Richtung: Die kleinen Erfolgserlebnisse beim Praktizieren der Asanas, die Emotionen von Glück, die sich bei einem Spaziergang am Meer im Körper ausbreiten. Eine hoffnungsvolle, optimistische und zugleich wohlwollend Betrachtung des Auf-sich-selbst-gestellt-seins. Eine Betrachtung aus einer anderen Perspektive als der Üblichen einer Gesellschaft, die nach Optimierung sucht. Eine liebevolle und ehrliche Perspektive auf das Thema Allein.
Judit Kleinschmidt, Berlin
Publication History
Article published online:
17 November 2022
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