Die Wirbelsäule 2022; 06(04): 216-219
DOI: 10.1055/a-1923-6928
Referiert und kommentiert

Kommentar zu: Different degeneration patternsof paraspinal muscles in degenerative lumbar disease:a MRI analysis of 154 patients

Nicolas H. von der Höh
1   Klinik und Poliklinik für Orthopädie, Unfallchirurgie und Plastische Chirurgie, Universitätsklinikum Leipzig, Leipzig, Deutschland (Ringgold ID: RIN39066)
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Die Studie von Jun‑zhe et al. vergleicht zwei unterschiedliche degenerative Erkrankungen der lumbalen Wirbelsäule. Die degenerative Spondylolisthesis findet vornehmlich in den Segmenten L4/5 und L3/4 statt. Die degenerative lumbale Kyphose betrifft alle Segmente des unteren Rückens und ist gekennzeichnet durch den Verlust der physiologischen Krümmung. Die biomechanische Auswirkung dieser Erkrankungen spiegelt sich in den segmental unterschiedlichen Veränderungen bzw. Degenerationsmustern der paraspinalen Muskeln wider. Gut erforscht ist die generelle Abnahme der Muskelmasse mit zunehmendem Alter und bei Osteoporose, die unabdingbar mit einer Sarkopenie einhergeht. Anders jedoch die Betrachtung einzelner lumbaler Segmentabschnitte unter Einbeziehung zugrundeliegender Pathologien und deren Wirkung auf die einzelnen anhaftenden Muskelgruppen wie der Multifidus, Muskulus psoas und Erektor spinae. Patienten mit akuten und chronischen Rückenschmerzen weisen eine geringe Muskelmasse im Vergleich zu gleichaltrigen Rückengesunden auf. Verschiedene Faktoren wie Alter, physische Konstitution, Ernährungsweise und Körpergewicht haben einen Einfluss auf die Umbauvorgänge der paraspinalen Muskeln. Insbesondere die sog. „fettige Degeneration“ der paraspinalen Anteile scheint hier in Korrelation zu stehen. Der Grad der fettigen Degeneration ist bei Patienten mit degenerativen lumbalen Kyphosen in der paraspinalen Muskulatur höher als in einer gesunden Kontrollgruppe (p<0.05) [1].

Welchen Einfluss die fettige Degenration auf das dynamische spinopelvine Haltungsbild haben kann, untersuchten Kousei et al. [2]. Sie stellten fest, dass die fettige Degeneration der lumbalen Erector spinae Muskeln direkt die dynamische Kompensationsfähigkeit der Wirbelsäule beim Gehen bei erwachsenen Patienten mit Wirbelsäulendeformitäten beeinflusst. Die Forschergruppe zeigte, dass eine Zunahme der Wirbelsäulenkyphose beim Gehen positiv mit der Fettinfiltrationsrate der Muskuli erector spinae korrelierte, insbesondere in den Segmenten L1/2 (r=0,394, p=0,038) als auch bei L4/5 (r=0,428, p=0,023).

Der Begriff Bewegungsapparat umfasst die Betrachtung des muskuloskelettalen Systems als funktionelle Einheit mit Knochen, Gelenken und Muskeln zur Gewährleistung von Stützfunktion und Bewegung. Die Wirbelsäule gesamt betrachtet zählt zu einer der komplexesten Funktionseinheiten dieses Systems. Das Muskeln und Knochen unzertrennlich sind, wird schon in der Anatomie gelehrt. Umso mehr wird es Zeit, der Muskulatur auch mehr Bedeutung bei der Entstehung von Wirbelsäulenerkrankungen zu geben.

Panjabi [3] hat vor genau 30 Jahren Muskeln und Sehnen als aktives Teilsystem definiert, um Kräfte auf die Wirbelsäulensegmente ausüben zu können und erkannt, dass dies ein wesentlicher Bestandteil für ein funktionierendes oder nicht funktionierendes Stabilisierungssystem darstellt. Die moderne hochauflösende Bildgebung mit MRT ermöglicht uns den Blick auf dieses aktive Teilsystem. Dennoch, in der Praxis fokussiert sich die Befundung der MRT‘s insbesondere auf das von Panjabi definierte passive Subsystem bestehend aus Wirbelkörper, Bandscheibe und Ligamente sowie dem ansteuernden Nervensystem.

Jun‑zhe et al stellen durch Ihre Studie einen weiteren Baustein für eine differenziertere Betrachtungsweise degenerativer Wirbelsäulenerkrankungen zur Verfügung. Sie schlussfolgern, dass ein operativer Zugangsweg gewählt werden sollte, der die paraspinalen Muskeln schützt, um mögliche negative Einflüsse auf die klinischen Ergebnisse zu verhindern. Weitaus interessanter erscheint die Möglichkeit, in Zukunft den optimalen Zeitpunkt für eine Intervention zu finden bzw. mehr Daten über die Zeit zu sammeln, um erfolgreiche Gegenmaßnahmen durch konservative Ansätze zu finden.



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Article published online:
14 November 2022

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