PPH 2023; 29(05): 259
DOI: 10.1055/a-2112-8430
Rund um die Psychiatrie

Für Sie gelesen: Aktuelle Studien

Scheydt S, Holzke M, Vogt A et al. Studie zur Situation akademisch qualifizierter Pflegefachpersonen in der Psychiatrie (AkaPP). Erste Ergebnisse einer deutschlandweiten Querschnittsstudie. Pflegewissenschaft 2021; 23 (5): 347–356

Hintergrund: Im Rahmen des Forschungsprojekts wurde eine Online-Befragung durchgeführt, um zu eruieren, wie akademisch qualifizierte Pflegefachpersonen ihre berufliche Situation bewerten. Untersucht wurden Rahmenbedingungen, Strukturen und Prozesse hinsichtlich der Integration und Etablierung von akademisch qualifizierten Pflegefachpersonen. Die ausgeübten Rollen und Einsatzgebiete wurden erfasst, beschrieben, bewertet.

Methode: Die Daten wurden einmalig (Querschnittsstudie) mit einem Online-Fragebogen erhoben. Der Fragebogen wurde unter anderem auf der Grundlage einer systematischen Literaturrecherche (= wissenschaftlich strukturierte Vorgehensweise, um relevante Literatur für ein Forschungsthema zu erheben) zum Thema Akademisierung der (psychiatrischen) Pflege erstellt, in einer pflegewissenschaftlichen Expert*innengruppe weiterentwickelt und hinsichtlich der Validität (= Angabe, ob tatsächlich auch das gemessen wird, was gemessen werden soll) und Verständlichkeit geprüft.

Ergebnisse: Es beteiligten sich 185 Personen an der Studie. Die häufigsten Hochschulabschlüsse sind Bachelor- (118) und Masterabschluss (46). Häufigste fachliche Ausrichtung ist die „Psychiatrische Pflege/Psychische Gesundheit“ (64). 57 Personen haben die psychiatrische Fachweiterbildung absolviert. Benannte Arbeitsbereiche waren: direkte Versorgungspraxis (47,3 %), Management (20,7 %), Forschung und Entwicklung/Stabsstellen (14,2 %), Versorgungspraxis und Management (8,9 %), Aus-, Fort- und Weiterbildung (5,9 %) sowie Qualitätsmanagement (3 %). Häufige Funktionsbezeichnungen waren unter anderem Gesundheits- und Krankenpflegende, Pflegefachperson, Pflegeexpert*in (APN), Pflegeentwickler*in (in Stabsstellen).

Fazit: Die Studie ist von großer Bedeutung, da sie unter anderem die große Bandbreite und Uneinheitlichkeit von Rollenprofilen, Funktionsbeschreibungen und Ausbildungsmöglichkeiten in der psychiatrischen Pflege aufzeigt. Strukturen und Rahmenbedingungen für den Einsatz akademischer Pflegender in den Einrichtungen sind uneinheitlich ausgebaut. Berufsfachliche und hochschulische Aus-, Fort- und Weiterbildung stehen unverbunden nebeneinander, in vielen Bundesländern sind mehrere unterschiedliche Ministerien für beide Ausbildungsarme zuständig, was eine zielgerichtete Entwicklung bedarfsgerechter Bildungsstrukturen erschwert.

Gitte Herwig

Schoppmann S, Balensiefen J, Nienaber A et al. The perspective of staff members of two forensic psychiatric clinics in German-speaking Switzerland on the introduction of recovery orientation: An explorative study. Frontiers in Psychiatry 2023; 13: 946418. doi:10.3389/fpsyt.2022.946418

Hintergrund: Recovery-Orientierung (RO) zielt darauf ab, trotz der Beeinträchtigung durch eine psychische Erkrankung ein lebenswertes Leben zu führen. Obwohl RO in der allgemeinen Psychiatrie in der Schweiz weit verbreitet ist, stellt der doppelte Auftrag der forensischen Psychiatrie – Sicherung und Therapie – die Idee, RO als Arbeitsphilosophie zu etablieren, in diesem Kontext infrage. Die explorative Studie untersuchte Grunderwartungen und berufliche Perspektiven der forensischen Mitarbeitenden in Bezug auf die Idee, RO in Schweizer forensisch-psychiatrischen Abteilungen zu etablieren. Da es in der lateinischen Schweiz keine forensisch-psychiatrischen Abteilungen gibt, bezieht sich die Studie nur auf die deutsche Sprachregion.

Methode: Es wurden acht Fokusgruppen mit Mitarbeitenden (Berufsgruppen: Pflege, Medizin, Psychotherapie, Arbeitstherapie, Sozialdienst) durchgeführt, die entweder an den Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel oder an der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich beschäftigt waren. Insgesamt 50 Mitarbeitende, etwa die Hälfte der Mitarbeitenden der Stationen, nahmen an den Fokusgruppen-Interviews teil. Jede der Kliniken war mit jeweils drei forensischen Stationen der mittleren Sicherheitsstufe vertreten, wobei eine der Basler Stationen eine jugendforensische Station war. Nach der Transkription der Interviews wurden die Fokusgruppen mithilfe der thematischen Analyse in induktiver Weise ausgewertet.

Ergebnisse: Es konnten drei Hauptthemen (und dazugehörige Unternehmen) herausgearbeitet werden: 1. Herausforderungen im Zusammenhang mit Recovery, 2. zu erwartende Barrieren und 3. mögliche recovery-orientierte Interventionen. Generell waren die Mitarbeitenden unsicher, ob und in welchem Umfang recovery-orientierte Interventionen überhaupt eingeführt werden können. Dies hatte sowohl mit strukturellen Hindernissen, wie Sicherheitsauflagen, zu tun, als auch mit persönlichen Hindernissen in Form von unterschiedlichen, teilweise widersprüchlichen Einstellungen und Idealen und ängstlichen Erwartungen – wie Autoritäts- und Machtverlust.

Fazit: Die Studie zeigt auf, dass es machbar zu sein scheint, RO in forensischen Kliniken in der Deutschschweiz zu etablieren. Dabei sind gewisse Herausforderungen zu beachten, die spezifisch für die jeweilige Zielabteilung und Institution sind. Diese reichen von strukturellen Hindernissen in den beteiligten Institutionen (wie zum Beispiel Grundrisse und enge Bereiche und Räume, Sicherheitsvorkehrungen und personelle Unterbesetzung) bis hin zu persönlichen Hindernissen (wie zum Beispiel einer feststehenden Denkweise, teaminternen Dynamiken und Einstellungen).

Gitte Herwig



Publikationsverlauf

Artikel online veröffentlicht:
25. September 2023

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