Aktuelle Kardiologie 2024; 13(01): 3
DOI: 10.1055/a-2167-3441
Editorial

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

Julinda Mehilli
,
Christian Perings

circa 5% der Weltbevölkerung unterziehen sich jährlich einem großen chirurgischen Eingriff, 85% derer sind nicht kardiale chirurgische Eingriffe. Die über 45-Jährigen, die sich einer nicht kardialen Operation unterziehen, haben zumeist 2 oder mehr kardiovaskuläre Risikofaktoren. Fast 20% leiden an koronarer Herzerkrankung, und bis zu 5% haben in der Vorgeschichte einen Schlaganfall. Darüber hinaus kommt es bei über 45-Jährigen, die sich stationär einem nicht kardialen chirurgischen Eingriff unterziehen, bei einem von 7 Patient*innen innerhalb von 30 Tagen zu einer schwerwiegenden kardialen oder zerebrovaskulären Komplikation.

Da die Prävalenz von Herz-Kreislauf-Erkrankungen mit zunehmendem Alter steigt, sind perioperative kardiovaskuläre Mortalität und Morbidität überwiegend ein Problem der Älteren. Schätzungen zufolge wird sich bis 2030 jedes Jahr ein Fünftel der über 75-Jährigen einer Operation unterziehen, während die Anzahl der Personen im Alter von 75 bis 84 Jahren in Europa bis 2050 voraussichtlich um 60% steigen wird.

Dies unterstreicht die Bedeutung und dringende Notwendigkeit aktueller und praxisorientierter Handlungsempfehlungen für dieses komplexe Patientenkollektiv. Die Europäische Gesellschaft für Kardiologie hat im Jahr 2022 hierzu aktuelle Leitlinien publiziert, die explizite Empfehlungen zur Risikostratifizierung und zum kardiovaskulären Management von Patient*innen vor, während und nach nicht kardialen chirurgischen Eingriffen („Non-cardiac Surgery“, NCS) geben.

Das Risiko kardiovaskulärer Komplikationen wird durch ein komplexes Zusammenspiel der Dringlichkeit der NCS, des patientenbezogenen Risikoprofils und des chirurgischen Ischämie- und Blutungsrisikos bestimmt. Alter des Patienten sowie vorhandene kardiovaskuläre Risikofaktoren und/oder Erkrankungen bestimmen das Patientenrisiko, wohingegen das operative Risiko vom Ausmaß der NCS und dem damit assoziierten Risiko von unerwünschten Ereignissen bestimmt wird. Anamnese, EKG und insbesondere die kardialen Biomarker spielen eine wichtige Rolle zur individuellen klinischen Risikobewertung und zur Früherkennung einer perioperativen Myokardschädigung, die häufig klinisch stumm verläuft. Die perioperative Mortalität beruht zum überwiegenden Anteil auf perioperativen Myokardinfarkten, die häufig ebenso stumm verlaufen. Daher sollten Patient*innen mit erhöhtem Troponinspiegel im interdisziplinären Team evaluiert und ggfs. behandelt werden.

Können wir das Risiko minimieren? Die Optimierung von Risikofaktoren wie Bluthochdruck, Hyperlipidämie und Raucherentwöhnung bilden den Eckpfeiler der präoperativen Risikominimierung. Der leitlinienkonforme Einsatz von Pharmaka wie Betablockern, Statinen und Thrombozytenaggregationshemmern muss gegen die damit verbundenen Risiken abgewogen werden und führt somit zur Verbesserung der chirurgischen Ergebnisse und der Prognose der Patient*innen. Zeitgerechtes und evidenzbasiertes Absetzen von Antikoagulanzien und Thrombozytenaggregationshemmung führt zur Senkung des perioperativen Blutungsrisikos ohne Anstieg ischämischer unerwünschter Ereignisse.

Nicht nur für uns Kardiolog*innen, sondern auch für unsere hausärztlichen Kollegen*innen und selbstverständlich auch unsere anästhesiologischen und chirurgischen Fachärzt*innen ist es wichtig zu wissen, wann und welche kardiologischen Voruntersuchungen vor NCS notwendig sind. Bei mittlerem oder hohem operativem Risiko sollten mindestens ein EKG und die Bestimmung der kardialen Biomarker, das hochsensitive Troponin, und bei Patient*innen mit Herzinsuffizienz, wenn verfügbar, auch ein BNP/NT-proBNP erfolgen. Eine transthorakale Echokardiografie sollte in der zweiten Linie stehen und Fragen der links- und rechtsventrikulären Funktion und Herzklappenstatus beantworten.

Insgesamt sind wir als Herausgeber dieser Ausgabe den Autor*innen für ihre Artikel, die mit hoher Expertise und sorgsamer Recherche verfasst worden sind, außerordentlich dankbar.

Schlussendlich hoffen wir als Gesamtteam der „Aktuellen Kardiologie“, dass Ihnen die Lektüre dieser Ausgabe genauso viel Freude bereiten wird wie uns.

Ihre

Julinda Mehilli und Christian Perings



Publication History

Article published online:
08 February 2024

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