Flugmedizin · Tropenmedizin · Reisemedizin - FTR 2024; 31(01): 3-4
DOI: 10.1055/a-2168-0431
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Unn Klare
1   Behnkenhagen
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Neu auf Liste vernachlässigter Tropenerkrankungen: Noma

Gerade die ärmere Bevölkerung in den Tropen leidet unter zahlreichen Krankheiten, die jedes Jahr Millionen von Menschen das Leben kosten oder sie dauerhaft beeinträchtigen, die aber von Entscheidungsträgern und Medien kaum wahrgenommen werden. Um diese Krankheiten etwas mehr in den Fokus von Politik, Wissenschaft und öffentlichem Bewusstsein zu rücken, veröffentlichte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) im Jahr 2012 erstmals eine Liste von zunächst 16 vernachlässigten Tropenerkrankungen inklusive eines Zeitplans, in welchen Schritten und mit welchen Mitteln diese einzudämmen oder gar zu eliminieren seien. In den Jahren 2016 und 2017 wurde diese Liste um 4 weitere Krankheiten bzw. Krankheitsgruppen erweitert und im Dezember 2023 folgte dann die vorerst letzte Ergänzung: Noma oder auch Wangenbrand ist nun der 21. Eintrag.

Ein guter Indikator dafür, wie wenig Aufmerksamkeit diese Krankheit in den vergangenen Jahren erhalten hat, ist die Tatsache, dass die jüngsten Schätzungen der WHO zur Krankheitslast aus dem Jahr 1998 stammen. Damals ging man von 140 000 Neuinfektionen pro Jahr und einer Prävalenz von 770 000 Fällen aus. Die Sterblichkeitsrate wurde mit 90 % angegeben, obwohl diese durch eine frühzeitige Behandlung stark gesenkt werden könnte.

Noma tritt vor allem bei 2- bis 6-jährigen Kindern auf, die stark unterernährt sind, kann aber auch Erwachsene betreffen. Das derzeitige Wissen um Ätiologie und Pathogenese der Erkrankung ist begrenzt, allerdings geht man davon aus, dasss verschiedene Bakterien wie Spirochäten, Borrelien, Fusobakterien, Pseudomonaden und Enterokokken zunächst die Mundschleimhaut befallen. Von dort dehnt sich die Krankheit aus und zerfrisst schließlich die Weich- und Knochenteile des Gesichts. Die Folgen sind oft Nekrosen, Blutvergiftungen, Lungenentzündungen, blutiger Durchfall und schließlich der Tod.

Überlebende Patienten sind ein Leben lang entstellt und werden oft von ihrer Familie versteckt oder verstoßen. Zu den sozialen Stigmata und physchologischen Folgen kommen häufig auch funktionelle Einschränkungen wie etwa eine Kieferklemme und damit einhergehende Probleme bei der Nahrungsaufnahme oder beim Sprechen.

Am häufigsten ist Noma in den ärmsten Regionen Afrikas zu finden, die Krankheit kann aber fast weltweit auftreten. So kam es in Europa beispielsweise in den Konzentrationslagern des NS-Regimes oder Russlands ebenfalls zu Infektionen.

In den frühen Stadien der Krankheit, die durch Gesichtsschwellungen geprägt sind, ist eine Behandlung durch gängige Antibiotika, desinfizierende Mundspülungen und Nahrungsergänzungen gut möglich. In späteren Krankheitsstadien sind dann chirurgische Eingriffe nötig, die aber meist lebenslange Entstellungen nicht verhindern können. Oft scheitert aber jedwede Behandlung daran, dass die Betroffenen keinen Zugang zu ärztlicher oder humanitärer Hilfe haben – sei es aufgrund von Armut, fehlender Infrastruktur oder politischen Unruhen.

Hier hofft die WHO durch die Aufnahme in die Liste der vernachlässigten Tropenkrankheiten ansetzen zu können: Durch mehr Aufmerksamkeit für diese Krankheit sollen Mittel freigemacht werden können, die zum einen eine bessere Erforschung von Prävalenz, Ursachen und Therapieansätzen ermöglichen und zum anderen auch den Zugang der Betroffenen zu Hilfsangeboten erleichtern sollen.



Publication History

Article published online:
09 February 2024

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  • Literatur

  • 1 Skafte-Holm A, Pedersen TR, Frølund M. et al Mycoplasma phocimorsus sp. nov., isolated from Scandinavian patients with seal finger or septic arthritis after contact with seals. Int J Syst Evol Microbiol. 2023: 73 Published 15 November 2023. doi: 10.1099/ijsem.0.006163
  • 2 World Health Organization. Number of cases of cutaneaous leishmaniasis reported Data by country. Last updated: 2023-11-01. Im Internet https://apps.who.int/gho/data/node.main.NTDLEISHCNUM
  • 3 Dirección General de Epidemiología. Cuadro 11.1 Casos por entidad federative de Enfermedades de Intereés Local, Regional o Institucional hasta la semana epidemiológica 49 del 2023. Vigilancia Epidemiológica Semana 49, 2023: 44. Im Internet https://www.gob.mx/cms/uploads/attachment/file/877087/BE_SE49.pdf