Z Sex Forsch 2023; 36(04): 241-242
DOI: 10.1055/a-2188-1678
Bericht

Fertility Control into the Hands of Women

Bericht zur 14. Konferenz der Internationalen Vereinigung von Fachkräften zu Schwangerschaftsabbruch und Kontrazeption
Rona Torenz
Fachbereich Gesundheitswissenschaften, Hochschule Fulda – University of Applied Sciences
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Die 14. Konferenz der Internationalen Vereinigung von Fachkräften zu Schwangerschaftsabbruch und Kontrazeption (engl. International Federation of Abortion and Contraception Professionals; FIAPAC), die vom 9. bis 10. September 2022 in Riga stattfand, stand unter dem Motto „Fruchtbarkeitskontrolle in die Hände von Frauen“.[ 1 ] Sie stellte damit bereits im Titel die Rolle von Ärzt*innen als Gatekeeper*innen beim Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen und Verhütung infrage. Inwiefern Frauen in Zukunft selbst Schwangerschaftsabbrüche vornehmen können sollten, ohne auf ärztliche Hilfe angewiesen zu sein, wurde auf der Konferenz in verschiedenen Panels kontrovers diskutiert. Die politische Einordnung wissenschaftlicher Erkenntnisse machte die Konferenz damit sowohl für Wissenschaftler*innen als auch Aktivist*innen spannend.

Kinga Jelinska (Polen), Mitgründerin der NGO Women Help Women, die telemedizinischen Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen weltweit anbietet, lieferte ein deutliches Statement: „Bei der Versorgung für Schwangerschaftsabbrüche geht es nicht um Gesundheitsversorgung, sondern um Macht, Aufklärung und Autonomie.“[ 2 ] In ihrem Beitrag vertrat sie die Haltung, dass es nicht länger darum gehen sollte, mehr Ärzt*innen für die Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen zu gewinnen und medizinische Innovationen in der Wissenschaft voranzubringen: Stattdessen sollten Ärzt*innen Platz machen für Aktivist*innen und den Zugang zum Schwangerschaftsabbruch außerhalb von Medizin, Recht und Markt stärken. Jelinska vertrat die Ansicht, dass es ungewollt Schwangeren möglich sein muss, selbstständig ihre Schwangerschaft abbrechen zu können und freien öffentlichen Zugang zu Mifepriston und allen weiteren notwendigen Mitteln zu erhalten. Zudem nahm sie eine klare entstigmatisierende Haltung ein und verurteilte den Fokus auf die Prävention von Abbrüchen und die hinter Abtreibungsverboten stehende Sexualmoral: Statt vor allem Strategien zu verfolgen, die Schwangerschaftsabbrüche bzw. ungewollte Schwangerschaften verhindern, sollten diese vielmehr als Teil des Lebens normalisiert werden. Denn es sei moralisch nichts dagegen einzuwenden, Schwangerschaftsabbrüche wie oder statt Verhütung zu nutzen. Damit kritisierte sie auch das innerhalb der Pro-Choice-Bewegung beliebte Argument, dass Schwangerschaftsabbrüche legalisiert gehörten, da Verhütung nicht hundertprozentig sicher sei, was bereits die Nutzung von Verhütung voraussetzt.

Rebecca Gomperts (Niederlande), Mitgründerin der NGO Women On Web, die die gleichen Dienste wie Jelinskas Organisation anbietet, widersprach dem Beitrag von Jelinska direkt. Sie warb dafür, nicht die Innovationen zu unterschätzen, die die Wissenschaft für Schwangerschaftsabbrüche hervorbringen kann. Sie stellte die Post-Roe-Strategie ihrer Organisation vor, also für die Zeit, nachdem der US-Supreme-Court das Urteil Roe versus Wade im Juni 2022 gekippt hat und somit das Verbot der Kriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen aufhob und eine Welle von Zugangsrestriktionen in zahlreichen US-Bundesstaaten in Gang setzte. Diese Strategie beinhaltet, klinische Studien zur Wirksamkeit von Verhütung durch die wöchentliche Einnahme von 50 mg Mifepriston durchzuführen und somit den Weg zu ebnen für eine Pille, die sowohl für Schwangerschaftsabbruch als auch für Verhütung genutzt werden kann. Vor dem Hintergrund, dass bereits vielfach Studien vorliegen, die eine sehr gute Wirksamkeit von kleineren Dosen Mifepriston (25–50 mg) als Notfallverhütung nachweisen, der Wirkstoff jedoch trotzdem in vielen Ländern genau deshalb nicht als Notfallverhütung zugelassen ist, weil er eben auch für den Schwangerschaftsabbruch genutzt werden könnte, lässt zumindest daran zweifeln, dass sich dies mit den von Gomperts angekündigten Studien ändern würde.

Margit Endler (Schweden) vom Department of Women´s and Children´s Health des Karolinska-Instituts widmete sich in ihrem Beitrag der Frage, wie man den Zugang zur Schwangerschaftsabbruchversorgung eigentlich sinnvoll messen kann. Dabei betonte sie, dass hier die Praxis sehr viel entscheidender sei als die offizielle Politik. Sie begründete dies unter anderem damit, dass in Schweden bereits vor der vollständigen Legalisierung im Jahr 1975 die – im Rahmen der bis dahin geltenden Indikationsregelung – legalen Schwangerschaftsabbrüche zugenommen hätten. Sie schlug vier Indikatoren vor, um den Zugang zu messen: wann (Gestationsalter), wie (Methoden), wo (zuhause oder medizinische Einrichtung) und wie viele (Rate an Schwangerschaftsabbrüchen). Sie betonte dabei die Wichtigkeit der Dezentralisierung und Demedikalisierung der Versorgungsangebote und somit die Stärkung von Möglichkeiten zum Selbstmanagement von Schwangerschaftsabbrüchen.

Die Frage nach der Rolle von Ärzt*innen bei der Versorgung für Schwangerschaftsabbrüche blieb auch in der Session zum Weigerungsrecht von medizinischem Personal, sich an Schwangerschaftsabbrüchen zu beteiligen, präsent. Mirella Parachini (Italien), Ärztliche Direktorin am Department für Gynäkologie und Geburtshilfe der Klinik San Filippo Neri in Rom, beschrieb in ihrem Beitrag den Einfluss des Weigerungsrechts in Italien. Dabei betonte sie, dass nicht nur das Weigerungsrecht, von dem in Italien durchschnittlich etwa 70 % der Gynäkolog*innen Gebrauch machen würden, für den Zugang zu Schwangerschaftsabbruch in Italien ein Problem sei. Stattdessen wies sie auf die Regelung hin, dass in Italien nur Ärzt*innen medikamentöse Abbrüche durchführen dürften. Wäre dies anders und andere Berufsgruppen dürften ebenfalls medikamentöse Abbrüche anbieten, würde dies den Zugang erheblich verbessern.

In der Publikumsdiskussion ging es im Weiteren zum einen um die Begriffe und Bezeichnungen: So wurde u. a. dafür plädiert, statt von „Verweigerung aus Gewissensgründen“ (conscientious objection) von „Verweigerung der Behandlung“ (refusal of care) zu sprechen. Zum anderen wurde nochmals kontrovers die Haltung aufgegriffen, Ärzt*innen stärker die Macht über das Versorgungsangebot zu entziehen und einen niedrigschwelligeren Zugang zum Schwangerschaftsabbruch ohne ärztliche Hilfe zu verwirklichen. Hier wurde entgegengehalten, dass es auch Schwangerschaftsabbrüche in späteren Stadien gibt, die nur von Ärzt*innen durchgeführt werden sollten. Zudem wurde die Verantwortung der Mediziner*innen als Gruppe hervorgehoben, die zu Recht für die Sicherstellung medizinischer Dienstleistungen Verantwortung tragen: So betonte ein*e Teilnehmer*in, dass es auch einen stigmatisierenden Effekt haben könne, Schwangerschaftsabbrüchen dadurch wieder eine besondere Rolle zuzuweisen und sie nicht als medizinische Dienstleistung wie jede andere zu behandeln. Zudem wurde auf das Beispiel Bangladesch hingewiesen, wo Misoprostol als „Menstruationsregulierung“ frei verfügbar ist und trotzdem viele Abbrüche in unsicheren Settings stattfinden. Als ein wichtiger Grund wurde hier der fehlende Zugang zu Informationen genannt. Dies bedeutet, dass selbst mit der freien Verfügbarkeit aller notwendigen Medikamente noch kein freier Zugang zu Schwangerschaftsabbruch hergestellt ist.

In der Session zu Veränderungen in der Versorgung für Schwangerschaftsabbrüche und Verhütung erläuterte Martha Paynter (Kanada), Assistant Professor an der Fakultät für Krankenpflege der University of New Brunswick, wie die Zulassung von Mifepriston im Jahr 2015 in Kanada zu einer Verbesserung des Zugangs zu Abbrüchen geführt habe. Innerhalb von zwei Jahren habe sich der Anteil medikamentöser Abbrüche an allen Abbrüchen in Kanada von 4 % (vor 2015 mit Methotrexat) auf 30 % erhöht. Insbesondere Allgemeinmediziner*innen und Pflegekräfte in ländlichen Gebieten hätten als Anbieter*innen von Schwangerschaftsabbrüchen gewonnen werden können. In dem großen und sehr dünn besiedelten Land stellten die großen Entfernungen und damit zusammenhängende Reisekosten eine der zentralen Zugangsbarrieren dar. Diese Barrieren seien durch die Veränderungen ab 2015 merklich verringert worden. Die meisten der neuen Anbieter*innen führten dabei weniger als zehn Schwangerschaftsabbrüche im Jahr durch, da sie nur wenige Einwohner*innen versorgen müssten – sie stellten somit insbesondere das Angebot in der Fläche sicher.

Auch hier wurde im Publikum mit etwas anderem Schwerpunkt die Diskussion um den Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen wieder aufgegriffen. Dabei wurde betont, dass insbesondere die freie Wahl der Abbruchmethode für die Patient*innen wichtig sei – wenn jedoch Strategien zur Verbesserung des Zugangs vor allem telemedizinische Angebote und die Ausweitung der Berufsgruppen bzw. Over-the-Counter-Abgaben umfassen würden, so würde dies vor allem den Zugang zu medikamentösen Abbrüchen verbessern, jedoch nicht zum operativen. Im Sinne einer freien Methodenwahl könne dies problematisch sein, wie man am Beispiel Schweden sehen könne, wo fast nur noch medikamentöse Abbrüche stattfinden. Zudem könnten telemedizinische Angebote auch hohe technische Hürden mit sich bringen und den Zugang für besonders vulnerable Gruppen einschränken.

Tatsächlich scheint die Verbesserung des Zugangs zur billigeren und weniger personalintensiven Methode des medikamentösen Schwangerschaftsabbruchs im Selbstmanagement vor dem Hintergrund fortschreitender Neoliberalisierungstendenzen in den Gesundheitssystemen um einiges vielversprechender und mit diesen auch besonders kompatibel zu sein. Zudem könnte auch eine Rolle spielen, dass medikamentöse Abbrüche weniger stigmatisiert sind, da sie weniger invasiv vonstattengehen. Inwiefern die Möglichkeit des selbst vorgenommenen, medikamentösen Schwangerschaftsabbruchs auch zu verbleibender Tabuisierung beitragen kann, da Frauen dann vermehrt allein und zu Hause – quasi hinter verschlossenen Türen – ihre Schwangerschaften abbrechen würden, gilt es ebenfalls weiter zu diskutieren. Die Vorteile davon, die Macht von medizinischem Personal als Gatekeeper*innen beim Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen einzuschränken, können nicht geleugnet werden. Gleichzeitig sprechen viele gewichtige Argumente dafür, weiterhin auch Strategien zu verfolgen, die mehr Ärzt*innen und medizinisches Personal für das Angebot von Schwangerschaftsabbrüchen gewinnen wollen.

Insgesamt zeigte die Konferenz, dass Diskussionen zwischen Wissenschaftler*innen und Aktivist*innen sehr produktiv sein können, wenn es darum geht zu erkunden, wie die Versorgung für Schwangerschaftsabbrüche und Verhütung weltweit verbessert werden kann.



Publication History

Article published online:
05 December 2023

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