Zeitschrift für Palliativmedizin 2024; 25(02): 57-58
DOI: 10.1055/a-2205-8190
Editorial

GrenzWerte in der Palliative Care – mehr als ein Kongressthema?

Liebe Leserinnen und Leser,

Vom 4.4.–6.4.2024 findet in Villach, Kärnten, Österreich, der 8. Interprofessionelle Palliativkongress der Österreichischen Palliativgesellschaft statt. Nachdem wir uns alle so lange nach dieser Zusammenkunft gesehnt haben, ist es endlich so weit. Am 4. April 2024 ist der Moment, an dem wir uns wieder treffen – persönlich, vor Ort, ohne virtuelle Barrieren. Es ist ein besonderer Anlass und wir, das multiprofessionelle Kongresspräsidium, aber auch der gesamte Vorstand der Österreichischen Palliativgesellschaft (OPG) sind voller Vorfreude und Dankbarkeit, dass wir diesen Kongress gemeinsam vorbereiten und erleben dürfen.

GrenzWerte – der treffende Titel dieses Kongresses – spiegelt unsere gemeinsamen Erfahrungen und Herausforderungen wider. In Palliative Care sind wir oft mit Grenzen konfrontiert, sei es in der Medizin oder Pflege, der Ethik, dem Recht oder im Umgang mit unseren Gefühlen. Doch zugleich symbolisiert der Titel auch die Werte, die uns alle miteinander verbinden – Mitgefühl, Empathie und die unermüdliche Suche nach dem Wohl und möglichst guter Lebensqualität für unserer Patient*innen.

Wir leben in einer Zeit voller Grenzen – auch schmerzhafter Grenzen der Selbstbestimmung in Gesundheitsfragen, Grenzen der Machbarkeit und der Belastbarkeit unseres Planeten. Grenzverletzungen begegnen uns täglich im internationalen Diskurs. Das Gesundheitssystem und seine Mitarbeiter*innen arbeiten seit Jahren am Limit.

GrenzWerte haben wir aus vielen Gründen zum Motto des 8. Österreichischen Interprofessionellen Palliativkongresses gewählt, da es Grenzen gibt, die bestehen, die unüberwindbar scheinen, die Leid verursachen. Andere Grenzen schützen, bewahren oder ermöglichen uns Orientierung. Grenzen sollen auch unsere Werte schützen. An Grenzen tauchen Unvereinbarkeiten auf, aber sie ermöglichen auch Entwicklung, Grenzen können Struktur und Ordnung schaffen. Gemeinschaftliche Werte nicht nur in der Hospiz- und Palliativversorgung sind im Wandel.

Aber hat das Thema GrenzWerte in der Palliative Care auch außerhalb eines Kongresses Relevanz? Welche Themen in der Palliative Care bringen uns an Grenzen? Welche Situationen führen zu Begrenzung, zur Ausgrenzung? Spielen Grenzen in der Palliative Care eine Rolle? Oder ist es nicht vielmehr so, dass Menschen, die in der Hospiz- und Palliativversorgung tätig sind, generell Menschen sind, die über ihre Grenzen hinausgehen und sich selber keine Grenzen setzen in dem Bemühen, anderen Menschen zu helfen? Vielleicht sollte es auch ein Thema in der Palliative Care sein, zu lernen, eigene Grenzen zu erkennen und zu setzen, auch einmal nein sagen zu dürfen, auch einmal zu sagen, „das ist mir zu viel, das geht über meine Grenze“. Grenzen aufzeigen dürfen, dem Team, den Patient*innen, aber auch sich selber. Denn wenn wir ständig über unsere eigenen Grenzen gehen, werden wir, die wir im Palliative-Care-Bereich tätig sind, vielleicht eines Tages eine Grenze überschreiten, von der es kein Zurück mehr gibt? Es darf und muss erlaubt sein, auch in diesem sensiblen Bereich Grenzen zu setzen.

In Österreich bewegt ein Thema mehr als alle anderen die Landschaft der Palliative Care: Seit dem 1.1.2022 ist die Hilfeleistung zum Suizid grundsätzlich erlaubt. Weiterhin verboten ist das Verleiten zum Suizid (§ 78 StGB, 1 Tatbestand) und die Tötung auf Verlangen (§ 77 StGB). Hier brechen bisherige Grenzen auf und lassen oftmals Gräben statt Verbindendes oder Struktur zurück. Unterschiedliche Meinungen und Haltungen zum Umgang mit Nachfragen zum assistierten Suizid haben uns auch in unserer sorgenden Gesellschaft an Grenzen geführt, die uns vorher nicht immer bewusst waren. Es ist einfach, eine Grenze einzuhalten, wenn sie da ist. Wenn die Grenze verschwunden ist, muss sie auch nicht eingehalten werden. Doch bei vielen ist sie in der Vorstellung, in der Wertehaltung noch vorhanden. Diese Grenzverschiebungen, die Änderung der Werte in unserer Gesellschaft bergen das Risiko in sich, Risse in zwischenmenschliche Beziehungen zu bringen, sowohl im privaten als auch im beruflichen Bereich. Die Erschaffung einer neuen Grenze beziehungsweise die Aufweichung einer alten Grenze durch ein neues Gesetz hat zu einer Kluft im Werteverständnis vieler im Palliativ-Care-Bereich Tätiger geführt. Doch das, was uns zusammenhält, unser gemeinsames Ziel, die bestmögliche multiprofessionelle Versorgung unserer Patient*innen durch Haupt- und Ehrenamtliche, darf durch solch eine Verschiebung der GrenzWerte nicht leiden. Gegenseitiger Respekt und Akzeptanz für andere Meinungen sollten gerade in unserem Bereich möglich sein. Die neue Gesetzeslage hat in Österreich auch zu einer Verschiebung der Grenzen des medizinisch Möglichen für Patient*innen geführt. Viele betroffene Menschen, vor allem Angehörige, werden seit dem 1.1.2022 an die Grenzen der Belastbarkeit durch die Einführung des neuen Gesetzes gebracht. Eine Grenze oder Grenzverschiebung hat oftmals etwas Bedrohliches an sich. Helfen hier Grenzwärter, Grenzwächter oder neu aufgestellte Barrieren?

Das Thema assistierter Suizid wird uns noch lange begleiten, und wir, die im Bereich der Palliative Care tätig sind, müssen lernen, mit dieser Verschiebung der GrenzWerte umzugehen. Bei all dem dürfen wir aber nicht vergessen: gemeinsam als Palliative-Care-Gemeinschaft zur Verbesserung der Strukturen für Palliative Care und Hospizbetreuung nicht nur in Österreich beizutragen. Hier haben wir nämlich noch längst nicht die Grenze des Machbaren erreicht. Vielleicht dürfen wir sogar träumen und eines Tages sagen: dem Ausbau von Hospiz- und Palliative-Care-Strukturen für eine bessere Betreuung Schwerkranker und Sterbenden sind in Österreich keine Grenzen gesetzt? Dafür und diese Werte wollen wir uns weiter einsetzen!

Das Thema GrenzWerte hat in unseren Augen durchweg Bestand und bietet Diskussionspotenzial über den 8. Interprofessionellen Palliativkongress der Österreichischen Palliativgesellschaft in Villach hinaus. GrenzWerte in der Hospiz- und Palliativversorgung haben in verschiedenen Ländern vermutlich andere Bedeutungen. Nationale und internationale Vergleiche unterschiedlicher GrenzWerte stellen sicher nicht nur zum Thema assistierter Suizid ein zukünftiges Forschungsthema dar. Kulturelle Grenzen, Grenzen der eigenen Belastbarkeit, sowohl für multiprofessionelle Teams als auch Patient*innen und deren An- und Zugehörigen sowie Grenzen, die wir setzen, aber auch solche, die uns von anderen gesetzt werden, spielen in der Palliative Care eine zunehmende Rolle.

Gemeinsam Grenzen und Werte zu diskutieren und auszuloten, sollte und muss gerade in unserer umsorgenden Palliative Care Kultur und einer diversen Gesellschaft auch in Zukunft immer möglich sein. Wir freuen uns, mit Ihnen beim Kongress in Kärnten diese Themen zu diskutieren.

Für das Kongresspräsidium und den Vorstand der OPG

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Gudrun Kreye
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Rudolf Likar
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Dietmar Weixler


Publication History

Article published online:
01 March 2024

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