Aktuelle Urol 2024; 55(04): 277-278
DOI: 10.1055/a-2257-1324
Editorial

Neuro-Urologie: Relevanz für unser Fachgebiet

Arndt van Ophoven
1   Abteilung für Neuro-Urologie, Marien Hospital Herne, Universitätsklinikum der Ruhr-Universität Bochum, Herne, Germany
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Zahlreiche neurologische Erkrankungen führen zu Funktionsstörungen des unteren Harntrakts und resultieren in Symptomen, welche die Lebensqualität der betroffenen Patienten erheblich beeinträchtigen. Die Ursache, der Ort und die Art der neurologischen Läsion beeinflussen das Muster und Ausmaß der neuro-urologischen Funktionsstörung. Der Begriff „neurogene Blase“ wird hierbei ganz allgemein für Funktionsstörungen des unteren Harntrakts verwendet, die durch eine neurologische Erkrankung verursacht werden. Patienten mit neurologischen Erkrankungen berichten häufig über Funktionsstörungen des unteren Harntrakts und die Auswirkungen auf die Lebensqualität werden von Urologen und v.a. auch Neurologen zunehmend erkannt. Das heterogene Erscheinungsbild neuro-urologischer Störungen spiegelt die Komplexität der neuronalen Steuerung des unteren Harntrakts wider. Hierbei ist das Risiko, (auch) eine Schädigung des oberen Harntrakts und Nierenversagen zu entwickeln, bei Patienten mit langsam fortschreitenden nicht-traumatischen neurologischen Erkrankungen deutlich geringer als bei Patienten mit Rückenmarksläsionen. Die neurogenen Dysfunktionen der Beckenorgane umfassen neben Harnblasen- auch Sexual- und Darmfunktionsstörungen, deren komplexe Wechselbeziehung zunehmend besser verstanden wird.

Die Bedeutung der neuro-urologischen Diagnostik und Therapie lässt sich aus der Epidemiologie der neurogenen Blase ableiten [1]:

Bei US-amerikanischen Patienten mit Multipler Sklerose findet sich bei bis zu 90% der Fälle eine neurogene Blase, gleichfalls bei 37–72% der Patienten mit Morbus Parkinson und bei 15% aller Schlaganfallpatienten. Untersuchungen zeigen, dass 70–84% der Patienten mit Rückenmarksverletzungen in ihrem Leben eine neurogene Blasenfunktionsstörung entwickeln. Die weltweite jährliche Inzidenz von Rückenmarksverletzungen, die zu einer neurogenen Blasenfunktionsstörung führen, wird auf über 65 Fälle pro Million Einwohner geschätzt. In den Vereinigten Staaten werden jährlich etwa 1427 Kinder mit Spina bifida geboren; das ist in etwa eine von 2758 Lebendgeburten/Jahr. Bei diesen Patienten liegen unterschiedliche Formen von Blasenfunktionsstörung ebenfalls dauerhaft vor: z.B. beklagen bis zu 60,9% der Erwachsenen mit Spina bifida irgendeine Form von Harninkontinenz.

Für die Behandlung von neuro-urologischen Funktionsstörungen des unteren Harntrakts in diesen speziellen Patientengruppen ist ein individueller, auf den Patienten zugeschnittener und multimodaler Therapie- und Betreuungsansatz erforderlich. Hiermit beschäftigen sich die Beiträge des vorliegenden Schwerpunktheftes, zu dem zahlreiche Autor*innen aus namhaften neuro-urologischen Exzellenzzentren beigetragen haben. Für deren Zeit und Engagement, neben der eigentlichen Patientenversorgung über neuro-urologische Herausforderungen und Lösungen zu berichten, gebührt ihnen der Dank der Leserschaft und insbesondere mein ausdrücklicher Dank als koordinierender Herausgeber dieser Themenausgabe der „Aktuellen Urologie“.

Ich wünsche Ihnen liebe Kolleginnen und Kollegen, dass Ihnen die Lektüre sowohl Wissenswertes zur Neuro-Urologie als auch deren Relevanz für unsere Fachrichtung zu vermitteln vermag.



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Article published online:
24 July 2024

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