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DOI: 10.1055/a-2294-5857
Kopfschmerz

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
liebe Leserinnen, liebe Leser,
Kopfschmerzen in ihren zahlreichen Variationen sind und waren schon immer ein omnipräsentes Volksleiden. Folglich haben sie eine lange, aber auch faszinierende Geschichte in der Medizin. Typische Migränekopfschmerzen wurden beispielsweise bereits in einem Text einer mittelbabylonischen Keilschrifttafel beschrieben, Hippokrates erkannte ca. 400 v. Chr. erstmals die Aura als einen möglichen Vorboten dieser Kopfschmerzform. Die alten Griechen machten die Dämonin Antaura für Kopfschmerzen verantwortlich, in Form eines Kopfweh verursachenden Windgeists, vor dem man sich bis ins Mittelalter hinein mit dem Tragen von Amuletten zu schützen suchte. Nicht erst in der Antike, sondern bereits in der Steinzeit um 10 000 v. Chr. wurden (lebenden!) Menschen Löcher in den Schädel gebohrt, um Kopfschmerzen zu behandeln. Das ebenfalls gebräuchliche alleinige Einreiben des Kopfes, beispielsweise mit der Asche des Skeletts eines Welses, half augenscheinlich oft nicht ausreichend. Diese Praxis der Trepanation sollte böse Geister vertreiben und wurde wohl auch regelmäßig überlebt, was zahlreiche Funde von Schädelknochen belegen. Wie sehr aber müssen die Menschen damals gelitten haben, um diese Prozedur freiwillig über sich ergehen zu lassen? Und das, obwohl zumindest in der Antike auch schon Opium und Weidenrinde schmerzlindernd bei Kopfschmerzen eingesetzt wurden.
Im Mittelalter und in der Renaissance sah man Kopfschmerzen oft als Strafe Gottes oder als Werk böser Geister an. Neben pflanzlichen Tinkturen und Salben umfassten die Heilversuche dann konsequenterweise auch religiöse Rituale und Gebete. Humoralpathologisch wurde z. B. der Überschuss aggressiver, gelber Galle für die Entstehung einer Hemikranie verantwortlich gemacht. Im 17. Jahrhundert begann man, Kopfschmerzen als neurologisches Problem zu erkennen. So trug René Descartes zur Entwicklung des sogenannten Reiz-Reaktions-Schemas bei, das als Grundlage für das moderne Schmerzverständnis dient. 1884 erkannte schließlich William H. Thompson die Wirksamkeit eines Mutterkornextrakts bei Migräne. 1920 gelang daraus die Isolierung des Wirkstoffs Ergotamin, der bis heute in der Migränetherapie eingesetzt wird und die Grundlage für die Entwicklung der Triptane darstellte.
Heute gibt es mehr als 250 verschiedene Diagnosen für Kopfschmerzen und glücklicherweise weit weniger invasive Behandlungsmöglichkeiten als die Trepanation, von Medikamenten bis hin zu multimodalen Therapien. Trotzdem gehören Kopfschmerzen immer noch zu den häufigsten und am meisten beeinträchtigenden Erkrankungen der Menschheit. Daher sind gerade integrative Behandlungsansätze, also die Bündelung konventioneller Medizin und bewährter Erfahrungsmedizin, für eine möglichst effektive Behandlung unabdingbar. In dieser Ausgabe der Erfahrungsheilkunde möchten wir Ihnen nun in verschiedene erfolgversprechende komplementärmedizinische Therapieoptionen bei Kopfschmerzen Einblick geben und wünschen Ihnen viel Spaß bei der Lektüre.
Herzlichst Ihr
Robert Schmidt
Publication History
Article published online:
16 August 2024
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