Zeitschrift für Palliativmedizin 2024; 25(04): 180-181
DOI: 10.1055/a-2334-2314
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Das Geheimnis des Lebens berühren

Martin Weber

Am 23. April 2024 verlieh die Mainzer Palliativstiftung Herrn Pfarrer Dr. h. c. Erhard Weiher ihren diesjährigen Cicely Saunders-Preis ([ Abb. 1 ]). Sie würdigte damit seine Verdienste um die Seelsorge an den Grenzen des Lebens und die Erschließung der Spiritualität als Ressource in der Begleitung sterbenskranker Menschen. Pfr. Weiher verstarb nur wenige Tage später am 2. Mai an den Folgen einer seit drei Jahren mit großer Tapferkeit ertragenen Amyotrophen Lateralsklerose. Im Rahmen einer bewegenden Preisverleihung (Bilder und Eindrücke davon auf https://www.palliativstiftung-mainz.de/) hielt Prof. Dr. Martin Weber, langjähriger Leiter der Abteilung für Palliativmedizin an der Universitätsmedizin Mainz, die Laudatio, die an dieser Stelle in gekürzter Form wiedergegeben wird:

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Abb. 1 Die Mainzer Palliativstiftung verleiht Herrn Pfarrer Dr. h. c. Erhard Weiher ihren diesjährigen Cicely Saunders-Preis. Von links nach rechts: Prof. Dr. Martin Weber (Mitglied Stiftungsrat Mainzer Palliativstiftung), Andrea Römheld (Vorsitzende Kuratorium Mainzer Palliativstiftung), Marion Hahn (Pflegevorstand Universitätsmedizin Mainz), Pfr. Dr. h. c. Weiher, Bernhard Nellessen (Vorsitzender Stiftungsrat Mainzer Palliativstiftung). Quelle: Thomas Boehm

Erhard Weiher wurde am 8.5.1941 in Lorsch/Bergstraße geboren. Er studierte zuerst Physik in Heidelberg und Mainz, danach Theologie in Mainz und Regensburg. Nach 10-jähriger Tätigkeit als Hochschulpfarrer an der TU Darmstadt leitete er von 1987 bis zu seiner Pensionierung im Jahr 2009 die kath. Klinikseelsorge an der Universitätsmedizin Mainz.

In der seelsorglichen Begleitung schwerstkranker und sterbender Menschen fand Pfr. Erhard Weiher sein Lebensthema, das er in den vergangenen fast 40 Jahren in vielfältiger Weise bearbeitet hat: in der konkreten Seelsorge am Krankenbett, in der liturgischen Gestaltung ungezählter Gottesdienste und Begräbnisfeiern, in zahllosen Vorträgen und Fortbildungen im In- und Ausland, im Q13-Querschnittbereich „Palliativmedizin“, in der Begleitung der Anatomiekurse für Studierende, in der Konzeptionierung und Durchführung der Fachweiterbildung „Seelsorge und Spiritual Care“, und nicht zuletzt in einem reichen schriftstellerischen Werk, für das ihm im Jahr 2006 der Fachbereich Katholische Theologie der Universität Mainz die Ehrendoktorwürde verlieh.

1999 erschien seine erste Monografie: „Mehr als Begleiten – ein neues Profil für die Seelsorge im Raum von Medizin und Pflege“, in der der Grundtenor seines seelsorglichen Ansatzes deutlich wurde, nämlich die der Seelsorge „ureigene Agogig wieder neu heraus(zu)arbeiten“: „die Mystagogik, den Anschluss an das Heilige.“

Im weiteren Verlauf ging es Erhard Weiher dann zunehmend auch um die spirituelle Dimension im Handeln der anderen Professionen. So entstand ein modernes Konzept einer Spiritualität bei Krankheit, Sterben und Tod, einer Grammatik für Helfende, in der es darum geht, „das Geheimnis des Lebens zu berühren“, so der Titel seines letzten Buches, das mittlerweile in 4. Auflage erschienen ist und als Standardwerk für alle gelten kann, die ihr Wissen über die spirituelle Dimension in der Palliative Care reflektieren, erweitern und vertiefen möchten.

Den letzten Abschnitt dieses Buches hast Du, lieber Erhard, betitelt mit „Zu guter Letzt“, und Du schreibst darin:

„Nach meinem Verständnis ist die Rede vom Geheimnis erst vollständig, wenn wir in Mensch und Welt nicht nur eine innerste Mitte sehen, sondern uns auch von einem unendlichen Geheimnis umgeben wissen. Als Christ und Theologe ist es das, was mich bei allen Überlegungen zur Existenz des Menschen umtreibt: wir berühren bei unseren Tätigkeiten nicht nur das Geheimnis eines Menschen und werden davon berührt. (Vielmehr sind) wir in die alles tragende und bergende Kraft des unendlichen Geheimnisses eingebettet, das religiöse Menschen „Gott“ nennen. Dieses Umgriffensein kann ich aus meiner religiösen Profession heraus den anderen Berufen nur vorschlagen. Der Glaube an einen Allumfassenden würde alle Berufe nicht nur von den Allmachtserwartungen dieser Welt und den Ohnmachtsphantasien in uns selbst entlasten. Vor allem aber würde ein solcher Glaube all unseren Tätigkeiten und Funktionen einen letzten und durch nichts anderes zu ersetzenden Sinn geben.“

Ich und wir alle in diesem Kirchenraum, den Du so viele Jahre mit Deiner Persönlichkeit geprägt hast, wünschen Dir, lieber Erhard, dass auch in Deiner jetzigen schwierigen Lebenssituation diese Einbettung in die alles tragende und bergende Kraft des unendlichen Geheimnisses für Dich spürbar und erfahrbar bleibt; denn, so zitierst Du in Deinem Buch den Theologen Karl Rahner: „Nur das Geheimnis tröstet“.

Eine Sammlung aller Veröffentlichungen, Vorträge und Konzepte von Erhard Weiher findet sich auf http://www.erhardweiher.de/.



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Article published online:
28 June 2024

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