Allgemeinmedizin up2date 2024; 05(04): 279
DOI: 10.1055/a-2376-0885
Editorial

Digitalisierung und Delegation – Notwendige Antworten auf den demographischen Wandel in der Allgemeinmedizin

Wolfgang C.G. von Meißner

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

die Allgemeinmedizin befindet sich in einem tiefgreifenden Umbruch, der maßgeblich durch den demographischen Wandel und die strukturellen Veränderungen im Gesundheitssystem beeinflusst wird. Der bevorstehende Ruhestand der Babyboomer-Generation sowie der bereits spürbare Versorgungsdruck aufgrund eines Mangels an nachrückenden Hausärztinnen und Hausärzten erfordern nachhaltige und innovative Versorgungsmodelle. Insbesondere der Umstand, dass bereits heute etwa 40 % der niedergelassenen Hausärztinnen und Hausärzte das 60. Lebensjahr überschritten haben, verdeutlicht die Dringlichkeit dieser Herausforderung. Vor diesem Hintergrund bieten Digitalisierung und Delegation entscheidende Lösungsansätze, um die hausärztliche Versorgung zukunftssicher zu gestalten.

Die fortschreitende Digitalisierung eröffnet dabei vielversprechende Möglichkeiten zur Effizienzsteigerung und zur Verbesserung der Versorgungsqualität. Telemedizinische Anwendungen, Praxis-Patienten-Apps, die „ePA für alle“ sowie der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) in diagnostischen und therapeutischen Prozessen können dazu beitragen, Arbeitsabläufe zu optimieren und die Patientenversorgung zu unterstützen. Gleichwohl mangelt es oft an standardisierten Schnittstellen und einheitlich anerkannten Standards, die eine flächendeckende Implementierung ermöglichen würden. Darüber hinaus stellen sich ethische und rechtliche Fragen in Bezug auf die Verantwortung der Ärztinnen und Ärzte, insbesondere im Hinblick auf den Einsatz von KI.

Parallel zur Digitalisierung gewinnt die Delegation ärztlicher Tätigkeiten an Bedeutung. Der Einsatz von akademisch qualifizierten nicht-ärztlichen Gesundheitsberufen, insbesondere Physician Assistants (PA), kann eine wesentliche Entlastung der hausärztlichen Versorgung bewirken. Dabei bleibt es unabdingbar, dass die ärztliche Verantwortung in den zentralen Bereichen der Diagnostik und Therapie gewahrt bleibt. Dennoch zeigt die Praxis, dass durch die Übernahme routinemäßiger ärztlicher Aufgaben eine erhebliche Entlastung im Praxisalltag erzielt werden kann. Ein Beispiel hierfür ist die in Baden-Württemberg etablierte Hausarztzentrierte Versorgung (HZV), in der erste Schritte unternommen wurden, den „Arzt-Patienten-Kontakt“ durch den „Teampraxis-Patienten-Kontakt“ zu ersetzen. Solche Ansätze müssen jedoch über die HZV hinaus weiterentwickelt und in ökonomisch tragfähige Strukturen überführt werden.

Die Beiträge dieser Ausgabe der Allgemeinmedizin up2date reflektieren diese Herausforderungen und Lösungsansätze. So thematisieren sie unter anderem die Bedeutung einer patientenzentrierten Kommunikation, den Umgang mit diagnostischen Unsicherheiten sowie den Einsatz innovativer diagnostischer Verfahren wie POCUS-Thorax. Diese Beiträge verdeutlichen, wie unerlässlich es ist, sich kontinuierlich mit den sich verändernden Rahmenbedingungen der hausärztlichen Versorgung auseinanderzusetzen. Es liegt in unserer gemeinsamen Verantwortung, diese Entwicklungen aktiv mitzugestalten, um die Qualität und Nachhaltigkeit der hausärztlichen Versorgung auch in Zukunft zu gewährleisten.

Viel Freude bei der Lektüre wünscht

Prof. Dr. Wolfgang C. G. von Meißner



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Article published online:
25 November 2024

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