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DOI: 10.1055/a-2481-1605
Off-Label verschriebene Medikamente können mehr schaden als nützen
Eine aktuelle, gerade in Lancet Respiratory Medicine veröffentlichte Studie zeigt, dass die Off-Label-Verschreibung eines gängigen Antidepressivums (Mirtazapin) die chronische Atemnot bei Patient*innen mit Lungenerkrankungen nicht lindern, sondern möglicherweise unerwünschte Nebenwirkungen verursachen kann. Ein internationales Forschungskonsortium unter der Leitung des King’s College London und Mitwirkung der palliativmedizinischen Einrichtungen des LMU Klinikums München und der Uniklinik Köln warnt davor, Medikamente für einen nicht zugelassenen Anwendungsbereich ohne ausreichende Evidenz zu verschreiben, da diese die Situation der Patient*innen möglicherweise trotz bester Absichten der verschreibenden Ärzt*innen verschlechtern können. Die Ergebnisse unterstreichen den dringenden Bedarf an Medikamenten zur symptomatischen Linderung schwerer Atemnot. In Deutschland und in den meisten anderen Ländern gibt es keine zugelassenen Arzneimittel, die Atemnot lindern, wenn die Behandlung der Grunderkrankung keine ausreichende Symptomkontrolle ermöglicht. Vor Studienbeginn ergab eine Befragung von Ärzt*innen in der Pneumologie und Palliativmedizin, dass Off-Label-Verschreibungen von Medikamenten, die zwar für eine andere Anwendung zugelassen sind, nichts aber zur Linderung von Atemnot, häufig waren.
Mirtazapin, ein häufig verwendetes Antidepressivum, gehörte zu den verschriebenen Medikamenten. Fallserien und frühe Studien ließen zunächst auf einen möglichen positiven Effekt des Medikaments schließen. Ergebnisse dieser ersten groß angelegten internationalen Untersuchung zu diesem Thema zeigen jedoch, dass Mirtazapin im Vergleich zu Placebo keine Verbesserung der Atemnot bei Patient*innen mit Lungenerkrankungen bewirkt. Zudem wurde deutlich, dass Patient*innen, die Mirtazapin erhielten, etwas häufiger unter Nebenwirkungen litten und vermehrt auf Unterstützung durch Krankenhäuser sowie Familienangehörige angewiesen waren.
Die Erstautorin Prof. Irene Higginson vom King’s College London erklärte: „Atemnot ist ein weit verbreitetes Problem in der Palliativmedizin und tritt als Symptom bei Lungenerkrankungen, Herzkrankheiten und einigen Krebserkrankungen auf. In schweren Fällen ist sie für die Patienten sowie für deren Behandler, Angehörige und Freunde belastend. Sie mindert die Lebensqualität der Betroffenen und führt häufig zu einem erheblichen Bedarf an gesundheitlicher und sozialer Versorgung, einschließlich vermehrten Notaufnahmen im Krankenhaus.“
Prof. Claudia Bausewein vom LMU Klinikum München ergänzt: „Trotz der weitverbreiteten Problematik stehen uns nach wie vor keine effektiven medikamentösen Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung. Daher greifen viele Ärzte auf Off-Label-Verschreibungen zurück, um ihren Patienten zu helfen.“ Prof. Steffen Simon von der Uniklinik Köln, Mitinitiator der Studie und Ko-Autor der Umfrage beschreibt, „dass 19 % der Lungenspezialisten und 11 % der Palliativmediziner häufig Antidepressiva zur Behandlung schwerer Atemnot bei COPD empfehlen, was darauf hinweist, dass diese Medikamente bereits Off-Label verwendet werden.“ Diese neue Studie kommt zu dem Schluss, dass Mirtazapin nicht für die Behandlung von Atemnot empfohlen wird. Darüber hinaus sollte der Einsatz von unzulässigen Off-Label-Medikamenten mit Vorsicht erfolgen, und es sei entscheidend, dass Medikamente in der Palliativmedizin strengen klinischen Prüfungen unterzogen werden.
Die Autor*innen kommen zu dem Schluss, dass weitere Studien zu potenziellen Therapien für schwere Atemnot notwendig sind. In der Zwischenzeit empfehlen sie Klinikern den frühzeitigen Einsatz nicht-pharmakologischer Maßnahmen, wie z. B. Atemübungen, Körperpositionen und Hilfsmitteln wie Handventilatoren und Rollatoren.
Die Veröffentlichung erschien in The Lancet Respiratory Medicine am 09.09.2024 und kann online gelesen werden: https://www.thelancet.com/journals/lanres/article/PIIS2213-2600(24)00187-5/fulltext
* nach einer Pressemitteilung von:
Prof. Dr. Irene Higginson, Cicely Saunders Institute, KCL, London
Prof. Dr. Claudia Bausewein, LMU Klinik für Palliativmedizin
Prof. Dr. Steffen Simon, Zentrum für Palliativmedizin der Uniklinik Köln
Publication History
Article published online:
03 January 2025
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