Zeitschrift für Palliativmedizin 2025; 26(02): 74-77
DOI: 10.1055/a-2517-0181
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Doppelkopf: Thomas Sitte und Rita Gabler

Thomas Sitte

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Wie kamen Sie in Ihr jetziges Tätigkeitsfeld?

Völlig verquer. Wie das Leben so spielt.Durch die bösartige Intrige eines Konzerns kam es zu einem Ermittlungsverfahren wegen Betäubungsmittelmissbrauchs gegen mich und ich habe 2010 meine Schmerz- und Palliativpraxis verloren, die ich mit viel Herzblut aufgebaut hatte. Das war wie im Kino. Man wollte mich mundtot machen, weil ich ihm ein fettes Geschäft mit Fentanyl Nasenspray verdorben hatte. Danach war ich erst einmal „ein verbranntes Kind“, das keiner anstellen wollte.Wer will nach zwei harten Jahren so jemanden anstellen? Dann gab es einige Umwege, Kinderhospizarzt in Hamburg, Arzt in der SAPV für Kinder in Nordhessen. Ein Gastspiel als Leiter einer Palliativstation. Schließlich hatte ich mit der KV Hessen überlegt, was ich tun kann, um mich in der Praxis meiner Frau besonders in Pflegeeinrichtungen um Palliativpatienten zu kümmern. Da schlug mir der KV-Vorstand vor, doch noch eine Weiterbildung zum Arzt für Allgemeinmedizin zu machen.Jetzt stehe ich vor der Herkulesaufgabe meiner zweiten Facharztprüfung.

Was wäre für Sie die berufliche Alternative?

Seit ich 1991 sehr aktiv an unserem Eigenheim mitgebaut habe, ist es für mich der Heizungsinstallateur. Ganz im Ernst. Es ist planerisch enorm anspruchsvoll, durchaus verwandt mit der Anästhesie und doch etwas ganz anderes als Arzt. Und es ist ein sehr wichtiger Beruf, wenn man es gut macht.

Wie beginnen Sie Ihren Tag?

Ein kurzes Gebet, eine Runde joggen mit Kumpels, kalt duschen, kuscheln mit meiner lieben Frau und ein ausgiebiges, gemeinsames Frühstück mit viel Kaffee und der regionalen Tageszeitung … Nein, doch nicht. Das wäre der Idealfall, der kommt nur selten vor. Meist ist es aber das eine oder andere in stark verkürzter Form.

Leben bedeutet für mich …

…, dass wir geboren werden, um zu sterben und wir sterben, um geboren zu werden. Je älter ich werde, umso mehr gewinnt dies für mich an (tröstlicher) Bedeutung.

Sterben bedeutet für mich …

Da könnte ich es mir jetzt leicht machen (siehe oben). Aber im Ernst, ich bin sehr gespannt, wie mein Sterben werden wird. Sterben ist meine zutiefst intime Erfahrung, die ich mit niemandem teilen werde. Sie ist ganz für mich allein.Deswegen halte ich mich beim Sterben meiner Patienten auch sehr im Hintergrund.

Welches Ziel möchten Sie unbedingt noch erreichen?

Hoffentlich bald den Facharzt für Allgemeinmedizin. Auf jeden Fall auch noch, dass 2026 Pflegeheime eine Hausapotheke haben dürfen wie Hospize. Sonst ist dort eine angemessene Sterbebegleitung kaum möglich und es gibt weiter nutzlose und schädliche Klinikeinweisungen, weil die Leidenslinderung behindert wird.

Meine bisher wichtigste Lernerfahrung im Leben ist …

…, dass es Situationen gibt, bei denen ich mich auf Leben und Tod komplett auf den Rat eines anderen verlassen muss. Und dann hängt es nur an mir, dass ich den Rat angemessen umsetze.Das war beim freien Klettern, als ich keinen Griff mehr fand. Damals war die Alternative zum Vertrauen in den Freund weiter oben der garantiert tödliche 30-m-Sturz ohne Sicherung. Hannes sagte, weiter oben könnte es gehen. Dort kann ich zufassen, aber nur wenn ich mit Schwung meinen sehr unsicheren Halt in der Wand verlasse.Es gibt im Leben manchmal nur eine einzige Chance ohne einen zweiten Versuch.

Was würden Sie gern noch lernen?

Arabisch. Eine wundervolle Sprache und Schrift mit einer wahren Hochkultur.

Woraus schöpfen Sie Kraft für Ihre Arbeit?

Definitiv aus meinem Glauben. Da ist ein präsenter Gott, der mich trägt. Durch meine Familie, sie ist unverzichtbar. Durch ein paar gute Freunde, mit denen ich regelmäßig, intensiv und kompetitiv Sport mache. Wenn ich da mal schwächle (das kommt häufiger vor!), dann legen sie gleich eine Schippe drauf. Das hilft fürs tägliche Leben.

Mit wem aus der Welt- oder Medizingeschichte würden Sie gern einmal einen Abend verbringen?

Albert Schweitzer, eine Begegnung mit ihm als Kind hat mich so beeindruckt, dass ich Arzt werden wollte.

Wenn ich einen Tag unsichtbar wäre, würde ich …

…, nichts ändern. Das hättet ihr mich vor 60 Jahren fragen sollen. Heute reizt mich das nicht mehr. Meine Informationen bekomme ich auch so. Und bewegen, gestalten können wir mehr, wenn wir Kante zeigen. Unauffällig sein finde ich schöner als unsichtbar.

Wie können Sie Frau Gabler beschreiben?

(Mail vom 23. Mai 2014):„Mein lieber Thomas,Gestern habe ich alle Notärzte rebellisch gemacht, weil ich einfach nicht mehr zuschauen kann, wie ständig sterbende Patienten in die Klinik gekarrt werden. Ich habe jetzt entsprechende Fortbildungen initiiert, damit die Herrschaften endlich verstehen, sie können einen SAPV-Antrag ausstellen, wir kommen mit unserem Team dazu und der Patient kann zu Hause versterben. Tatsache ist, ich will etwas ändern. Fragt sich nur wie? Manchmal steh ich da wie der ,Ochs vorm Berg‘.Hilfst Du mir?Rita.“Eigentlich kenne ich Rita kaum. Vielleicht aber auch sehr gut, ich weiß es nicht. Wir sind uns selten begegnet, vor rund 15 Jahren zum ersten Mal. Dann hatten wir sporadisch miteinander bei Kongressen und Aktionen zu tun. Aber nie zusammengearbeitet oder Freizeit verbracht. Trotzdem oder gerade deshalb hatte ich sie mir als Doppelkopfpartner gewünscht.Ich war vom Fleck weg von ihrer Präsenz beeindruckt. Sehr empathisch. Sehr klar. Auch wortgewandt. Wir sind uns in vielem völlig einig und doch trennen uns in essenziellen Fragen der Suizidassistenz wohl Welten.Rita ist von Jugend auf durch Sport, Leistungssport, sehr geprägt. Sie ist Deutsche Meisterschaften gelaufen und hat die DM über 400 m gewonnen. Das ist eine wahnsinnige Leistung, vor der ich einen Riesenrespekt habe. 400 m ist die totale Mörderstrecke. Sowas prägt für die Arbeit. Da kann einen nicht mehr viel schrecken.Ich mache nur „zum Spaß“ Marathons, Transalps mit dem MTB und sowas. Das ist ein Zuckerschlecken dagegen.Wir haben beide jung und wenig erfahren Ähnliches erlebt, als wir unter sehr verschiedenen Umständen von jungen Patienten im Vertrauen gesagt bekommen haben, dass sie nicht mehr leben wollen. Das prägt zutiefst.Warum habe ich vor meine Antwort auf die Frage eine Frage von Rita an mich gestellt? Ich finde, Ritas Mail zeigt recht gut, wie sie tickt. Wenn sie ein Problem sieht, überlegt sie nicht, wie sie es umschiffen und untern Tisch kehren kann, sondern wie man es am besten beseitigt.Und es gibt noch einen Grund, warum ich die Mail zitiert habe. Wir Palli-Aktiven leben teils in einer Blase. Und manch einer von uns hebt ab und beginnt so ein Stück überm Boden zu schweben, weil er glaubt, er sei unersetzlich und der Beste.Das ist brandgefährlich. Wir sollten uns täglich unserer Grenzen und Unzulänglichkeiten bewusst sein. Es gibt viele Situationen, da weiß ein anderer es vielleicht besser oder auch einfach nur anders. Rita scheut sich nicht auch als Top-Expertin zu fragen, wenn sie das Gefühl hat, jemand anderes wüsste etwas vielleicht besser.

Wie beenden Sie Ihren Tag?

Sonntags gerne mit dem Tatort, sonst sehe ich eher selten fern. So ähnlich wie begonnen.Dann meist noch die letzten Mails checken, damit nicht viel bis morgen liegen bleibt. Fast immer mit einem lieben Kuss. Ich bin überzeugt, wir sollten immer versuchen im Guten auseinanderzugehen. Wer weiß, ob es bei einer Streitigkeit sonst noch eine Chance zur Versöhnung gibt.

Gibt es etwas, das Sie gern gefragt worden wären, aber noch nie gefragt worden sind?

Unbedingt: Ich hätte eine super geeignete Nachfolgerin für Dich als ehrenamtliche Vorstandsvorsitzende für die Deutsche PalliativStiftung. Darf ich den Kontakt herstellen?

Zur Person

1958 geboren, als Hausgeburt im selben Bett wie seine Mutter, in einem kleinen Dorf im Westerwald. Aufgewachsen ist er sehr naturnah dort und in Wetzlar, kam aber auch viel herum. Zwei Tanten hätten es sehr gerne gesehen, dass er Pfarrer geworden wäre. Jetzt ist er Palliativ-Missionar. Ein Großvater und der ältere Bruder starben durch die eigene Hand, was nachhaltig prägt. Nach dem Abitur folgten eine Krankenpflegeausbildung und das Medizinstudium in Bochum, Bonn, Würzburg und Berlin. Als Arzt hat er in die verschiedensten Fachgebiete geschnuppert, von der künstlichen Befruchtung bis hin zum natürlichen Versterben. Mit der PalliativStiftung kommen dann noch Beerdigungen hinzu.

Ende der 90er-Jahre hat Sitte das Schmerz- und PalliativZentrum Osthessen aufgebaut, die ersten SAPV-Verträge verhandelt und ist dadurch und besonders durch haarsträubende Rechtsprobleme auch politisch immer aktiver geworden. Er wurde 2010 Mit-Gründungstifter der Deutschen PalliativStiftung und ist seither Vorstandsvorsitzender. Im Hauptberuf arbeitet er als Weiterbildungsassistent in der Landpraxis seiner Ehefrau.



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Article published online:
04 March 2025

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