Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2009; 44(1): 40-46
DOI: 10.1055/s-0028-1128185
Fachwissen
Topthema: Chronischer Rückenschmerz
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Chronischer Rückenschmerz – Interdisziplinäre Diagnostik und Therapie

Chronic Low Back Pain – Need for an interdisciplinary approachMichael Pfingsten
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Publication Date:
29 December 2008 (online)

Zusammenfassung

Rückenschmerzen sind nach wie vor eine große medizinische und gesundheitspolitische Herausforderung. Das Hauptproblem besteht darin, dass ein Teil der Patienten chronische Beschwerden entwickelt und diese Gruppe enorm hohe Kosten verursacht. Der Übergang vom akuten zum chronischen Rückenschmerz kann dabei am besten durch psychosoziale Faktoren vorhergesagt werden; aufgrund ihrer Bedeutung sollten sie bereits in der Frühphase der Krankheitsentstehung erfasst und berücksichtigt werden. Nach dem Ausschluß ernsthafter Ursachen stehen die Motivierung zu körperlicher Aktivität und die Information über die harmlose Natur der Beschwerden im Mittelpunkt der Behandlung. Bei chronischen Schmerzen kann nur eine multiprofessionelle Diagnostik und Therapie – möglichst orientiert am Konzept der Functional Restoration zum Ziel führen.

Abstract

Low back pain is a burden in health policy and medical care. One of the main problems in that field comes from the fact that a minor part of all patients developchronic pain; those claiming for the main part of all costs. The transition from acute to chronic pain is dominated by psychological factors and there is a strong need to identify them at a very early stage of the illness. Concerning diagnostic procedures it is at first necessary to eliminate red flags. Afterwards, treatment is dominated by motivating the patients to intensify their daily activities and to inform them about the harmless nature of non–specific back pain. In case of chronic pain syndromes there is a strong need for interdisciplinary procedures in diagnosis and multiprofessional treatment. Multimodal treatment should be modelled on the concept of functional restoration.

Kernaussagen

  • Rückenschmerzen zählen zu den häufigsten und teuersten körperlichen Beschwerden in allen industrialisierten Ländern.

  • Von einer Chronizität sind nur ca. 10  % der Patienten betroffen.

  • Bei > 85  % der Betroffenen besteht keine eindeutige Beziehung der Schmerzen zu einer definierbaren körperlichen Pathologie.

  • In der Frühphase müssen bedrohliche Erkrankungen (Red Flags) wie Cauda–Syndrom, Entzündungen, Tumoren sowie andere spezifische Prozesse (radikuläre Schmerzen durch Bandscheibenvorfälle usw.) ausgeschlossen werden.

  • Psychosoziale Mechanismen, insbesondere Kognitionen und Verhalten, spielen für die Chronifizierung eine große Rolle.

  • Psychischer Disstress (u. a. Depressivität), schmerzbezogene Angst und die Vermeidung normaler (körperlicher) Aktivitäten sind wesentliche Voraussetzungen für die Chronifizierung von Rückenschmerzen.

  • Bei bereits länger anhaltenden Rückenschmerzen steht eine ausführlichere Analyse und der Ausschluss von psychosozialen Chronifizierungsfaktoren im Vordergrund.

  • Wissensvermittlung und Verhaltensberatung sind die wichtigsten therapeutischen Interventionen.

  • Monomodale Behandlungen sind bei chronischen Rückenschmerzen meist nicht mehr indiziert. Hier braucht es multimodale, interdisziplinär ausgerichtete Behandlungsprogramme, die am Konzept der Functional Restoration ausgerichtet sind.

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Prof. Dipl.–Psych. Dr. Michael Pfingsten

Email: michael.pfingsten@med.uni-goettingen.de

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