Klin Monbl Augenheilkd 2010; 227(9): 679-680
DOI: 10.1055/s-0029-1245656
Editorial

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Retinale Gefäßerkrankungen: gewidmet Prof. L. Hansen zum 65. Geburtstag

Diseases of the Retinal Vessels: Dedicated to Prof. L. Hansen on the Occasion of his 65th BirthdayH. Helbig1 , A. Joussen1
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Publication Date:
15 September 2010 (online)

Das vorliegende Schwerpunktheft „Netzhaut und Glaskörper” widmet sich den retinalen Gefäßerkrankungen. Dieses Thema ist in Deutschland seit Jahrzehnten mit dem Namen Lutz Hansen eng verbunden. Prof. Hansen hat in diesem Jahr das 65. Lebensjahr vollendet, daher soll ihm dieses Schwerpunktheft gewidmet sein.

Lutz Hansen wurde am 8.6.1945 in Massbühl geboren. Seine wissenschaftliche Basis und Prägung erfuhr er in der Klinischen Physiologie in Berlin bei Prof. Wiederholt. Die Klinische Ausbildung begann er danach ebenfalls in Berlin bei Prof. Hager. Er wechselte dann mit Prof. Witschel nach Freiburg, wo er die Leitung des Bereiches Retinologie übernahm, die er auch mit der aktuellen Klinikleitung durch Prof. Reinhard harmonisch und erfolgreich fortsetzte.

Ausgehend von der Physiologie hat er sich als einer der ersten mit der Verbesserung der Rheologie bei retinalen Gefäßverschlüssen mittels Hämodilution gewidmet. Daraus entstand 1987 auch seine Habilitation. Der Professorentitel wurde ihm 1994 in Freiburg verliehen. Neben der „medical retina” widmete er sich zunehmend der vitreoretinalen Chiurgie. Prof. Hansen betreute mehrere Dutzend multi- und monozentrische Studien meist als „principal investigator” zu AMD, Venenverschlüssen, diabetischem Makulaödem, Netzhautablösungen, Uveitis u. a.

Aus seiner „68er”-Zeit hat er einen starken Gerechtigkeitssinn und Prinzipientreue auch in spätere leitende akademische Positionen mitgenommen. Seine Mitarbeiter schätzen an ihm sein ausgesprochenes Engagement für Patienten, aber auch für akademisches Denken und für Ausbildung und Förderung von Mitarbeitern. Besonders wichtig war ihm stets ein gutes Funktionieren des Sozialgefüges in der Klinik. Prof. Hansen hat sein ärztliches und akademisches Handeln nie einem persönlichen Karrieredenken unterstellt.

Retinale Gefäßerkrankungen führten lange Zeit ein „Mauerblümchendasein” in der Ophthalmologie mit wenig spektakulären Meldungen, obwohl sie sehr häufig sind und vom Patienten dramatisch erlebt werden. Erst in jüngster Zeit haben sich völlig neue, spannende Behandlungsmöglichkeiten aufgetan, die das Thema in den Fokus gerückt haben. Nicht zuletzt das Interesse der Industrie führte zu exzellenten Medikamentenstudien insbesondere für das Makulaödem bei diabetischer Retinopathie und bei retinalen Venenverschlüssen. Aber auch bei der Frühgeborenenretinopathie gibt es faszinierende neue Behandlungsansätze. Allein die retinalen Arterienverschlüsse warten noch immer auf eine wirksame Behandlung

Einer der für den Patienten dramatischsten ophthalmologischen Notfälle ist der retinale Zentralarterienverschluss. Mit diesem Thema beschäftigen sich gewissenhaft die Autoren A. Pielen et al. [6]. Mit Ernüchterung muss festgestellt werden, dass es keine nachgewiesen wirksame Behandlung für dieses akute Ereignis gibt. Die gerade publizierten Ergebnisse der EAGLE-Studie [4] beschreiben prospektiv randomisiert den Vergleich zwischen der intraarteriellen selektiven Lysetherapie und einem „konservativen” multimodalen Therapieansatz. Während eine Reihe von nicht kontrollierten Fallserien geradezu euphorische Behandlungserfolge der intraarteriellen selektiven Lysetherapie berichtet hatten, zeigt der prospektive kontrollierte Studienansatz keine Überlegenheit der invasiven Therapie, dafür aber wesentliche Risiken, sodass diese Form der Behandlung nicht empfohlen werden kann. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass ausgerechnet die Autoren der EAGLE-Studie einerseits mit ihrer sauber geplanten, randomisierten Studie die optimistischen Berichte nicht kontrollierter Studien widerlegen, aber im gleichen Text versuchen, ohne gute Evidenz eine Überlegenheit der Ergebnisse des konservativen Behandlungsansatzes gegenüber dem Spontanverlauf zu konstruieren, auf der Basis von Vergleichen von unterschiedlichsten Studien mit verschiedensten Einschlusskriterien [4]. Und so schließen auch die Autoren des aktuellen Übersichtsartikels [6] folgerichtig, dass es in der Tat keine nachgewiesen wirksame Therapie für den Zentralarterienverschluss gibt. Somit – und das ist von erheblicher forensischer Bedeutung – gibt es keine Behandlungspflicht und keine Notwendigkeit, eine notfallmäßige Therapie innerhalb kürzester Zeit bereitzustellen.

Anders ist die Situation bei den venösen retinalen Verschlüssen. Hier gibt es schon seit Langem mit der Hämodilution ein evidenzbasiertes Verfahren, das aber wegen seiner unspektakulären Ergebnisse keine weite Verbreitung außerhalb Deutschlands gefunden hat. N. Feltgen et al. beschreiben in ihrer Übersicht [7] und in der kürzlich veröffentlichten Empfehlung der Fachgesellschaften [1] viele andere Versuche, auch chirurgische, für die aber bis jetzt noch keine überzeugenden Daten vorgelegt werden konnten. Erst die intravitrealen Medikamenteneingaben von Steroiden und anti-VEGF-Substanzen zeigten dramatische kurzfristige Verbesserungen, die auch zur Zulassung der ersten Substanzen führten. Inwieweit die Injektionstherapie allerdings über Jahre fortgeführt werden muss und nach Beenden der Behandlung langfristig wirklich bessere funktionelle Ergebnisse erzielt werden können, muss noch gezeigt werden.

Die Frühgeborenenretinopathie ist zwar in absoluten Zahlen eher selten, zählt aber im Kindesalter zu den häufigsten Erblindungsursachen und hat somit für viele Jahrzehnte Lebenszeit dieser Kinder Bedeutung. Die Koagulationsbehandlung hat hier vielfach Erblindungen verhindern können. Für die besonders schweren Verlaufsformen allerdings haben erste Berichte über die intravitrealen anti-VEGF-Eingaben für Aufsehen gesorgt. Oberacher-Velten et al. [3] beschreiben hier 3 Fälle, bei denen sich sehr unreife Augen mit Zone-1-Erkrankung nach einer einzigen Injektion als „individueller Heilversuch” geradezu verblüffend positiv entwickelt haben. Für diese Indikation besteht wegen der kleinen Fallzahl geringeres kommerzielles Interesse. Darüber hinaus ist es schwierig, Sicherheitsdaten zum systemischen Risikoprofil bei Frühgeborenen zu erheben, um den hohen inhaltlichen und bürokratischen Hürden einer Studie nach deutschem AMG zu genügen. Es bleibt daher abzuwarten, inwieweit sich diese ophthalmologisch erstaunlich wirksame Behandlung entwickeln wird.

Für das diabetische Makulaödem war die parazentrale Laserung nach ETDRS lange der Goldstandard. Auch hier führt die intravitreale Medikamenteneingabe zu einem Paradigmenwechsel, der gerade mitten im Gange ist. Kakkassery et al. [5] beschreiben die brandneuen Studienergebnisse, die überzeugend darlegen, dass die Lasertherapie nicht mehr die einzige Therapieoption ist. Erste große vergleichende Studien des DRCR.net deuten auf eine Überlegenheit der intravitrealen medikamentösen Behandlung hin [2].

Wie die Ausweitung der intravitrealen Medikamenteneingaben, die uns als Augenärzte schon bei der AMD logistisch vor große Anforderungen stellen, auch für weitere häufige Erkrankungen wie Diabetes und Venenverschlüsse ohne wesentliche zusätzliche finanzielle Mittel bewältigt werden sollen, darf mit einer gewissen Skepsis erwartet werden.

Wir erleben spannende Zeiten bei der Behandlung der retinalen Gefäßerkrankungen. Prof. Lutz Hansen wird diese Entwicklungen, die er in Deutschland wesentlich mit geprägt hat, weiter verfolgen. Er wird der Retinologie als konstruktiver kritischer Geist, integrative Persönlichkeit und gerne gesehener Teilnehmer an Tagungen und Studien erhalten bleiben.

Prof. Dr. Lutz Hansen wird 65.

Literatur

  • 1 Feltgen N. Statement of the German Ophthalmological Society, the Retinological Society and the Professional Association of German Ophthalmologists on Therapy for Macular Oedema in Cases of Retinal Vein Occlusion.  Klin Monatsbl Augenheilkd. 2010;  227(7) 542-556. Epub 2010 Jul 19
  • 2 Elman M J, Aiello L P, Beck R W et al. Randomized trial evaluating ranibizumab plus prompt or deferred laser or triamcinolone plus prompt laser for diabetic macular edema.  Ophthalmology. 2010;  117(6) 1064-1077
  • 3 Oberacher-Velten I M, Helbig H. VEGF-Antikörper in der Therapie der Frühgeborenenretinopathie.  Klin Monatsbl Augenheilkd. 2010;  227 694-700
  • 4 Schumacher M, Schmidt D, Jurklies B et al. Central retinal artery occlusion: local intra-arterial fibrinolysis versus conservative treatment, a multicenter randomized trial.  Ophthalmology. 2010;  117 1367-1375
  • 5 Kakkassery V, Winterhalter S, Joussen A M. Die Rolle der Anti-VEGF-Therapie in der Behandlung des diabetischen Makulaödems.  Klin Monatsbl Augenheilkd. 2010;  227 701-711
  • 6 Pielen A, Junker B, Hansen L et al. Diagnostik und Therapie beim nicht arteriitischen Zentralarterienverschluss.  Klin Monatsbl Augenheilkd. 2010;  227 712-720
  • 7 Feltgen N, Pielen A, Hansen L et al. Intravitreale Medikamenteneingabe bei retinalem Venenverschluss – pathophysiologische Mechanismen und angewandte Substanzen.  Klin Monatsbl Augenheilkd. 2010;  227 681-693

Prof. Dr. Horst Helbig

Augenklinik, Universitätsklinikum Regensburg

Franz-Josef-Strauß-Allee 11

93042 Regensburg

Phone: ++ 49/9 41/9 44 92 00

Email: helbig@eye-regensburg.de

Prof. Dr. A. M. Joussen

Augenklinik der Charité, Universitätsklinik Berlin, Virchowklinikum (CVK)

Augustenburger Platz

13353 Berlin

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