Zahnmedizin up2date 2010; 4(4): 327
DOI: 10.1055/s-0030-1250212
Editorial

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Ausbildung, Fortbildung, Weiterbildung – und Erfahrung

Gerhard Wahl
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Publication Date:
26 August 2010 (online)

Die klassische Trias von Ausbildung, Fortbildung und Weiterbildung in der Zahnmedizin befindet sich im Wandel. Der Bologna-Prozess, der mit Bachelor- und Masterstudiengängen viele universitäre Ausbildungsgänge bereits erfasst hat, wirft auch seine ersten Schatten auf Medizin und Zahnmedizin. Noch verarbeitet die Medizin gerade die Schwierigkeiten der Einführung und Umsetzung der neuen Approbationsordnung, da wartet die Zahnmedizin dringlich auf die ihrige, längst überfällige neue Approbationsordnung, weil insbesondere im vorklinischen Bereich die beiden Studienordnungen zu harmonisieren sind. Schon längst finden die Studieninhalte durch die immensen Fortschritte des Wissens kaum noch Raum in dem Korsett der alten Approbationsordnung und der hierauf angepassten Studienordnung.

Nur mit verschulter Stundenplanordnung lassen sich die Wissenszuwächse erfassen, und für die Zahnmedizin wird immer deutlicher, wie sehr sie sich als fachspezifischer Teil der gesamten Medizin ausrichtet und völlig zu Recht ja auch in die Medizinischen Fakultäten integriert ist, obwohl sie einen eigenen Studiengang darstellt. Dass im Studiengang Zahnmedizin die – auch noch so frühzeitige – patientennahe Ausbildung nur zur Berufsfähigkeit und nicht zur Berufsfertigkeit führt, was von Standesorganisationen und deren Vertretern nachdrücklich gefordert wird, ist in der Medizin nicht anders und ist auch nicht die universitäre Aufgabe.

Der Berufsgang führt nach dem Examen in die Assistenzzeit, und jetzt ist es die Aufgabe der erfahrenen und älteren Kollegen aus der Praxis, ihr Wissen und die besonderen Praxisbelange ergänzend zu vermitteln und nicht nur Assistenten unter umsatzstrategischen Aspekten zu beschäftigen. Dazu kommt die ernstzunehmende Fortbildungspflicht des einzelnen, auch des jungen Berufsanfängers, ein Aspekt, den die Zahnärzteschaft aber schon lange vor der Sammelpflicht von Fortbildungspunkten erfüllte und wozu auch „up2date“ beiträgt. In dieser Fortbildung findet die Orientierung an neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen statt und lässt teilhaben an den Erfahrungen ausgewiesener Experten aus spezifischen Bereichen.

Schließlich gibt es noch die Weiterbildung, die in der Kieferorthopädie, Parodontologie und Oralchirurgie – und an einigen Stellen auch im Bereich des Öffentlichen Gesundheitswesens – zur Fachzahnarztbezeichnung führt. Dies dokumentiert, dass eine intensive Auseinandersetzung mit den fachspezifischen Belangen stattfindet und während der Weiterbildung eine Verlaufskontrolle bei Patienten über lange Strecken einer Behandlungsphase inklusive der wichtigen Nachbeobachtungszeiten unter Aufsicht und Anleitung der Weiterbildenden sichergestellt war. Nur schwer ist es, dies zu realisieren, wenn jetzt eine modulare Weiterbildung zur Diskussion steht, wo man insbesondere die wissenschaftlich notwendigen Weiterbildungsinhalte klinik- und praxisfern in der Theorie erwerben kann und die wichtige Langzeitbetreuung von Patienten aufgebrochen wird. Dieser dringlich notwendige Erwerb an Erfahrung geht dann dem einzelnen Weiterzubildenden verloren und muss später erst in eigener Praxis mit der geziemenden Umsicht und Selbstkritik nachgeholt werden.

Zwischen den vorgenannten Bereichen der Fort- und Weiterbildung siedelt sich heute dann noch der Master an, der zu verschiedensten Spezialisierungen führen soll und durchaus universitätsfern erworben wird, selbst wenn eine universitäre Verantwortlichkeit im Hintergrund festgeschrieben ist und in der Urkunde auch dokumentiert wird. Bei aller wissenschaftlichen Ausrichtung, die diesem speziellen Fortbildungsteil anhängen sollte, bleibt das eigene Tun zum Erwerb von Erfahrungen mit diesen speziellen Fachinhalten eher nachrangig und wird in die reine Eigenverantwortlichkeit geschoben, ohne dass eine entsprechende Auseinandersetzung am Patienten mit „Lehrpersonen“ erfolgt, die es ermöglichen, eben an den bereits gemachten Erfahrungen teilzuhaben. In diesem Zusammenhang stellt sich letztlich dann auch die Frage der Qualität einer solchen neuen Titulatur und erst recht die Frage des Patienten, an wen er sich nun mit seinen spezifischen Problemen, die er selbst nicht ohne weiteres einzuordnen vermag, wenden soll. Bei aller Spezialisierung geht mit zum Teil undurchsichtigen Fort- und Weiterbildungsstrategien vieles an klarer Strukturierung verloren und wird auch für Patienten letztlich immer unverständlicher.

Neue Ansätze und neue Orientierungen sind immer wichtig, sollten sich jedoch messen an einer realen Verbesserung und klarerer Strukturierung des Bekannten und nicht zum Versuchsfeld von Ideen führen, die letztlich nicht nur die Weitergabe von Wissen, sondern gerade auch die Weitergabe von Erfahrung erschweren.

Univ.-Prof. Dr. Gerhard Wahl
Mitherausgeber der Zahnmedizin up2date

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