Zeitschrift für Palliativmedizin 2010; 11(6): 274-275
DOI: 10.1055/s-0030-1270186
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Serie: Methodik in der palliativmedizinischen Forschung – Arzneimittelprüfungen mit Palliativpatienten Palliativmedizin und Forschung - ein Widerspruch?

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Publication Date:
29 November 2010 (online)

Palliativmedizin bezweckt die Verbesserung der Lebensqualität von Menschen, die mit (mindestens) einer lebensbedrohlichen, progredienten Erkrankung konfrontiert sind, in klinischer, aber auch psychologischer, sozialer und spiritueller Hinsicht. Obgleich deshalb auch von einer "ganzheitlichen", multiprofessionellen Betreuung die Rede ist, bildet die Schmerzlinderung und -kontrolle (insbesondere bei Tumorpatienten) zweifelsohne einen Schwerpunkt. Gute Palliativmedizin ist jedoch kein Produkt allein des guten Willens; neben der ärztlichen und pflegerischen Erfahrung ist auch hier eine fortwährende Qualitätssicherung und -verbesserung auf wissenschaftlicher Basis unverzichtbar.

Wissenschaftliche Evidenz und medizinischer Fortschritt kommen nicht ohne Versuche am Menschen aus; steht die Wirksamkeit und Sicherheit von Arzneimitteln (i. S. d. §§ 2, 4 AMG) in Frage, die (mit Blick auf Anwendungsgebiet oder Dosishöhe bzw. Art ihrer Gabe) bisher nicht zugelassen sind (vgl. §§ 21 ff. AMG), so bedarf es jenseits - des stets nur auf den individuellen Erkrankungsfall bezogenen - Heilversuchs (hier sog. Off-Label-Use) der Durchführung klinischer Arzneimittelprüfungen (nach einem vorab festgelegten Prüfplan, vgl. § 4 Abs. 23 AMG).

Eine gesteigerte Schutzbedürftigkeit von Probanden bedingt zwar besondere Schutzmaßnahmen, bildet jedoch i.d.R. weder rechtlich (vgl. §§ 40 f. AMG) noch medizinethisch (vgl. Abschnitt A., Ziff. 8 sowie Abschnitt B. Ziff. 24 ff. der Deklaration von Helsinki) ein unüberwindliches Hindernis. Läge es anders, würden gerade jene Patientengruppen, die ihrer krankheitsbedingten Belastungen wegen prioritär einer qualitativ hochwertigen Fürsorge bedürfen, gleichsam vom medizinischen Fortschritt abgeschnitten. Vor diesem Hintergrund ist es nachdrücklich zu begrüßen, dass die bisherige Zurückhaltung gegenüber klinischen Studien mit Arzneimitteln an Palliativpatienten allem Anschein nach im Aufweichen begriffen ist; schließlich wäre es auch wenig befriedigend, die Forschungstätigkeit auf Patientenbefragungen oder epidemiologische Erhebungen und Auswertungen über die jeweilige palliativmedizinische Versorgungssituation zu beschränken, ohne gleichzeitig das Versorgungsangebot mit Arzneimitteln optimieren zu können. Dies gilt um so mehr, als es bei der palliativen Sedierung ausweislich der jüngst veröffentlichten Empfehlungen der EAPC offenbar an einheitlichen, konkreten Behandlungsstandards eher noch zu mangeln scheint.

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