Zentralbl Chir 2011; 136(2): 101
DOI: 10.1055/s-0031-1271429
Editorial

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Der chirurgische Einfluss auf die Intensivmedizin muss sich vergrößern

Improving Surgeons Impact on Intensive Care MedicineS. Sarikouch, A. Haverich
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Publication Date:
05 April 2011 (online)

Die Bedeutung der Intensivmedizin in der Chirurgie ist unverändert groß. Sie hat in den letzten 2 Jahrzehnten angesichts der immer komplexe­ren Eingriffe, z. B. in der Tumorchirurgie und der Transplantationschirurgie, und der immer älter werdenden Patienten sogar noch deutlich an Bedeutung gewonnen. 

Dem gegenüber steht ein Verlust an chirurgisch geführten Intensivstationen. So stehen nach E. Muhl in diesem Themenheft des Zentralblattes für Chirurgie zur „Notfall- und Intensivmedizin“ nur 7 % der chirurgischen Intensivbetten in Deutschland unter chirurgischer Leitung. 

Gründe dafür finden sich einerseits in ökonomischen Erwägungen, hervorgerufen durch den hohen Personalbedarf auf Intensivstationen, und führen häufig zu multi-disziplinären Intensiveinheiten. Der Hauptgrund jedoch liegt in der Verdrängung der chirurgischen Intensivisten durch Intensivisten aus der Anästhesie. Die Anästhesie hat der Bedeutung der Intensivmedizin Rechnung getragen und sich ihr voll gewidmet, während in der Chirurgie die Intensivmedizin ein Gebiet unter vielen war. 

Der Spagat zwischen OP-Saal, OP-Katalogen, Arbeitsrecht, Karriere und Intensivstation war durch intensivmedizinisch versierte Chirurgen in der Vergangenheit nicht zu leisten [1]. Vollzeit-In­tensivisten haben sich darüber hinaus in vielen Untersuchungen als besser für das Überleben kritisch kranker Patienten erwiesen [2]. 

Wir als Chirurgen sind jedoch der Ansicht, dass gerade bei den immer komplexeren chirurgischen Krankheitsbildern nur der intensivmedizinisch erfahrene Chirurg Auffälligkeiten des postoperativen Verlaufs in Korrelation zum intraoperativen Befund adäquat gewichten und Entscheidungen zu Diagnostik und Therapie fällen kann [3] [4] . 

Aus diesem Grund müssen wir darauf drängen, dass in allen Leitungen operativer Intensivstationen Chirurgen beteiligt werden. Aktuell finden sich nach einer Untersuchung an 38 chirurgischen Universitätskliniken nur in 19 % kooperativ, zwischen der Chirurgie und der Anästhesie, geführte Intensivstationen [3]. 

Voraussetzungen dafür sind Verbesserungen in der chirurgischen Weiterbildung, wo die Intensivmedizin einen höheren Stellenwert erhalten muss. Es gibt verschiedene Überlegungen, z. B. zur Einrichtung eines Schwerpunktes Intensivmedizin innerhalb der Chirurgie. Leitende Ärzte chirurgischer Einrichtungen müssen sich um entsprechende Weiterbildungsermächtigungen für die Intensivmedizin-Zusatzbezeichnung bemühen, um dem intensivmedizinischen Nachwuchs den Erwerb dieses Qualifikationsnachweises zu ermöglichen, der für Leitungsfunktionen auf Intensivstationen Voraussetzung ist. Wir sollten auch geeignete Chirurgen, z. B. durch Stellen­garantien, dazu ermutigen, eine zusätzliche Facharztausbildung in der Anästhesie zu durchlaufen. 

Wollen wir den intensivmedizinisch interessierten Nachwuchs in der Chirurgie fördern, müssen wir auch die materiellen Bedingungen verbessern. Intelligente, familienverträgliche Schichtdienstmodelle – und damit auch interessant für Frauen – samt entsprechender Vergütung müssen erarbeitet werden, um interessierte Chirurgen in diesem Bereich zu halten. Leitungsfunktionen auf operativen Intensivstationen müssen als Karriereperspektive für unsere chirurgischen Intensivisten bestehen angesichts der langen Ausbildungszeiten in diesem Bereich. 

Der chirurgische Einfluss auf die Intensivmedizin muss sich aus unserer Sicht vergrößern, im Interesse unserer Patienten. 

Ein erster Schritt hierfür soll auf unserem dies­jährigen Kongress in München (3.–6. Mai 2011) gemacht werden, wo der chirurgischen Intensivmedizin ein ganzer Thementag gewidmet ist. Der aktuelle Stand der Intensivmedizin in der Chirurgie, von der Forschung bis zur Organisationsform und deren Budgetrelevanz, soll fachübergreifend diskutiert werden und in einer Podiumsdiskus­sion werden wir Stellungnahmen / Forderungen aus Sicht der Chirurgie in Deutschland zur Intensivmedizin formulieren. 

Literatur

  • 1 Shapiro M J. Where have all the surgical intensivists gone?.  Crit Care Med. 2006;  34 2485-2486
  • 2 Nathens A B, Rivara F P, MacKenzie E J et al. The impact of an intensivist-model ICU on trauma-related mortality.  Ann Surg. 2006;  244 545-554
  • 3 Klar E, Püschel A, Schiffmann L et al. The role of intensive care medicine in early postoperative complications. Is surgical expertise in danger?.  Chirurg. 2009;  80 773-779
  • 4 Linke G R, Mieth M, Hofer S et al. Surgical intensive care unit – essential for good outcome in major abdominal surgery?.  Langenbecks Arch Surg. 2011;  [Epub ahead of print]

Prof. Dr. med. A. Haverich

Medizinische Hochschule Hannover · Klinik für Herz-, Thorax-, Transplantations- und Gefäßchirurgie

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