Suchttherapie 2011; 12(2): 92-93
DOI: 10.1055/s-0031-1275723
Nachruf

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Nachruf für Günter Amendt

Obituary for Günter AmendtP. Degkwitz
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Publication Date:
16 May 2011 (online)

Günter Amendt wird fehlen als Aufklärer und Kritiker.

Für die Therapie der Sucht und die „versorgungsorientierte Forschung” war er ein wichtiger Reibungspunkt – ein wissbegieriger, kritischer und gleichzeitig immer freundschaftlicher Begleiter.

Er befasste sich seit fast 40 Jahren („Sucht – Profit – Sucht” erschien erstmals 1972) mit der Drogenfrage. Die im Vordergrund stehenden Themen (Drogen in der Protestbewegung, die Drogenökonomie und ihre gesellschaftlichen Folgen, Drogen und AIDS, Drogenszenen, Akzeptanz und Legalisierung) und Substanzen (von Cannabis, Kokain, Amphetamine, LSD bis zu Dopingmitteln) wandelten sich – immer ging es ihm um Aufklärung, um einen entideologisierten, unaufgeregten und pragmatischen Umgang mit der Drogenproblematik und die Förderung einer vernünftigen Drogenpolitik.

Insbesondere zwei seiner „Zeitdiagnosen” sollen hier zu seinem Andenken vergegenwärtigt werden, die aus seiner Sicht zentrale Koordinaten von Hilfe und Therapie waren, und vermutlich bleiben.

Die eine Diagnose ist die der „Pharmakologisierung der Gesellschaft”. Seine „kulturpessimistische” Prognose über die zukünftige Bedeutung „psychoaktiver Substanzen” in Richtung einer „schrankenlose Pharmakologisierung” des Alltags machte er fest an Tendenzen wie dem Siegeszug von Prozac in den USA (mit bis zu 28 Millionen Nutzern dieser oder ähnlicher Substanzen zur „Stimmungsaufhellung” im Jahr 2002), der unkritischen Amphetaminverbreitung in der Techno-Bewegung, der Etablierung des Dopings im Profisport, des Siegeszuges der „Lifestyle-Segmente” bei den Pharmafirmen und der angereicherten „Nahrungsergänzungsmittel” zur Leis­tungssteigerung im Breitensport oder der Ritalinwelle bei „überaktiven” Kindern und Jugendlichen. Das sah er als Einstieg in die unreflektierte Verwendung chemischer Produkte zur „Regulierung des Sozialverhaltens”.

Der durch Deregulierung und Globalisierung sowie die Vermarktungskonzepte der Pharmaindustrie verstärkte Trend zur pharmakologischen Widerherstellung der ausgeglichenen Persönlichkeit resultiere aus dem Zustand der „permanenten Überforderung und chronischen Überreizung”. Die Lebensumstände – so Günter Amendt – machen den Gebrauch „erforderlich”, weil anders „die Arbeit nicht zu bewältigen und das Leben nicht zu ertragen wäre” (No Drugs – No Future, 2003).

Er sah daher die Herausarbeitung des sozialen Zusammenhangs der Pharmakologisierung mit der „Modernisierung” und das Erkennen der gesellschaftlichen Dynamiken als Voraussetzung für eine realistische Gegenbewegung. Und er forderte die Akzeptanz der Realität des Konsums von „Rausch und Genussmittel” als „anthropologische Konstante”, beschleunigt durch die so genannte Postmoderne, als Voraussetzung der ra­tionalen gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit Drogen und deren Risiken und Gefahren.

Seine zweite zentrale Diagnose bezog sich auf das Prohibitiondogma und den „war on drugs” mit ihren zerstörerischen gesellschaftlichen Folgeerscheinungen. Schon Anfang der 70er – lange vor Erklärung des offiziellen „war on drugs” – analysierte er die „Politische Ökonomie” der Drogen (Sucht – Profit – Sucht ab 1972) und benannte die politischen, ökonomischen und finanzwirtschaftlichen Sekundärschäden des Prohibi­tionsdogmas und der entsprechenden Schwarzmärkte. Es ging und geht um Kriminalität, Korruption und das Vordringen des Organisierten Verbrechens in gesellschaftliche Institutionen und ein Klima der Verbote, der Dämonisierung, der „politics of fear”, der Repression und strafrechtlichen Verfolgung, in dem Rechte von Konsumierenden missachtet werden, die Qualität von Substanzen unkontrollierbar ist und über ­Risiken nicht glaubwürdig aufgeklärt werden kann.

Dieser Drogenkrieg – insbesondere die Seite der Durchsetzung der Prohibition – galt ihm schon lange verloren und wurde nach dem 11. September 2001 und seiner Kombination mit der „Bekämpfung des internationalen Terrorismus” endgültig zur Tragödie. War die zweite Seite oder der Schatten des „war on drugs” zunächst seine Funktion als Übungs- und Rekrutierungsfeld der US-Geheimdienste, so diente er jetzt einer ­offenen Militarisierung der Außenpolitik im Kampf um Einflusssphären. Als Folge sind heute ganze Re­gionen bzw. Länder destabilisiert.

Zusätzlich werden alle Prohibitionsbemühungen zur Farce durch die neuen Internet-basierten Vertriebsmöglichkeiten – für Pharmafirmen ebenso wie den Schwarzmarkt. Die Verfügbarkeit von psychotropen Substanzen, von Viagra oder „neuen synthetischen Drogen” ist ubiquitär – aber die Fassade der Prohibition mit den paramilitärischen Kämpfen und Opfern an den Routen, der Repression und sozialen Ausgrenzung von Konsumentengruppen und wachsenden unkontrollierbaren Schattenökonomien bleiben. Günter Amendt hat als einer der ersten darauf verwiesen, dass die globalen Folgen der Prohibition mit ihren politischen, ökonomischen und militärischen „Nebenwirkungen” schwerer wiegen als die des Drogenmissbrauchs selbst.

Drogenhilfe und Suchttherapie bildeten sich zwischen diesen Koordinaten. Er hat die Herausbildung des Behandlungssystems seit den Anfängen in den 70er Jahren, auch persönlich kurzzeitig professionell involviert, immer aufmerksam und kritisch begleitet. Auch nach Anerkennung von Sucht als Krankheit (statt moralischem Fehlverhalten), dem Ende des Abstinenzdogmas und der akzeptanzorientierten Hilfe und Behandlung muss eine „aufgeklärte” Drogenhilfe und Suchtbehandlung die prägenden, zutiefst irrationalen Rahmenbedingungen nicht nur kennen, sondern immer wieder bei der Entwicklung und Umsetzung pragmatischer Konzepte, die die Würde der Betroffenen respektieren und humane Standards etablieren, berücksichtigen.

Auch wenn man seine Zeitdiagnose in der kulturkritischen Zuspitzung nicht teilte, verwies er auf reale Widersprüche. Die Anerkennung von „Sucht als Krankheit” war für die Betroffenen zwar ein Fortschritt – aber zunächst behinderten Psychologisierung, Pathologisierung und Abstinenzdogma angemessene Versorgungskonzepte. Günter Amendt blieb skeptisch gegenüber der Medizinalisierung der Behandlung. Seine Diagnose der Pharmakologisierung und der Rolle der Pharmaindustrie waren Grund seiner anfänglichen Skepsis gegenüber der Methadonsubstitution, die er dann in den 90er Jahren als angemessene Intervention ansah. Aber für ihn sollte Suchtbehandlung – auch die pharmakologische – helfen, aus der chemischen Steuerung von Verhalten auszusteigen und sie nicht einfach mit einem bekanntermaßen nicht harmloseren Stoff zu verlängern. In ähnlicher Weise sah er akzeptierende Drogenhilfe und Sozialarbeit skeptisch, die eine gescheiterte Drogenpolitik nur flankiert, wenn sie sich darauf beschränken lässt, die extremsten Folgen der gescheiterten Drogenpolitik, wie verelendete offene Szenen, aus dem öffentlichen Raum zu entsorgen. Ärzte wie Sozialarbeiter sollten sich der Irrationalität und des Scheiterns der Drogenpolitik bewusst und daher immer auch Anwälte der erforderlichen Änderungen der Drogenpolitik sein, nach neuen Strategien und Lösungsmöglichkeiten suchen, Reformen vorschlagen, alternative Regulierungsvarianten durchspielen, implementieren und untersuchen.

Günter Amendt war beim Drogenthema nicht (nur) pessimistisch, sondern ganz in der Tradition der „kritischen Theorie” analysierte er auch die „Möglichkeiten”, die in den Verhältnissen präsenten Tendenzen zur Aufhebung der vorherrschenden Irrationalität und die Bedingungen eines Paradigmenwechsels für vernünftigere Regulierungsmodelle des Drogenproblems.

Jetzt ist dieser wunderbare Mensch, kritische Intellektuelle und Aufklärer so tragisch uns Leben gekommen. Er wird uns fehlen – auch wenn die Suchtbehandlung oder das Hilfesystem nicht zu seinen Kernthemen gehörte. Es lohnt sich, seine Denkanstöße zu bewahren. Adieu Günter.

„I’ve been walkin’ through the middle of nowhere, Tryin’ to get to heaven before they close the door” (Bob Dylan, 1997)

Korrespondenzadresse

Dr. P. Degkwitz

Zentrum für Interdisziplinäre

Suchtforschung der Universität

Hamburg (ZIS) c/o Zentrum

für Psychosoziale Medizin,

Psychiatrie und Psychotherapie

im UKE

Martinistraße 52

20246 Hamburg

Email: p.degkwitz@uke.uni-hamburg.de

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