Aktuelle Neurologie 2012; 39(04): 167
DOI: 10.1055/s-0032-1305041
Editorial
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Kein zusätzliches Pflichtfach im PJ!

No Additional Obligate Course in the Practical Year
C. Gerloff
Direktor der Klinik und Poliklinik für Neurologie, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
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22 May 2012 (online)

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Prof. Dr. med. C. Gerloff

Niemand bezweifelt, dass ein guter Hausarzt entscheidende Dienste für die medizinische Versorgung leisten kann. Niemand bezweifelt, dass es v. a. in strukturschwachen Gegenden Deutschlands eine abnehmende Dichte an Ärzten gibt. Und niemand bezweifelt, dass die Facharztdichte in Metropolregionen hoch ist. Aber wer um Himmels willen bildet sich ein, man könnte diesen Trend dadurch aufhalten, dass Allgemeinmedizin zum Pflichtfach im Praktischen Jahr gemacht wird?

Ein unsäglicher Prozess scheint hinter verschlossenen Türen fortzuschreiten. Studierendenvertretungen und Fachgesellschaften schrieben Resolutionen und sprachen sich dagegen aus, das Wahlfach-Tertial einem allgemeinmedizinischen Pflichttertial zu opfern. „Nice try“, aber leider ist diese Strategie nicht aufgegangen. Schlaue Köpfe haben nun einen „Kompromiss“ ersonnen. Ein typischer Gießkannen-Kompromiss. Wenn man keine Argumente mehr hat, werden die Ressourcen immer kleinteiliger auf alle verstreut. Statt Tertialen soll es nun Quartale im PJ geben. Na toll. Wir wussten schon die ganze Zeit, dass die Studierenden in den Kernfächern Innere und Chirurgie nach dem PJ „überqualifiziert“ sind. Also kürzen. Wir engagieren uns, um die Studierenden frühzeitig für Neurologie zu begeistern. Wenn dies gelingt und Neurologie als Wahlfach genommen wird, dann sind es eben nun ein paar Wochen weniger. Dafür werden die Studierenden jetzt auf die in jeder Hinsicht didaktisch sicher exzellent vorbereiteten Praxen von Allgemeinmedizinern verteilt.

Hand aufs Herz – Die Logik ist also: Eine Fachgesellschaft erkennt, dass sie nicht genug Nachwuchs hat. Sie fordert dann, dass ihr Fach zum Pflichtfach ernannt wird und dies auf Kosten eines Wahlfaches. Da sich keiner traut, einen solchen Vorschlag schlichtweg abzulehnen, wird ein fauler Kompromiss geschlossen, will heißen „Quartale“. Komisch, die generelle Strategie in Klinik, Forschung und Lehre geht hin zur Herausarbeitung von Schwerpunkten und zur vertieften Professionalisierung, zur Partizipation der Studierenden, damit sie frühzeitig ihre besonderen Interessen verfolgen können – und hier wird das Gegenteil gemacht: Streuung und Bevormundung.

Damit ist die Strategie für die Neurologie allerdings auch klar: Wir fordern ein Pflichttertial Neurologie. Dann passiert Folgendes. Erst werden wir aufgeklärt, dass es nur noch Quartale gibt. Dann fordern wir ein Pflichtquartal Neurologie. Erkrankungen des ZNS nehmen bis 2050 auf das Doppelte zu, schon jetzt sind 30 – 50 % von Patienten in großen Notaufnahmen neurologisch krank und schon jetzt gibt es ein Nachwuchsproblem. Ergo: Niemand kann unsere Forderung nach einem neurologischen Pflichtquartal ablehnen. Es folgt der Kampf um den Erhalt des Wahlfaches (es muss ja auch Herzchirurgen oder Kinderärzte geben). Dann kommt erneut ein von allen gefeierter Kompromiss: Das neurologische Pflichtquintal unter Erhalt des Wahlquintals.

Da nun aber die Versorgung von Kindern in strukturschwachen Gebieten nicht mehr gewährleistet ist … pädiatrisches Pflichtsextal … und die Kinder müssen ja auch erst einmal auf die Welt kommen … geburtshilfliches Pflichtseptal … oktal … na ja, ist ja nur meine Meinung – ein Editorial eben.

In letzter Sekunde vor Redaktionsschluss eingegangen: Das Engagement der Studierenden und Fachgesellschaften hat sich gelohnt – Bundesrat stimmt am 11. Mai 2012 gegen Pflichttertial Allgemeinmedizin.