Neuroradiologie Scan 2012; 02(02): 82-83
DOI: 10.1055/s-0032-1309406
Diskussion
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Intraoperative MRT – Mehr Sicherheit bei Eingriffen im Bereich der Sehstrahlung

Bei intrakraniellen Tumoren im Bereich der Sehstrahlung besteht bei einer Resektion stets die Gefahr von Verletzungen, da die Sehstrahlung trotz einiger Orientierungspunkte nicht sichtbar ist. G. Sun et al. untersuchten, ob sich die Verletzungsrate mittels intraoperativem MRT (iMRT) in Kombination mit einer Neuronavigation senken lässt.
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Publication History

Publication Date:
11 April 2012 (online)

Neurosurgery 2011; 69: 1070–1084

Eingang in die Studie fanden 44 Patienten (29 Männer und 15 Frauen) im Durchschnittsalter von 40,9 Jahren, die sich aufgrund eines Hirntumors, der an die Sehstrahlung angrenzte, einer neurochirurgischen Resektion unterzogen. Bei allen Operationen kam ein iMRT mit Neuronavigation zum Einsatz. Vor dem Eingriff wurden bei allen Teilnehmern ein konventionelles anatomisches MRT mit einem 1,5-T-Gerät und eine diffusionsgewichtete Bildgebung durchgeführt. Postoperativ erfolgte ebenfalls ein MRT, prä- und postoperativ wurde zudem das Sehfeld bestimmt. Anhand der präoperativen diffusionsgewichteten Bildgebung rekonstruierten die Autoren den 3-dimensionalen Verlauf der Sehstrahlung und legten so die Resektionsstrategie fest. Intraoperativ wurde der Patient mit einem Neuronavigationsmikroskop verbunden, mittels MRT wurden die Daten zum Verlauf der Sehstrahlung während des Eingriffs aktualisiert.

In 6 Fällen änderten die Neurochirurgen ihre Operationsstrategie, nachdem sie zusätzlich zum anatomischen MRT den rekonstruierten Verlauf der Sehstrahlung mittels diffusionsgewichteter Bildgebung gesehen hatten. Auch das Ausmaß der geplanten und der tatsächlich erfolgten Resektion unterschied sich bei 9 Patienten um mindestens 10 %, wobei die Neurochirurgen zu einer Überschätzung neigten. 36 Patienten litten an einem Gliom, das präoperativ im Median ein Volumen von 45,3cm3 aufwies und durchschnittlich 3,0 mm von der Sehstrahlung entfernt war. Der mittlere Tumorrest nach der Operation betrug 5,3 %. Aufgrund intraoperativer MRT wurde in einigen Fällen nachreseziert. Insgesamt gelang bei 22 Patienten (61,1 %) eine vollständige Tumorentfernung. Bei 8 Patienten mit Nichtgliomen betrugen das mittlere präoperative Tumorvolumen 13,8 cm3 und die durchschnittliche Distanz zur Sehstrahlung 3,3 mm. Hier blieben nach dem 1. iMRT keine Residuen. In der Gesamtkohorte verbesserte sich nach der Operation das Sehfeld bei 5 Patienten (11,4 %), bei 36 (81,8 %) blieb es unverändert und bei 3 (6,8 %) verschlechterte es sich.

Fazit: Die diffusionsgewichtete Bildgebung erwies sich bei Hirntumoren im Bereich der Sehstrahlung als hilfreich für die präoperative Planung. Durch die Kombination von MRT und Neuronavigation ließ sich das Ausmaß der Resektion erhöhen, ohne bei den meisten Patienten das Sehfeld zu verschlechtern, so die Autoren.

Dr. Johannes Weiß, Bad Kissingen

1. Kommentar

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Prof. Arya Nabavi, MaHM, Klinik für Neurochirurgie, UKSH, Campus Kiel, Arnold-Heller-Str. 2, 24105 Kiel

Durch den Einsatz der MRT zur strukturellen und funktionellen Analyse des ZNS, insbesondere auch intraoperativ, ergeben sich neue Möglichkeiten und Herausforderungen. Sun et al. untersuchten das Diffusion Tensor Imaging (DTI) zur Planung und Führung von Tumoroperationen in der Nähe der Sehbahn. Diese Faserverbindungen werden sowohl prä- als auch intraoperativ aus den Daten eines 1,5-T-MRT extrahiert und zur computergestützten Navigation eingesetzt. Durch diese zusätzliche Information sei ein höherer Sicherheitsgrad während der Tumorresektion zu erreichen. Der Artikel unterstreicht eindrucksvoll die Möglichkeiten des intraoperativen MRT (iMRT). Gleichzeitig stellt sich trotzdem die Frage, welchen Mehrwert bestimmte Sequenzen wirklich haben.

Das DTI erlaubt uns die Extraktion von Strukturinformationen aus der weißen Substanz und eine 3-D-Rekonstruktion, die wir sonst nur aus anatomischen Studien kennen. Es wird aber häufig außer Acht gelassen, dass es sich bei diesen 3-D-Repräsentationen um mathematische Näherungen handelt. Die Ergebnisse hängen von vielen Faktoren ab (u. a. Voxeldimensionen, eingestellte Parameter, Vorfilter, Hauptdiffusionsrichtung vs. funktioneller Faserverlauf). Während es statthaft ist, qualitative Rückschlüsse zu ziehen, sind Aussagen zu Sicherheitsabständen von Faserbahnen zu einem Resektionsareal mit großer Vorsicht zu bewerten. Hier ist es essenziell, sich den virtuellen Charakter der Faserbündel vor Augen zu halten, um nicht durch eine suggerierte Präzision zu falschen chirurgischen Entscheidungen verleitet zu werden. Deswegen wäre eine Analyse der Patienten interessant gewesen, bei denen das DTI zu einer Änderung des Operationszugangs geführt hatte (6 Patienten von 44). Inwieweit die intraoperative DTI-Information wirklich Einfluss auf das unmittelbare operative Vorgehen hatte, bleibt unklar; die Formulierung, dass in der Nähe der Faserbahnen „vorsichtig“ präpariert werden soll, erheitert.

Es bleibt die prinzipielle Sorge, dass die 3-D-Darstellung unreflektiert („what you see is what you get“) zur Entscheidungsfindung benutzt wird.

Die interdisziplinäre Aufgabe von Neuroradiologie, Neurochirurgie und medizinischer Informatik ist es, die neuen Anwendungen nicht nur ästhetisch zu „visualisieren“, sondern methodenkritisch die Leistungsfähigkeit zu untersuchen. Dies geht aber nur durch den intensiven Diskurs über die chirurgischen Fragestellungen, die Leistungsfähigkeit von Sequenzen und Algorithmen und ihre unmittelbare Effektivität. Die Anwendung der iMRT verlangt und lebt von einem solchen interdisziplinären Ansatz. Hier können Sequenzen und Algorithmen auf ihre Präzision hin untersucht und direkt für die chirurgische Entscheidung benutzt werden.

Sun et al. haben in einer Machbarkeitsstudie bewiesen, dass die Traktografie der Sehbahn intra- und präoperativ durchführbar und hilfreich ist. Hierbei darf man es nicht belassen. Konkrete Qualitätskriterien müssen erarbeitet werden, die sowohl die Datenakquisition, Nachbearbeitung, Auswertung und chirurgische Anwendung strukturiert erfassen, um Weiterentwicklungen der Algorithmen zur Präzisierung der Ergebnisse antreiben zu können.

Literatur beim Verfasser

E-Mail: nabavia@nch.uni-kiel.de


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2. Kommentar

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Prof. Ulrike Ernemann, Diagnostische und Interventionelle Neuroradiologie, Radiologische Universitätsklinik, Hoppe-Seyler-Str. 3, 72076 Tübingen

Die Arbeit analysiert den diagnostischen und therapeutischen Gewinn der intraoperativen MRT (iMRT) zur Tumor-Resektionskontrolle bei neurochirurgischen Eingriffen. Von besonderem aktuellen Interesse ist dieses Thema vor dem Hintergrund, dass über die iMRT angesichts des erheblichen technischen, apparativen und personellen Aufwands und der damit verbundenen Kosten intensiv und auch kontrovers diskutiert wird.

In dieser Arbeit zeigen die Autoren die Vorteile der iMRT-Bildgebung am Beispiel der chirurgischen Therapie sehbahnnaher Läsionen auf. Einen besonderen Stellenwert haben hier die Diffusions-Tensor-Bildgebung (DTI) und die Faserbahndarstellung sowohl für die präoperative Planung des neurochirurgischen Zugangs als auch für den intraoperativen Abgleich im Rahmen der Resektionskontrolle. Mit 44 Patienten wurde eine relativ große Patientenzahl in die Studie eingeschlossen. Es wurde gezeigt, dass die DTI-Bildgebung zusammen mit der Faserbahndarstellung bei 6 Patienten zu einer Änderung des eigentlich geplanten, chirurgischen Zugangs führte. Die iMRT-basierte Tumor-Resektionskontrolle erhöhte die Resektionsrate von 88,3 auf 95,7 %. In Bezug auf die für die operative Morbidität wichtige Frage einer postoperativen Beeinträchtigung des Gesichsfeldes konnte gezeigt werden, dass bei Einbeziehung der intraoperativen Faserbahndarstellung in die Resektionsplanung postoperativ lediglich bei 3 Patienten eine Verschlechterung des Gesichtsfeldes auftrat. Bei 36 Patienten war das Gesichtsfeld vor und nach der Operation unverändert, bei 5 Patienten erfolgte postoperativ eine Besserung des Gesichtsfeldbefunds.

Zusammenfassend konnte an einer relativ großen Zahl von 44 Patienten gezeigt werden, dass die iMRT zu einer vollständigeren Tumorresektion führte – eine Erkenntnis, die aus früheren Publikationen zur iMRT bereits hinreichend dokumentiert ist.

Unter Berücksichtigung der intraoperativen Faserbahndarstellung kam es in diesem Kollektiv nur bei 3 Patienten zu einer postoperativen Verschlechterung des Gesichtsfeldes. Bei der insgesamt sorgfältig durchgeführten und präzise ausgewerteten Studie ist hierzu als Kritik anzumerken, dass kein Vergleichskollektiv ohne intraoperative Faserbahndarstellung untersucht wurde, sodass nicht sicher belegt werden kann, dass die geringe Zahl an postoperativen Gesichtsfeldverschlechterungen nur mithilfe der intraoperativen Faserbahndarstellung erreicht werden konnte.

Die vorliegende Arbeit ist klinisch, medizin-ökonomisch und berufspolitisch relevant, da der sichere Betrieb der iMRT ein im Hinblick auf medizinische und logistische Fragen herausforderndes Tätigkeitsgebiet für Radiologen und Neuroradiologen darstellt. Dabei ist es unsere diagnostische Aufgabe, die zur Operationsplanung zielführenden Fragen der in Bezug auf die intraoperative Navigationsbildgebung erfahrenen neurochirurgischen Kollegen präzise und unter Einbeziehung der verfügbaren, modernen, funktionellen MRT-Verfahren, wie der DTI-Bildgebung mit Traktografie, Perfusion und Spektroskopie präzise zu beantworten. Zur Validierung dieser Verfahren ist hier eine stärkere Standardisierung der Datenerhebung und -auswertung wünschenswert. Im Hinblick auf den hohen Zeit-, Personal- und Kostenaufwand der iMRT ist vor allem eine präzise Indikationsstellung unter Berücksichtigung klinischer Studienergebnisse unverzichtbar.

Literatur bei der Verfasserin

E-Mail: Ulrike.Ernemann@med.uni-tuebingen.de


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