PPH 2012; 18(03): 119
DOI: 10.1055/s-0032-1313727
PPH|Szene
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Brunos Welt

Was Platon nicht ahnen konnte
Bruno Hemkendreis
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Publication Date:
14 May 2012 (online)

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(Quelle: Werner Krüper)

„Stelle dir Menschen vor in einer höhlenartigen Wohnung unter der Erde, die einen nach dem Lichte zu geöffneten und längs der ganzen Höhle hingehenden Eingang habe, Menschen, die von Jugend auf an Schenkeln und Hälsen in Fesseln geschmiedet sind, so dass sie dort unbeweglich sitzenbleiben und nur vorwärts schauen, das Licht für sie scheine von oben und von der Ferne von einem Feuer hinter ihnen; zwischen dem Feuer und den Gefesselten sei oben ein Querweg; längs diesem denke dir eine kleine Mauer erbaut, wie sie die Gaukler vor dem Publikum haben, über die sie ihre Wunder zeigen. So stelle dir weiter vor, längs dieser Mauer trügen Leute allerhand über diese hinausragende Gerätschaften, auch Menschenstatuen und Bilder von anderen lebenden Wesen aus Holz, Stein und allerlei sonstigem Stoffe, während, wie natürlich, einige der Vorübertragenden ihre Stimme hören lassen, andere schweigen. Haben wohl solche Gefangene von ihren eigenen Personen und voneinander etwas anderes zu sehen bekommen als die Schatten, die von dem Feuer auf die gegenüberstehende Wand fallen? Ferner, ist es nicht mit den vorüber getragenen Gegenständen ebenso?“ [1]

Platon lässt Sokrates weiter fragen, ob die Gefangenen nicht diese Schatten als reale Welt ansähen? Würde man nun einen Gefangenen befreien und ihn zwingen, sich umzudrehen, würden seine Augen wohl schmerzlich vom Feuer geblendet, und die Figuren zunächst weniger real erscheinen als die Schatten. Er würde wieder zurück an seinen vertrauten Platz wollen.

Nun führt man ihn mit Gewalt an das Sonnenlicht. Er wäre geblendet und könnte im ersten Moment nichts erkennen. Während sich seine Augen aber langsam an das Licht gewöhnen, erkennt er nach und nach die Gegenstände im Licht, die Schatten und die Sonne.

Mit der Erkenntnis, dass hier draußen reale Dinge existieren, nicht nur Schatten, geht er zurück in die Höhle, um seinen ehemaligen Mitgefangenen davon zu berichten. Da sich seine Augen nun aber wieder an die Dunkelheit gewöhnen müssten, könnte er anfangs die Schattenbilder nicht erkennen und nicht mit den Gefesselten gemeinsam deuten. Seine Mitgefangenen nähmen ihn als verblendeten Spinner wahr und würden ihm nicht glauben. Damit sie nicht dasselbe Schicksal ereile, würden sie jetzt jeden bekämpfen, der sie belehren und ans Licht bringen wollte.

Was Platon damals nicht ahnen konnte:

Die Gefesselten sitzen gar nicht in einer Höhle, und Fesseln an Hälsen und Schenkeln sind überhaupt nicht nötig. Sie hocken in einem abgedunkelten Zimmer vor einem LED-Flachbildschirm [2].

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Ist Brunos Welt auch Ihre Welt - teilweise wenigstens? Erkennen Sie sich wieder? Erhebt sich bei Ihnen ein Einwand, oder regt sich der Wunsch nach Bekräftigung?

Bruno Hemkendreis freut sich auf Ihre Anregungen:

BrunosWelt@thieme.de

 
  • Literatur

  • 1 Platon, Auszüge aus dem Höhlengleichnis, Politeia, VII.
  • 2 Full HD, 1.920 x 1.080 Pixel, Reaktionszeit: 2 ms, 3D-Ready.