Geburtshilfe Frauenheilkd 2012; 72(6): 501
DOI: 10.1055/s-0032-1315023
Editorial
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Editorial

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M. W. Beckmann
Frauenklinik, Universitätsklinikum Erlangen, Erlangen
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Publication Date:
02 July 2012 (online)

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

Mitte der neunziger Jahre wurde an Essener Kliniken bei vermutlich 300 Frauen eine falsch positive Brustdiagnose gestellt; die operative Therapie erfolgte teils durch Ablatio, teils brusterhaltend. Der Pathologe, der die fehlerhaften Diagnosen gestellt hatte, Prof. Dr. Josef Kemnitz, beging Selbstmord, nachdem Anklage wegen fahrlässiger Körperverletzung erhoben worden war.

Der sogenannte Kemnitz-Skandal erfuhr in der Publikumspresse wie in der Fachpresse eine breite Berichterstattung. Dabei ging es nicht nur um eine individuelle Fehlleistung des Pathologen; thematisiert wurde auch die onkologische Versorgung von Brustkrebspatientinnen insgesamt: Diagnosestellung, operative Methodik wie auch die Informationsübermittlung zwischen Diagnostikern, Radiologen und Operateuren. Prof. Dr. Ingrid Schreer, die seinerzeitige Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Senologie, die zusammen mit Prof. Dr. Roland Bässler und Prof. Dr. Klaus-Dieter Schulz 76 Patientenakten überprüft hatte, resümierte später: „In Essen haben sich auf fatale Weise persönliche Fehler mit grundlegenden Mängeln des Systems der Brustkrebsfrüherkennung verknüpft.“ (Deutsches Ärzteblatt 97, 8, 25. 2. 2000).

Die Aufarbeitung der Vorgänge litt nicht unerheblich daran, dass die histologischen Befunde nicht mehr überprüfbar waren. Kemnitz hatte bei seinem Selbstmord sein Labor in Brand gesetzt, in dem die Gewebeproben in offenbar unsachgemäßer Weise gelagert waren. In der vorliegenden Ausgabe präsentiert die Arbeitsgruppe um Frau PD Dr. Elke Hauth erstmals Evidenz, dass in Essen seinerzeit tatsächlich falsch diagnostiziert wurde. Bei 171 von 222 aktenkundigen betroffenen Patientinnen, die zu einer 10-Jahres- sowie einer 15-Jahres-Verlaufskontrolle eingeladen wurden, war die Überlebensrate höher und die Anzahl an Rezidiven bzw. Metastasen deutlich geringer als erwartet.

Die Fachgesellschaften haben auf diese relative Gewissheit nicht gewartet, um die Bemühungen um eine verbesserte Versorgung von Brustkrebspatientinnen – insbesondere durch Einführung der strukturierten Versorgung in Brustzentren sowie durch eine erheblich verschärfte Qualitätssicherung – zu intensivieren. Dass diese Bemühungen nicht ohne Erfolg sind, haben wir an anderer Stelle berichten können.

Es bleibt den Autorinnen und Autoren der jetzt publizierten Studie für die sorgfältige und geduldige Aufarbeitung der verfügbaren Daten zu danken.

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Prof. Dr. Matthias W. Beckmann