PiD - Psychotherapie im Dialog 2012; 13(4): 69-72
DOI: 10.1055/s-0032-1321410
Aus der Praxis
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Aktuelle Sucht und Trauma in früheren Generationen

Fakten und Konsequenzen für die SuchttherapieRuthard  Stachowske
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Publication Date:
04 December 2012 (online)

Zusammenfassung

Theorien über die Entwicklung von Abhängigkeit von psychotropen Substanzen folgen überwiegend einer individualzentrierten Perspektive, gleiches gilt für die Theorien der Richtlinienverfahren PA, TP, VT und den hieraus abgeleiteten speziellen Suchttherapieverfahren. Auch die ICD-10 als Diagnose- und damit als Definitionssystem repräsentiert diese Perspektive, ebenso wie wissenschaftliche Aussagen und gesellschaftliche Statements meinungsbildender Wissenschaftler (vgl. u. a. Petzold 1988, Reddemann u. Schäfer 2012). Der einzelne Patient wird folglich in seinem „So-geworden-Sein“ als Ausdruck seiner individuellen Lebensgeschichte verstanden. Daher ist der familiäre Kontext in der Regel nicht als entscheidende Größe am Therapieprozess beteiligt. Angesichts eindrucksvoller systemischer (vgl. von Sydow et al. 2010, S.13) und kontextuell-therapeutischer Erkenntnisse (vgl. Simon u. Stierlin 1992, S. 198f., Pfitzer u. Hargrave 2005, S. 19f.) ist zu fragen, inwieweit durch diese überwiegend individualzentrierte Akzentuierung in Theorie, Diagnose und Therapie nicht entscheidende Wirkfaktoren verkannt bleiben, die die Entwicklung von Sucht in der Aktualität und die Verbindung von Trauma im System der Generation auf diesen Prozess der Entwicklung von Sucht neu erklären können. Im Folgenden werden solche systemisch-kontextuellen und damit mehrgenerationalen Zusammenhänge und insbesondere die Bedeutung von traumatischen Erfahrungen in den Generationen und deren Einfluss auf die Entwicklung von Lebensentwürfen beschrieben, in denen sich Abhängigkeiten entwickelt haben. Aus diesen Erkenntnissen werden Konsequenzen für die Therapie und Praxis abgeleitet, die auch mit dem ICF (International Classification of Functioning, Disability and Health) kompatibel sind.

Literatur

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  • 13 Simon F B, Stierlin H. Die Sprache der Familientherapie. Ein Vokabular.. Stuttgart: Klett-Cotta; 1992
  • 14 Stachowske R. Mehrgenerationentherapie und Genogramme in der Drogenhilfe.. Kröning: Asanger Verlag; 2009
  • 15 Stachowske R. Sucht und Drogen im ICF-Modell.. Kröning: Asanger Verlag; 2008
  • 16 Sydow K von, Schindler A, Beher S et al. Die Wirksamkeit von Systemischer Therapie bei Substanzstörungen des Jugend- und Erwachsenenalters.  Sucht. 2010;  56 21-42

Prof. Dr. Ruthard Stachowske

ImFT – Privatrechtliches Institut für mehrgenerationale Forschung und Therapie

Heiligengeiststraße 41

21335 Lüneburg

Email: stachowske@imft.info

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