Z Sex Forsch 2013; 26(2): 175-177
DOI: 10.1055/s-0033-1335605
Debatte
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Viel Aufwand und wenig Effekt

Anmerkungen zum Transsexuellengesetz
Gunter Schmidt
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Publication Date:
24 June 2013 (online)

Das Bundesverfassungsgericht hat einzelne Vorschriften des Transsexuellengesetzes (TSG) von 1981 mehrfach für verfassungswidrig erklärt (vgl. Bruns 2007). Den bis jetzt letzten dieser Beschlüsse vom Januar 2011, demzufolge körperangleichende Operationen für eine Personenstandsänderung nach TSG nicht mehr vorausgesetzt werden dürfen, und in dessen Folge sich die Voraussetzungen für eine Vornamens- und Personenstandsänderung nach TSG nicht mehr unterscheiden, nimmt Annette-Kathrin Güldenring (2013) in diesem Heft zum Anlass zu fordern, dass die Fremdbegutachtung als entscheidende Instanz (aus dem TSG) gänzlich entfernt werden müsse. Friedemann Pfäfflin hatte schon kurz nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom Januar 2011 in einem „Plädoyer für die Abschaffung des Transsexuellengesetzes“ festgestellt, es müsste „genügen, dass sich ein Antragsteller beim Standesamt entsprechend erklärt, die Gebühren für die diversen Umschreibungen entrichtet und dann den gewünschten Personenstand erhält“ (2011: 62). Die Feststellung der Geschlechtsidentität unterliege dann der „subjektiven Selbstbestimmung“, das „aufwendige Verfahren des Transsexuellengesetzes einschließlich der doppelten Begutachtung“ brauche man dann nicht mehr (ebd.).

Ich schließe mich der Forderung an, dass die Grundlage für eine Änderung von Vornamen und Personenstand das subjektive Geschlechtsempfinden des Antragstellers oder der Antragstellerin sein sollte und nicht eine vom Gutachter zertifizierte Geschlechtsidentität. Güldenring und Pfäfflin arbeiten, wenn ich sie recht verstehe, mit einer rechtsethischen oder rechtspolitischen Begründung, die dem Selbstbestimmungsrecht auch hinsichtlich des eigenen Geschlechtsgefühls die zentrale Rolle zuspricht. Das ist auch für mich die übergeordnete und zentrale Begründung. Ich will aber einige pragmatische und methodische Argumente hinzufügen.

Ich habe in den letzten zehn Jahren etwas über 300 Gutachten in Vornamens- bzw. Vornamens- plus Personenstandsverfahren für norddeutsche Gerichte erstellt. Die Gutachten sollen nach dem TSG eine wissenschaftlich abgesicherte Vorhersage darüber treffen, ob das Geschlechtsempfinden des Antragstellers oder der Antragstellerin mit hoher Wahrscheinlichkeit zeitlich stabil ist. Lediglich in zwei Verfahren habe ich, einvernehmlich mit den Antragstellern, den Antrag nicht befürwortet. Ich habe mit Kolleginnen und Kollegen gesprochen, die ebenfalls viele Gutachten verfasst haben, und sie haben mir bestätigt, dass auch bei ihnen die Ablehnung eines Antrags extrem selten vorkommt. Das aber bedeutet: Die Begutachtung ist ein Prüfverfahren, das so gut wie immer zu dem gleichen Ergebnis kommt. Solche Prüfverfahren aber haben nach der Testtheorie der Psychologie eine geringe Reliabilität und entsprechend eine geringe Validität, das heißt in unserem Fall, sie tragen zur Verbesserung der Vorhersage der zeitlichen Stabilität des Geschlechtsempfindens nur sehr wenig bei. Viel Aufwand und wenig Effekt. Man wird mit Recht einwenden, dass diese Schlussfolgerung lediglich auf meinen Erfahrungen und auf informellen Mitteilungen von Kolleginnen und Kollegen beruht – aber sie lässt sich leicht überprüfen: Die Gerichte brauchten nur – sagen wir für die letzten drei oder fünf Jahre – auszuzählen, wie viele Verfahren nach TSG eröffnet und wie viele befürwortet wurden, eine wirklich einfache Übung.

Unter den von mir bearbeiteten Gutachtenaufträgen waren lediglich vier Rückwandlungsbegehren, also Anträge auf Rückkehr in die alte Geschlechtszugehörigkeit oder zum alten Vornamen. Das sind ein bis zwei Prozent aller Verfahren, also seltene Ereignisse (und auch diese Zahl ließe sich leicht überprüfen). Steht das nicht im Widerspruch zu meiner oben genannten Behauptung, dass Gutachten den Erkenntnisgewinn, die Vorhersageschärfe, so gut wie nicht steigern? Nein keinesfalls, im Gegenteil: Da die Gutachten so gut wie immer den Anträgen der Betroffenen folgen, bestätigt die geringe Zahl der Rückumwandlungsbegehren eindrucksvoll die subjektive Expertise der AntragstellerInnen.

Das schon erwähnte Anliegen des TSG, durch Gutachter die zeitliche Stabilität des vom Körpergeschlecht abweichenden Geschlechtsempfindens festzustellen, ist so stark, dass der Gesetzgeber dem Gutachter hierzu gleich drei, durchaus redundante Fragen vorlegt (vgl. Güldenring 2013). Das Anliegen des Gesetzgebers, Vornamens- und Personenstandsänderung bei einer Person wenn möglich nur einmal durchzuführen, ist durchaus nachvollziehbar. Ein pragmatisches Verfahren könnte diese Absicht des Gesetzgebers signalisieren, und zwar durch eine Karenz zwischen Antrag und Entscheidung, zum Beispiel von drei oder sechs Monaten. Das Standesamt oder die zuständige Behörde nimmt den Antrag entgegen; bestätigt der Antragsteller oder die Antragstellerin nach der Karenzzeit seinen oder ihren Antrag, dann wird dem statt gegeben. Das ginge immer noch zügiger als die jetzigen Verfahren – und wäre finanziell wie bürokratisch viel weniger aufwendig. Zudem hätten Psychiatrie und Psychotherapie das Feld des juristischen Geschlechtswechsels geräumt.