Aktuelle Ernährungsmedizin 2013; 38(5): 305-306
DOI: 10.1055/s-0033-1346742
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Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Anorexie – Diagnostische Werkzeuge im Vergleich

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Publication Date:
17 October 2013 (online)

Hintergrund: Unterernährung hat bei hospitalisierten Patienten einen negativen Effekt auf die klinischen Outcomes. Eine große Studie zeigte jüngst, dass etwa 30% aller Patienten in Krankenhäusern davon betroffen sind. Als Hauptursache für eine unzureichende Nahrungsaufnahme gilt in diesem Zusammenhang die Anorexie. A. Arezzo di Trifiletti et al. überprüften nun 4 diagnostische Werkzeuge hinsichtlich ihrer Fähigkeit, bei hospitalisierten Patienten eine krankheitsbedingte Anorexie zu identifizieren.

Methoden: Die Studie schloss erwachsene Patienten ein, die während des Zeitraums von Oktober 2011 bis Januar 2012 in die Abteilung für Innere Medizin innerhalb des Krankenhauses der Autoren verlegt wurden. Während der ersten 48 Stunden nach Aufnahme wurden die Studienteilnehmer gebeten, ihren Appetit im Vergleich zum vorangegangenen Monat zu beurteilen. Zusätzlich kamen folgende 3 Werkzeuge zur Messung des Appetits zum Einsatz: der FAACT-ESPEN-Score, die visuelle Analogskala (VAS) sowie ein von der Arbeitsgruppe der Autoren entwickelter Anorexie-Fragebogen. Unmittelbar nach dem Interview erfolgte eine Bestimmung der aufgenommenen Nahrung. Ebenfalls Berücksichtigung fanden Ernährungsvariablen (Körpergewicht, Größe usw.), funktionelle Variablen (z. B. Greifkraft der Hand) sowie klinische Variablen (z. B. Verweildauer auf der Station).

Ergebnisse: Daten von 105 Patienten (74 Männer, 31 Frauen) standen für die Analyse zur Verfügung. Das Durchschnittsalter der Studienteilnehmer betrug 66,2 ± 16,3 Jahre. Die mithilfe einer Selbstbewertung durch die Patienten, des FAACT-ESPEN-Scores sowie des Anorexie-Fragebogens ermittelten Anorexie-Raten betrugen jeweils 23, 10 und 48%. Die VAS korrelierte nicht mit der Nahrungsaufnahme und der mit der VAS ermittelte Appetit stand ebenfalls nicht in Zusammenhang mit dem Körpergewicht, der Greifkraft der Hand oder der Länge des Krankenhausaufenthaltes. Die durch eine Selbstbewertung ermittelten Anorexie-Patienten waren im Vergleich zu Patienten ohne Anorexie durch eine reduzierte Nahrungsaufnahme sowie geringere Greifkraft der Hand gekennzeichnet. Die Autoren identifizierten eine Korrelation zwischen dem FAACT-ESPEN-Score und dem Körpergewicht, der Nahrungsaufnahme und der Greifkraft der Hand – ein Zusammenhang mit der Aufenthaltsdauer im Krankenhaus bestand nicht. Mittels des Anorexie-Fragebogens identifizierte Anorexie-Patienten zeigten eine geringere Nahrungsaufnahme, ein niedrigeres Körpergewicht, eine geringere Greifkraft der Hand sowie einen längeren Krankenhausaufenthalt als Patienten mit normalem Appetit.

Folgerungen: Die Prävalenz von krankheitsbedingter Anorexie variierte je nach benutztem diagnostischen Werkzeug signifikant. Die VAS erwies sich als ungeeignet zur Diagnose einer Anorexie in der täglichen klinischen Praxis. Die anderen Werkzeuge waren hingegen in der Lage, Patienten mit mangelhaftem Ernährungsstatus und funktioneller Beeinträchtigung zu identifizieren. Nach Meinung der Autoren existiert das optimale Messinstrument für Anorexie offenbar nicht, das diagnostische Werkzeug sollte jeweils der Zielvorgabe entsprechend ausgewählt werden (z. B. der Anorexie-Fragebogen, um die Länge des Krankenhausaufenthaltes vorherzusagen).

Dr. Frank Lichert, Weilburg