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DOI: 10.1055/s-0033-1356954
Liebe Leserinnen und Leser,
Publication History
Publication Date:
05 September 2013 (online)
Am 15. Juli 2013 wurde ein unabhängiges Review, das von der englischen Regierung in Auftrag gegeben worden war, der Öffentlichkeit vorgestellt. Grund des Reviews waren Zweifel an der Qualität des Inhalts und der Durchführung des Liverpool Care Pathway for dying patient (LCP). Der LCP ist eine Anleitung zur interprofessionellen Begleitung und Betreuung von Sterbenden und ihren Familien in den letzten Lebenstagen. Er findet seit vielen Jahren in vielen Ländern Anwendung, in England ist er Gegenstand eines nationalen Audits / Benchmarkings. Das Benchmarking ist im Gesundheitswesen eine besonders heikle Angelegenheit, in England jedoch im Rahmen des National Health Service ein häufiges Vorgehen für ganz unterschiedliche Themen.
Die Review-Kommission um Baroness Julia Neuberger empfiehlt, den LCP über die kommenden 12 Monate abzulösen: „ […] and be replaced by a personalized end of life care plan, backed up by good practice guidance specific to disease groups“. Die Baroness betonte in der Erklärung, dass es keinen Zweifel gibt, dass ein richtig angewandter LCP in den letzten Tagen und Stunden des Lebens eine hohe Qualität und mitfühlende Betreuung ermöglicht. Bei einem nicht sorgfältig umgesetzten LCP hätte das Review jedoch „too serious cases of unacceptable care“ konstatieren müssen.
Seit 2005 koordinierte man gemäß der sehr hohen Qualitätsanforderungen aus Liverpool zunächst in St. Gallen (CH) und ab 2011 auch in Köln die Aktivitäten zur Implementierung des LCP im deutschsprachigen Raum. Als eines der größten Krankenhäuser der Schweiz hat das Kantonsspital St. Gallen ab 2006 den LCP für alle Abteilungen bei Sterbenden propagiert und eingesetzt. Der Schulungsaufwand war und ist enorm, beträchtlich ist aber der Qualitätsgewinn bei der Betreuung von Sterbenden. Gab es vorher keinerlei Struktur und Anleitungen für diese anspruchsvolle Aufgabe, wurde in regelmäßigen Reviews mit Angehörigen und den beteiligten Fachpersonen über eine verbesserte Kommunikation, Information und Vermeidung unnötiger medizinischer und pflegerischer Maßnahmen in den letzten Lebenstage berichtet. Der LCP ist keine Einbahnstraße zum Tod, sondern ein klinischer Indizienprozess, der durch weniger Stress und Medikamente auch zu einer Besserung führen kann. Hinzu kommt, dass in jeder Institution, die den LCP im deutschsprachigen Raum anwendet, ein Team der spezialisierten Palliative Care als Ansprechpartner permanent zur Verfügung stehen muss. Diese Erfahrungen und Ansichten werden von allen Anwendern des LCP, u. a. auch in Pflegeheimen, geteilt. Der stark reglementierte Zugang zum Einsatz des LCP (nationale Registrierung in Köln oder St. Gallen, internationale Registrierung in Liverpool), sowie die Bildung der deutschsprachigen Kollaborations-Gruppe in 2008 hat dazu geführt, dass die Anwendung ohne entsprechende Konzepte, Schulungen und spezialisiert-palliativem Hintergrund bisher ausblieb. Aus unserer Sicht gibt es also keinen Grund, dieses hilfreiche Vorgehen zu ändern bzw. zu unterlassen.
In England scheint die wesentliche Aussage „in the right hand“ zu sein. Vergleichbar mit anderen klinischen Standards, hängt die Sicherheit und Qualität immer von den Kompetenzen, und ganz besonders von der situativen Einschätzung und Erfahrung der Anwender ab. Die Betreuung von Sterbenden mit Hilfe einer Checkliste durchzugehen, um Punkt für Punkt das Leben bis zum Ende „abzuhaken“, ist schlicht unprofessionell und gefährlich. Das trifft für alle Empfehlungen, Standards oder Pathways, von der Geburtshilfe bis zur Sterbephase, zu. Diese „Fälle“ des standardisierten Abhakens hat die Review-Kommission beanstandet – hier bietet der LCP offensichtlich keinen ausreichenden Schutz. Hinzu kommt, dass im Rahmen der Qualitätssicherung die Krankenhäuser Gelder bekommen, wenn sie den LCP anwenden. Zusätzlich zum unsachgemäßen Einsatz (siehe oben) gibt es letztendlich auch finanzielle Anreize, ein Leben „standardisiert“ zu beenden – eine sehr fragwürdige Kombination! Meiner Meinung nach ist dem Vereinigten Königreich der Ansatz, sehr viele Prozesse mit hohem administrativem Aufwand exzellent zu pauschalisieren und zu steuern (vgl. NICE-Guidelines), hier zum Verhängnis geworden. Die Gutachter fordern nun, die Begleitung in der Sterbephase mehr zu individualisieren: more care, less pathway.
Wir fühlen uns darin bestätigt, mit weniger Checkliste, mehr Empfehlung als Standard und natürlich mit individualisiertem Einsatz den Sterbeprozess auch in Zukunft zu begleiten. Die Ziele des LCP bleiben dabei erhalten, ebenso wie das Prinzip der interprofessionellen, problem- und symptomorientierten Vorgehensweise. Hierzu gehört auch eine transparente, aber ggf. weniger standardisierte Dokumentation und Evaluation des Erreichten unter noch stärkerem Einbezug der Angehörigen. Ein weniger administratives Regelwerk gibt auch mehr Freiheit bei der Integration des LCP oder eines anderen strukturierten institutseigenen Vorgehens und Dokumentationssystems. Was wir erhalten wollen ist eine deutschsprachige Kollaboration für die Empfehlungen zum bestmöglichen Vorgehen bei der Betreuung von Sterbenden. Ziel der Kollaboration wird das gemeinsame Lernen bei diesem auch gesellschaftspolitisch so sensiblen Thema bleiben. Eine Botschaft der LCP-Review-Gruppe lautet: „What we have also exposed in this Review is a range of far wider, fundamental problems with care for the dying – a lack of care and compassion, unavailability of suitably trained staff, no access to proper palliative care advice outside of 9–5 Monday to Friday.” Dies dürfte an vielen deutschsprachigen Orten auch nicht fundamental anders sein. Es gibt also auch bei uns noch viel zu tun, um überall ein Sterben in Würde zu gewährleisten.