PPH 2013; 19(06): 290-291
DOI: 10.1055/s-0033-1360794
Szene
Brunos Welt
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Über-Wachung

Bruno Hemkendreis
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Publication Date:
19 November 2013 (online)

Überwachungsmaßnahmen werden in der stationären Psychiatrie angewendet, um Patienten vor sich selbst oder andere Patienten oder Mitarbeiter vor Übergriffen zu schützen. In Ausnahmefällen ist es notwendig, zur Sicherheit Anderer die Freiheit Einzelner einzuschränken. Dann befinden sich Freiheit und Sicherheit auf den beiden Schalen einer Waage. Für diejenigen, die entscheiden, stellt es ethisch ein Problem dar, zwei Grundrechte gegeneinander aufwiegen zu müssen.

Nun gibt es aber deutliche Hinweise darauf, dass die Anwendung von Zwangsmaßnahmen, und damit auch von Überwachungen, weniger mit der Diagnose oder dem Zustand des Patienten zu tun hat, als mit der Kultur der Einrichtung, der personellen Besetzung, dem Ausbildungsstand der Mitarbeiter und so weiter. Aus Patientensicht finde ich diese Vorstellung beängstigend.

Umso mehr fand ich es verstörend, als durch die Enthüllungen Edward Snowdens Ende Mai das Ausmaß der Überwachungswut der National Security Agency (NSA) bekannt wurde. Hier wird anscheinend überhaupt nicht mehr unterschieden, ob jemand ein Sicherheitsrisiko darstellt, sondern es werden einfach alle überwacht. Das erinnerte mich wiederum daran, dass in einigen psychiatrischen Kliniken jeder Patient, der intoxikiert aufgenommen wird, prophylaktisch fixiert wird. Ähnliche „fürsorgliche“ Maßnahmen dringen auch immer wieder aus Alten- und Pflegeheimen an die Öffentlichkeit.

In unserem umgrenzten Arbeitsfeld Psychiatrie wie in der globalen Dimension der NSA wird gerne angeführt, dass die Freiheit des Einzelnen nur nach strengen gesetzlichen Vorgaben zum Wohle der Sicherheit der Allgemeinheit eingeschränkt werde. Was die Ausspähung durch die NSA betrifft, hört man immer wieder: „Wer nichts zu verheimlichen hat, hat auch nichts zu befürchten“.

Ich bin mir da nicht mehr so sicher. Vor einer Kubareise hatte meine Partnerin mir ein Buch des kubanischen Schriftstellers Reinaldo Arenas geschenkt, um mich literarisch auf Land und Leute einzustellen. Was wir nicht wussten: Arenas wurde dort als eine Art Staatsfeind angesehen. Ich hatte sein Buch „Bevor es Nacht wird“ in meinem Handgepäck, welches ich beim Zoll öffnen musste. Das Buch erregte das Interesse des Zollbeamten und wenig später wurde ich in ein separates Verhörzimmer abgeführt. Man wollte von mir wissen, ob ich Journalist sei und glaubte mir nicht so recht, keiner zu sein. Nach etwa 45 Minuten intensiver Befragungen und Ermahnungen durfte ich einreisen.

In den folgenden zwei Wochen konnte ich mich – wie ich bald merkte – sehr sicher fühlen. Was ich auch tat, wohin ich auch ging, immer war auffällig unauffällig einer von diesen Männern in der Nähe, die am gleichen Typ Lederjacke zu erkennen waren. Allerdings konnte ich mich über diesen ungewohnten Polizeischutz nicht wirklich freuen, weil ich mich in meiner Freiheit extrem eingeengt fühlte. Die Ereignisse lösten bei mir eine selektive Sensibilität für Lederjacken und ein gewisses Verständnis für Menschen mit paranoiden Ideen aus. Obwohl ich weder etwas verbrochen noch zu verheimlichen hatte, war der Urlaub einigermaßen misslungen.

Abgesehen von dem Spaß, dass es mir zweimal gelang, meine Bewacher abzuhängen.