PPH 2015; 21(01): 51-52
DOI: 10.1055/s-0035-1544940
DFPP-Mitteilungen
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Mitteilungen für die Mitglieder der Deutschen Fachgesellschaft Psychiatrische Pflege

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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
23. Januar 2015 (online)

Liebe Mitglieder und Interessierte,

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Ruth C. Ahrens, Präsidentin der Deutschen Fachgesellschaft für Psychiatrische Pflege

im Februar 2015 endet meine Amtszeit als erste Präsidentin der Deutschen Fachgesellschaft für Psychiatrische Pflege; für die kommende Amtsperiode stehe ich nicht zur Verfügung.

Die DFPP hat ihre Anliegen prägnant und kurz in ihrer Präambel formuliert (im Internet: http://dfpp.de/index.php/orga/77-praeambel). Um sie zu verwirklichen, braucht die DFPP Menschen, die bereit sind, sich für diese Ziele einzusetzen.

Von der Gründung der Fachgesellschaft am 10. Februar 2012 bis heute verzeichnen wir einen stetigen Mitgliederzuwachs auf mittlerweile rund 230 Mitglieder. Diese engagieren sich in den zahlreichen Arbeitsgruppen, bilden Expertenkomitees, pflegen Kontakte zu anderen Fachgesellschaften und Vereinen sowie Betroffenenorganisationen, verfassen Positionspapiere, Stellungnahmen und Presseerklärungen und sorgen dafür, dass ein reger fachlicher Austausch die Inhalte und Anliegen der Fachgesellschaft vertritt. Als Fachgesellschaft sind wir auf Kongressen und Tagungen vertreten.

Für mich war diese erste Amtszeit spannend und interessant. Es ist eine Ehre, die Geschicke der DFPP so hautnah mitzugestalten, sich einzusetzen für eine gute und bessere Pflege, für soziale Inklusion, für Netzwerkarbeit und fachlichen Austausch. Dabei hatte ich oft Unterstützung, für die ich mich von Herzen bedanke, angefangen bei meinen beiden Stellvertretern Bruno Hemkendreis und Uwe Genge. Es ist nicht möglich, hier alle Helfer zu nennen, aber stellvertretend danke ich Dorothea Sauter, Volker Hasslinger, Michael Löhr und Regine Groß für die Unterstützung!

Den Mitgliedern und meinem/meiner Nachfolger/in wünsche ich Kraft und Ausdauer, um die Gesellschaft weiterzuentwickeln. Engagieren werde ich mich weiterhin in den Arbeitsgemeinschaften und im Präsidium und ich freue mich auf diese Zeit. Für das mir entgegengebrachte Vertrauen bedanke ich mich herzlich! Die DFPP wird blühen und wachsen durch das Engagement und die Initiative der Mitglieder und Förderer.

GEDANKEN ZUR PRAXIS DER PSYCHIATRISCHEN PFLEGE ZUM ABSCHLUSS EINER PRÄSIDENTSCHAFT

Hier möchte ich nicht nur auf eigene Gedanken zurückgreifen, sondern bediene mich einiger Gedanken von David Foster Wallace.

Foster Wallace war Schriftsteller und nicht nur ein wortgewaltiger, präziser Formulierer, sondern auch ein scharfer Denker. Davon abgesehen litt er über Jahrzehnte an einer schweren Depression, bevor er sich erhängte.

Die Aufgabe einer Fachgesellschaft dreht sich im Kern nicht nur um die Leistungsfähigkeit des Denkens, sondern um die Wahl darüber, worüber man nachdenkt.

Wir Menschen tun immer so, als ob unseren Konstruktionen von Bedeutung und Sinn tatsächlich keine persönlichen, absichtsvollen Wahlentscheidungen zugrunde liegen. Ein großer Teil von dem, worüber wir uns absolut sicher sind, zeigt sich als total falsch und fehlgeleitet.

Hier ist nun ein Beispiel der totalen Falschheit von etwas, dessen ich mir automatisch sicher bin: Alles in meiner eigenen unmittelbaren Erfahrung unterstützt meinen tiefen Glauben, dass ich der absolute Mittelpunkt des Universums bin. Der realste, lebendigste, wichtigste Mensch, der existiert. Wir denken kaum über diese Art der natürlichen, grundständigen Selbstzentriertheit nach, weil es sozial ziemlich abstoßend ist. Denken Sie mal drüber nach: Es gibt keine Erfahrung, die Sie bisher gemacht haben, bei der Sie nicht im Mittelpunkt standen. Die Welt, wie SIE sie erleben, befindet sich vor IHNEN oder hinter IHNEN oder links oder rechts von Ihnen. Sie sind genau in ihrem Mittelpunkt.

Das ist unsere Standardeinstellung, fest verdrahtet auf unserer Festplatte seit der Geburt – so wie ein Computer, der mit einer vom Hersteller generierten Voreinstellung ausgestattet ist.

Das Gefährliche an Bildung ist, dass sie einen dazu befähigt, alles zu analysieren und interpretieren und man sich in abstrakten Argumenten im eigenen Denken verliert.

Statt aufmerksam zu verfolgen, was gerade geschieht, statt aufmerksam zu verfolgen, was gerade in mir geschieht.

Zu lernen, wie man denkt, bedeutet in Wirklichkeit, zu lernen, wie man das kontrolliert, wie und was man denkt.

Es bedeutet, bewusst und aufmerksam genug dafür zu sein, um zu wählen was man wahrnimmt und wie man Sinn und Bedeutung aus dieser Erfahrung ableitet.

Denn wenn Sie diese Übung im Berufsleben nicht beherrschen, dann werden Sie weggespült.

Dies sollte der Wert z. B. einer beruflichen Weiterbildung (oder des Austauschs in einer Fachgesellschaft) sein: wie man von diesem bequemen, erfolgreichen, respektablen aber toten Pflege-Leben wegkommt. Dieser unbewussten, sklavenhaften Voreinstellung, die uns suggeriert, dass wir einzigartig, vollkommen sind und dies auch noch herrschaftlicher Einsamkeit. Tagein und tagaus.

Lassen Sie uns konkret werden. Es gibt riesengroße Teile pflegerischen Lebens, die patientenferne Tätigkeiten, Langeweile, Routine und kleinkarierte Frustration beinhalten.

Und dieser belanglose, frustrierende Mist ist nun genau der Augenblick, wo die eigentliche Arbeit darin besteht, eine Wahl zu treffen.

Denn die Routinetätigkeiten, die Sie aus dem Effeff beherrschen, geben Ihnen Zeit zum Nachdenken. Und wenn Sie keine bewusste Entscheidung treffen, wie Sie denken und was Sie wahrnehmen, werden Sie sich immer öfter, wenn Sie zur Arbeit gehen, genervt und unglücklich fühlen.

Denn die Standardvoreinstellung ist die Sicherheit, dass frustrierende Situationen alle mit Ihnen zu tun haben. Mit IHREM Ärger und IHRER Erschöpfung und IHREM Bedürfnis, einfach nach Hause zu gehen. Und es wird Ihnen vorkommen, als würden Ihnen eigentlich alle nur im Weg stehen und Möglichkeiten verbauen. Und wie ärgerlich es ist, dass sie sich um alles Mögliche kümmern müssen, nur nicht um die Patienten. Und wie tief und persönlich unfair das alles ist.

Man kann sich darüber aufregen, dass fachlich die falschen Entscheidungen getroffen werden, wieder mehr Gewicht auf Technik, Pharmakologie und bizarrerweise damit einhergehend auf eine Verwahr-Psychiatrie gelegt wird als auf eine mitmenschliche, an den Ressourcen der Patienten orientierte Behandlung.

Ich denke, Sie verstehen, wie das funktioniert.

Es ist aber so, dass es natürlich auch andere Möglichkeiten gibt, über solche Situationen nachzudenken.

Sie können wählen, darüber so nachzudenken, dass Sie finden, dass die anderen Mitarbeiter auf der Station genauso gelangweilt und frustriert wie Sie sind und dass einige dieser Leute wahrscheinlich sogar ein härteres, mühsameres und schmerzvolleres Leben als Sie haben.

Aber an den meisten Tagen, an denen Sie bewusst genug sind, sich selbst eine Wahl einzuräumen, da können Sie sich entscheiden. Entscheiden, ob Sie in dieser dauerrauchenden Kollegin mit den toten Augen, die so grauenvoll geschminkt ist und gerade vorhin eine Patientin eiskalt abgefertigt hat, noch etwas anderes sehen als einen hoffnungslosen Fall von Pflegeperson. Vielleicht ist sie wirklich nicht immer so. Vielleicht hat sie schon die dritte schlaflose Nacht hinter sich, in der sie ihrem an Knochenkrebs sterbenden Mann die Hand gehalten hat.

Oder sie hat neulich einem Patienten geholfen, den richtigen Ansprechpartner bei der Rentenversicherung zu finden und er hat endlich das Okay für seine Erwerbsunfähigkeitsrente bekommen.

Natürlich ist nichts davon wirklich wahrscheinlich – aber es ist auch nicht unmöglich.

Es hängt nur davon ab, was Sie betrachten wollen. Wenn Sie automatisch sicher sind, dass Sie wissen, was die Realität ist und Sie in der Standardeinstellung unterwegs sind, dann werden Sie wahrscheinlich wenig Möglichkeiten in Betracht ziehen, die nicht unerfreulich und jämmerlich sind.

Wenn man tatsächlich lernt, wie man auf etwas achtet, weiß man jedoch, dass es noch andere Möglichkeiten gibt. Tatsächlich liegt es in unserer Macht, einen nervigen, unruhigen, unerfüllten Tag auf Station (der für Patienten nebenbei bemerkt auch „die Hölle“ sein kann) nicht nur als bedeutsam, sondern gleichermaßen als heilig zu erleben.

Sie können entscheiden, als was Sie es ansehen.

Das ist mein Vorschlag: Das ist die Freiheit echter Bildung: wie man sich gut justiert. Dass Sie bewusst entscheiden, was Bedeutung hat und was nicht. Sie entscheiden, was Sie glauben.

Die Art Glauben, in die Sie nun tagtäglich allmählich hineinschlüpfen werden, wird sie mehr und mehr auswählen lassen, was Sie sehen und wie Sie Dingen Wert beimessen, ohne voll bewusst zu erleben, dass Sie es tun.

Das ist wahre Freiheit. Das ist „gebildet sein“ und „zu wissen, wie man denkt“. Die Alternative ist Unbewusstheit, die Standardeinstellung, die Tretmühle, das ständige Gefühl, etwas Unendliches gehabt und verloren zu haben.

Bei dieser Wahrheit geht es um das Leben VOR dem Tod.

Es geht um den Wert einer echten Bildung. Der hat so gut wie nichts mit Wissen zu tun – aber alles mit simpler Bewusstheit. Bewusstheit, die so echt und essentiell ist, so verborgen – direkt vor unserer Nase, die ganze Zeit – dass wir uns ständig daran erinnern müssen.

Es ist unvorstellbar schwierig das zu tun: lebendig und bewusst im Alltag zu bleiben, tagein, tagaus.

Aber den Versuch ist es allemal wert.

Ruth Ahrens

AKTUELLE KURZMELDUNGEN

Expertin für Psychiatrische Pflege

Dorothea Sauter, Präsidiumsmitglied, AG-Koordinatorin und Öffentlichkeitsbeauftrage der DFPP, wurde als Expertin für Psychiatrische Pflege ins Expertenpanel des AQUA-Instituts berufen. Aufgabe ist die „Entwicklung eines sektorenübergreifenden Qualitätssicherungsverfahrens zur Versorgung bei psychischen Erkrankungen“.

Professorin für Klinische Pflege

Dr. rer. cur. Sabine Weißflog MScN, Dipl.-Pflegewirtin (FH), aktives Mitglied der DFPP und im Fachreferat Pflege der DGPPN, ist seit 01. Februar 2015 Professorin für Klinische Pflege an der Frankfurt University of Applied Sciences.