Der Klinikarzt 2015; 44(2): 71
DOI: 10.1055/s-0035-1547503
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Mammakarzinom: Standards, neue Entwicklungen und Kontroversen

Thorsten Kühn
,
Anton Scharl
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Publication Date:
10 March 2015 (online)

Mit über 75 000 Neuerkrankungen pro Jahr (120/100 000 Einwohner/Jahr) ist das Mammakarzinom die häufigste Krebserkrankung in Deutschland. Umso erfreulicher ist die Verbesserung der Heilungsrate, die heutzutage bei frühen Tumoren deutlich über 90 % und selbst unter Berücksichtigung aller Tumorstadien noch bei über 70 % liegt. Ursachen für diesen Erfolg sind neben den Fortschritten bei Früherkennung und Therapie vor allem die interdisziplinäre Versorgung in Brustzentren sowie die rasche Einführung neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse in die klinische Praxis durch Leitlinien und Empfehlungen onkologischer Fachgesellschaften wie die Arbeitsgemeinschaft für gynäkologische Onkologie (AGO e. V.).

Die hohen Heilungsraten erlauben es, Fragen der Lebensqualität und Übertherapie mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Dies bedeutet eine Rücknahme von Therapieintensität bei Frauen mit prognostisch günstigen Tumoren und eine präzise Selektion von Patientinnen, die von einer bestimmten Therapiemodalität nicht profitieren. Das setzt die Einbindung der jeweiligen Behandlungsoption in ein definiertes multimodales Behandlungskonzept voraus.

Ein gutes Beispiel dafür ist die zunehmende Reduktion der operativen Radikalität. Unter der Voraussetzung einer adäquaten System- und Strahlentherapie konnte die Rate an brusterhaltenden Operationen in den letzten Jahren ständig erhöht werden. Eine angemessene multimodale Therapie ermöglichte auch den Erhalt der axillären Integrität durch die Vermeidung der radikalen Lymphknotenausräumung, sogar bei manchen Patientinnen mit tumorbefallenen Lymphknoten. Dadurch können postoperative Beschwerden im Schulter-Arm-Bereich weitgehend vermieden werden.

Das Mammakarzinom gilt heute als frühe systemische Erkrankung. Dies begründet den hohen Stellenwert der medikamentösen Therapien. Neben der Nutzung aller wirksamen Therapieoptionen gilt die Vermeidung von toxischen Nebenwirkungen als wichtiges therapeutisches Ziel. Parameter, welche Prognose und Ansprechwahrscheinlichkeit einer spezifischen Therapie anzeigen (prognostische und prädiktive Faktoren) helfen bei der optimalen Auswahl von systemischen Therapieoptionen, insbesondere für die Selektion von Patientinnen, die von einer Chemo- bzw. einer Antikörpertherapie profitieren.

Wenngleich die Grundlagen der Chemo-, Antikörper- und Hormontherapie seit Jahren weitgehend standardisiert sind, ergeben sich immer wieder Erkenntnisse, die eine Optimierung der Therapie in kleinen Schritten ermöglichen. Die Notwendigkeit, kurative Verbesserung gegen Nebenwirkung der Behandlung abzuwägen, führt dabei zu einer immer weitgehenderen Individualisierung der Therapie, die sich an der Prognose und der Ansprechwahrscheinlichkeit orientieren. Dies gilt insbesondere für die neueren Daten für die Antihormontherapie in Bezug auf Therapiedauer oder auch der Kombination von Präparaten.

Das metastasierte Mammakarzinom gilt nach wie vor als nicht kurabel. Dennoch konnten in den letzten Jahren Jahres bedeutsame Fortschritte erzielt werden. Dies gilt in hohem Maße für das HER2-positive Mammakarzinom, für das mittlerweile mehrere Substanzen eine Zulassung erhielten, die zielgerichtet in den Zellzyklus der Tumorzelle eingreifen. Dabei erfordert gerade die metastasierte Situation eine ständige individuelle Güterabwägung zwischen potentieller Lebenszeitverlängerung, die ausschließlich auf frühe Therapielinien begrenzt ist, gegenüber Symptomkontrolle und Lebensqualität.

Die Abwägung zwischen Nutzen und potentieller Belastung spiegelt sich auch in der Diskussion um zahlreiche kontroverse Themen wie die Prävention, die Früherkennung, die Anwendung von Bisphosphonaten und die Behandlung der älteren Patientin wieder.

Experten der Organkommission Mamma der AGO fassen in diesem Themenheft die aktuellen Standards, neue Entwicklungen und wichtige Kontroversen rund um die Diagnostik und Therapie des Mammakarzinoms zusammen.